TV-Reportage: Ekel-Großküchen liefern Kita-Essen

Verschimmelte Lebensmittel, abgelaufenes Fleisch und Küchenhilfen, die vom eigenen Essen lieber die Finger lassen: Die RTL-Sendung "Team Wallraff" inspiziert deutsche Großküchen und findet dort ekelerregende Zustände vor.
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Neue Ekel-Enthüllung von Günter Wallraff: Für die aktuelle Ausgabe zeigt "Team Wallraff", wie unappetitlich und unhygienisch es in manchen deutschen Großküchen zugeht, die Essen für Kitas, Schulen und Pflegeheime produzieren.
Neue Ekel-Enthüllung von Günter Wallraff: Für die aktuelle Ausgabe zeigt "Team Wallraff", wie unappetitlich und unhygienisch es in manchen deutschen Großküchen zugeht, die Essen für Kitas, Schulen und Pflegeheime produzieren. © az-screenshot/RTL

Verschimmelte Lebensmittel, abgelaufenes Fleisch und Küchenhilfen, die vom eigenen Essen lieber die Finger lassen: Die RTL-Reportage "Team Wallraff" blickt ins Innere deutscher Großküchen und findet dabei ekelerregende Zustände vor.

Köln/München - Bis zu 100 000 Essen pro Tag werden in manchen deutschen Großküchen produziert. Viele beliefern Kitas, Grundschulen und Seniorenheime – und das spottbillig. Der Preis für eine Mahlzeit in einer Kita: teilweise nur 2,20 Euro. Personal-, Liefer- und Verwaltungskosten sind in diesem Preis mit eingerechnet. Im Schnitt bleiben für die Zutaten noch 60 Cent über. Wie kann bei so einem Ramschpreis ein hoher Qualitätsstandard gewährleistet werden? Bekommen unsere Kinder und Senioren wirklich unbedenkliche Mahlzeiten auf den Teller?

Das RTL-Rechercheteam um Günter Wallraff hat undercover einen Blick in drei Großküchen in Deutschland geworfen, zu deren Kunden überwiegend Kitas und Pflegeheime gehören. Hier wird Essen für Kinder und Senioren zubereitet – Menschen mit einem sensiblen Immunsystem, das besonders anfällig für Keime und Bakterien ist. Dass in diesen Küchen deshalb besonders sorgfältig auf die Auswahl der Lebensmittel und die Herstellung geachtet wird ist ein Irrglaube. Offenbar ist genau das Gegenteil der Fall, wie die Sendung "Team Wallraff" am Montagabend bei RTL zeigte.

Reporterin Stefanie Albrecht hat sich in drei Großküchen undercover als Küchenhilfe einstellen lassen. Alle wurden mit den drei Kochmützen ausgezeichnet, einem Qualitätssiegel der Hochschule Niederrhein – Prädikat: besonders schmackhaft. Die hygienischen Zustände und die Qualität der Lebensmittel, die sie dort vorfand, dürften vielen Eltern allerdings einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen.

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Beim Wuppertaler Caterer vitesca, der täglich 25 000 Essen an Schulen und Kindergärten ausliefert, musste Albrecht zum Beispiel verschimmelte Gurken verarbeiten. Die Reporterin entdeckte Schweinegeschnetzeltes, das bereits seit einem halben Jahr abgelaufen war und trotzdem ganz normal verwendet wurde.

Bei mehreren Kisten Bio-Hackfleich, das zu Chili con carne eingekocht werden sollte, war das Verbrauchsdatum sogar seit über neun Monaten abgelaufen. In solch krassen Fällen handelt es sich bereits um eine Straftat, wie Rechtsanwalt Dr. Remo Klinger in der Sendung klarstellte. Das sogenannte "Cook&Chill"-Verfahren, bei dem heißgekochtes Essen innerhalb von 90 Minuten auf drei Grad runtergekühlt wird, um die Bildung von Keimen zu unterbinden, wurde bei vitesca nur schlampig angewendet: In einem Fall hatte das Essen noch eine Temperatur von 20 Grad. Ein perfekter Keimherd, der für Kinder und Menschen ganz schnell gefährlich werden kann.

