TV-Kritik: So war der "Tatort" aus Wien
Der Wiener „Tatort: Angezählt“ ist brutal, bewegend und mörderisch spannend. Hier gibt's die AZ-Kritik.
München -Im „Tatort“-Wettbewerb haben sich die Wiener mit ihren zwei Charaktertypen Moritz Eisner und Bibi Fellner an die Spitze gesetzt – nicht nur, weil die österreichischen Tatortfälle starke Milieukrimis sind, sondern weil die zwei hartgesottenen, von allen Kripo-Erfahrungen durchgebeizten Straßenpflasterkenner eine Kontrasteinheit der Sonderklasse abgeben: Harald Krassnitzer ist der kantige Sturklotz, an dem Ganovenschlauheit und Verbrecherbosheit abprallen wie an einer Betonwand – und die außergewöhnliche Adele Neuhauser spielt in die explosiv emotionale Bibi Fellner eine ganze Biografie von Kinderverletzung, Alkoholgefährdung und Mutterverlassenheit hinein, die sie bei allen geschundenen Opfern wiederfindet in ihrem radikalen Kampf gegen die „gschissenen Zuhälter“, die als Menschenhändler Kapital schlagen aus der Angst.
Auch die unglaubliche Brutalität dieser Müllkippen-Szene wird dabei nicht ausgespart, und die Sprache spielt eine wichtige Rolle: Das Wienerische in der ganzen Wellenlänge vom Donauwalzer zum Herrn Karl. Aber dieser Sarkasmus in dem Wiener Tatortkrimi „Angezählt“ (Buch: Martin Androsch, Regie: Sabine Derflinger, ARD/ORF) ist auch der nie nachlassende Antrieb für die scheinbar unberührbare Bibi Fellner, die Zwangsprostituierte und Kinder vor ihren Ausbeutern schützen will. Denn sie ist eine „Berührbare“, verletzlich und verletzt genug, um sich gegen Angst und Gewalt zu wehren.
Dass die Menschenhändler sich teure Anwälte leisten können, um die Gesetze auszuhebeln, steht auf einem anderen Blatt. Aber dafür hat dann der Eisner, wenigstens in diesem mörderisch spannenden „Tatort“, in stoischer Ruhe sein eigenes Rezept gegen die Unterwelt. Ein Tiefschlag und Volltreffer.
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