TV-Kritik: Markus Lanz bringt Talkshow-Gast zum Weinen
In seiner ersten Sendung nach dem Aus von "Wetten, dass..." will der als Showmaster Gescheiterte seine Stärken als Talker zeigen. Das klappt am späten Dienstagabend nur teilweise.
Hamburg - Es ist ein heißer Sommertag, als der demenzkranke Mann von Marianne Heuer verschwindet. In der Fußgängerzone. Spurlos. Bis heute sucht sie ihn. Jetzt sitzt die 63-Jährige bei Markus Lanz.
Der Moderator zitiert aus einem Interview, das die verzweifelte Frau gegeben hat: "Ich habe das Gefühl, er sitzt auf einer Parkbank und wartet auf mich."
Ein schöner Satz. Und für Marianne Heuer offenbar eine tröstende Vorstellung, eine Situation, die sie sich ausmalt, um den Verlust erträglicher zu gestalten. Vielleicht irrational, mit Sicherheit verständlich.
Als Lanz das Zitat wiedergibt, hellt sich ihre Miene auf. Sie nickt.
Doch dann kommt die Frage, in ihrer Sensibilität irgendwo zwischen Hackklotz, Abrissbirne und Leopard II liegend: "Wer außer Ihnen glaubt das noch?!"
Marianne Heuer schluchzt. Bricht in Tränen aus. Weint bitterlich. "Oh Gott", raunt jemand aus dem Publikum.
"Ich mache mal ein bisschen weiter", sagt Lanz und versucht, die Situation zu retten. Klappt nicht.
Keine Frage: Jemanden mit einem Zitat zu konfrontieren und es direkt anzuzweifeln, ist eine legitime journalistische Technik: Das kann man bei einem Kanzlerkandidaten machen ("Glauben Sie eigentlich selbst noch an den Wahlsieg?"), einem Gewerkschaftler oder einem Manager. Aber bei einer Frau, die sich an die Hoffnung klammert?
Empörung im Internet
Auf Twitter, dem Medium, das die Auftritte des Moderators seit Monaten wohl am kritischsten (manchmal auch unfair) begleitet, bricht sofort die Empörung los:
"Was für ein unsensibler Depp!", schreibt "Kanti".
"An Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffen!", meint "Woodpecker".
"Einfach mal die Fresse halten", schlägt "ankemanger" vor.
Das Gespräch mit Frau Heuer ist bald beendet. Lanz wendet sich seinem nächsten Gast zu ("Das ist ein schwerer Übergang, aber so ist das Leben"): einem schrillen Friseur namens Sebastian Böhm, der vor vielen Jahren für die Haarpracht von Tokio-Hotel-Sänger Bill Kaulitz verantwortlich war.
Der erzählt unter anderem, dass er mit Haaren spricht und gerne auch mal mit geschlossenen Augen schneidet, was zumindest die Sache mit Bill Kaulitz im Nachhinein plausibler erscheinen lässt.
Das Publikum johlt. Alle lachen.
Bis auf Frau Heuer. Die schaut auf ihre gefalteten Hände. Ist nur noch körperlich anwesend und wirkt in dem Moment wie der einsamste Mensch auf der Welt. Von den vielen Mitleids-Tweets ("Arme Frau Heuer"), die ihr im Internet gewidmet werden, weiß sie natürlich nichts.
Zugegeben: Eine Boulevardsendung darf und muss eine bunte Themenmischung anbieten. Wo in Druckerzeugnissen aber im Idealfall darauf geachtet wird, dass Tragödie und Komödie, Flugzeugabsturz und Fasching, nicht unmittelbar nebeneinander stehen, gilt Ähnliches auch fürs Fernsehen.
In der gestrigen Sendung wirkt der Übergang mehr als unglücklich. Zumindest die Reihenfolge hätte man ändern können. Oder müssen.
Andrea Nahles und die "kleinräumige Struktur"
Der Abend startet mit Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die Lanz im Gespräch partout zur nächsten Bundeskanzlerin aufbauen will. Eine gewagte, fast schon absurde These, auf der der Moderator minutenlang herumreitet.
Ansonsten: Ist Andrea Nahles wie immer keine große Geschichtenerzählerin, spricht sie von ihrem Dorf, sagt sie "kleinräumige Struktur". Wen wundert's, dass ihr Ministerium sprachliche Ungeheuer wie das "Tarifautonomiestärkungsgesetz" erschafft?
Dann fachsimpeln die beiden noch ein bisschen über Rentenpolitik. Nach Mitternacht eine Zumutung, die der Quote, die sich in Lanz' Talkshow zuletzt stabil zeigte, nicht unbedingt zuträglich gewesen sein dürfte.
Ein Höhepunkt der Sendung: Andrea Kaiser
Wäre schade. Denn nach Nahles ist Sportmoderatorin Andrea Kaiser an der Reihe, spricht eindrucksvoll - und ebenfalls den Tränen nahe - über ihren demenzkranken Vater. Ihrer Angst vor dem Moment, an dem er sie womöglich nicht mehr erkennt. Ihre Hilflosigkeit. Und die vielen komischen Momente, die jeder Mensch mit betroffenen Angehörigen kennt. Am Gelingen des Gesprächs hat auch der hier taktvoll agierende Markus Lanz seinen Anteil.
Während des Friseur-Finales dürfen alle noch etwas Witziges über ihre Haare sagen. Die verstört wirkende Frau Heuer nicht, was wohl rücksichtsvoll gemeint war, ihr Ausgeschlossen-Sein aber noch augenfälliger macht.
Dann, ansatzlos, erzählt der Friseur noch kurz von seinen Mobbingerfahrungen als Jugendlicher, davon, dass Mitschüler auf ihn uriniert und gekotet haben.
Ein bizarrer Abend.
In der Abmoderation spricht Markus Lanz dennoch selbstbewusst von einem "roten Faden", der sich durch die Sendung gezogen habe.
Die Zuschauer dürften sich eher an ein Wollknäuel erinnert fühlen - nachdem eine Katze mit ihm gespielt hat.