 

Billigfleisch aus Asien und Mexiko

 

Was Reporterin Albrecht während ihres Schnupperpraktikums beim Großcaterer diversa erlebte, ließ sie ganz schön staunen. Hier wurde gekocht ohne zu kochen. Mitarbeiter gaben Zutaten wie Wasser, Tomaten- und Chillipulver, etwas Dosengemüse und Soja-Hack in einen Riesentopf, und rührten den breiigen Bampf kalt zusammen, die Herdflamme blieb aus. Das Billigfleisch dafür wurde aus Asien und Mexiko geliefert. Die 600 Essen, die der Caterer so täglich ausliefert, werden erst in den Schulen kurz vor Ausgabe zum ersten Mal erhitzt.

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Dass man bei solchen Produktionsweisen Kita-Essen für lau anbieten kann, wundert wohl keinen mehr. Das Schlimme: "Unter drei Euro ist Qualität nicht zu haben" so die Ernährungswissenschaftlerin Ulrike Arens-Azevêdo in der RTL-Sendung.

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Aber nicht nur im Essen der Kinder machten die Rechercheure besorgniserregende Entdeckungen. Reporterin Düsel Tekkal schleuste sich als Küchenhilfe in ein Oldenburger Pflegeheim der Marseille Kliniken AG ein. Dort war es keine Seltenheit, dass Teller mit Essen oder Nachspeisen, die aus dem Speisesaal zurückkamen, ungekühlt in der warmen Küche einfach zwischengelagert wurden. Bei Bedarf teilten Mitarbeiter die bereits zurückgekommenen Gerichte kurzerhand wieder aus.

 

Gefährliche Keime für Senioren

 

Die Laboranalyse einer heimlich genommen Hygieneprobe hat bewiesen: In der Altenheimküche fanden sich mit Schimmel bewachsene Flächen und Darmkeime an Spülbecken und Boden. Konfrontiert mit den Vorwürfen machten die Verantwortlichen der Marseille Kliniken zunächst dicht und stellten eine Rechnung von 290 Euro für die Beantwortung der Fragen. Nach kurzen Verhandlungen kam dann doch eine Stellungnahme. „Alle Speisen, die die Küche einmal verlassen haben, werden entsorgt“, heißt es. Von den anderen Vorwürfen hätte die Klinik „keine Kenntnis“. Mitarbeiterin Selma erklärte in der Sendung: „Mir tut das Leid mit den alten Leuten. Mein Gewissen sagt stopp. Ich esse hier nicht, mich ekelt es auch etwas.“

Wie kann es sein, dass bei der Essenszubereitung – gerade für Kinder und Senioren – in deutschen Großküchen solch ekelerregende Zustände herrschen?

Ein Gespräch zwischen Wallraff und dem Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt brachte nicht wirklich Licht in die Machenschaften der Großcaterer. Wieso die Besteuerung von Schulessen bei 19 Prozent liegt. Tierfutter wird nur mit 7 Prozent besteuert, mit gesenktem Steuersatz könnte der Einsatz für den Warenwert erhöht werden. Schmidt lehnte dies ab: „Wenn wir die Steuer nur reduzieren bei denen, die das gewerblich machen, ist die Frage, ob dann nicht noch billiger produziert wird, überhaupt nicht beantwortet.“

Zumindest will der Ernährungsminister in naher Zukunft mit den Ländern über einheitliche und rechtsverbindliche Regeln diskutieren. Auf die freiwilligen Qualitätsstandards angesprochen wiegelte Schmidt jedoch ab. Das sei seiner Meinung nach nicht zielführend.

 

 

 

 

 

 

 

 

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