"Tatort" mit 47 Toten: Das sagt Barbara Philipp

Magda Wächter ist die "stille Heldin" aus dem "Tatort: Im Schmerz geboren". Was das Besondere an dem Film ist und dass der Leichen-Rekord zunächst gar kein Thema war, verrät ihre Darstellerin Barbara Philipp im Interview.
von  (hub/spot)
Magda Wächter (Barbara Philipp) und Felix Murot (Ulrich Tukur)
Magda Wächter (Barbara Philipp) und Felix Murot (Ulrich Tukur) © HR/Philip Sichler

Magda Wächter ist die "stille Heldin" aus dem "Tatort: Im Schmerz geboren", der am Sonntag im Ersten läuft. Was das Besondere an dem Film ist und dass der Leichen-Rekord beim Dreh zunächst gar kein Thema war, verrät ihre Darstellerin Barbara Philipp im Interview.

München - "Unser 'Tatort' fällt immer etwas aus dem Rahmen", sagt Schauspielerin Barbara Philipp im Interview mit spot on news. Zu sehen ist das auch am heutigen Sonntagabend, wenn mit "Im Schmerz geboren" eine ganz besondere Episode der Kult-Krimireihe läuft. Felix Murot, gespielt von Ulrich Tukur, trifft auf seinen ehemals besten Freund Richard Harloff (Ulrich Matthes) - und der hat nur eines im Sinn: Rache. Am Ende wird Philipps Figur Magda Wächter zur stillen Heldin. Warum sie das große Geheimnis des Films für sich behält, was diesen "Tatort" so außergewöhnlich macht und wie sie den Leichen-Rekord sieht, erklärt Philipp hier:

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Der "Tatort: Im Schmerz geboren" lief schon auf zwei Festivals. Wie haben Sie die Reaktionen erlebt?

 

Barbara Philipp: Der Film lief in München auf dem Filmfest und in Ludwigshafen, beide Male wurde er auch mit einem Preis ausgezeichnet. In Ludwigshafen hat er sogar den Publikumspreis gewonnen, was uns besonders Freude hat, weil es ganz normale Zuschauer waren, die nicht aus der Branche kamen. Da konnte ich sehen, dass die 80-jährige Dame aus diesem "Tatort" genauso etwas mitnehmen kann wie ein 12-jähriger Junge, der ihn ebenfalls ganz toll fand.

 

Was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal dieses Drehbuch vor sich hatten?

 

Philipp: Unser "Tatort" fällt immer etwas aus dem Rahmen. Wir haben wenig Spaß an der gängigen "Wer ist der Mörder"-Ermittlungsarbeit. Aber "Im Schmerz geboren" ist auch für unsere Verhältnisse eine wirklich ungewöhnliche Geschichte. Am Anfang taucht zum Beispiel ein shakespearescher Erzähler auf, der mittendrin - sehr poetisch - exekutiert wird. Das hätte es sogar bei William Shakespeare nicht gegeben. Es wird mit vielen Stilmitteln gearbeitet, aber eigentlich ist es eine klassische Geschichte über Rache und Freundschaft. Und auch wenn dieser "Tatort" die Norm sprengt, ist die Handlung im Grunde realistisch.

 

Wobei die Rache von Harloff ziemlich weit geht. Am Ende stehen 47 Tote zu Buche...

 

Philipp: Das war beim Dreh eigentlich gar kein Thema. Gleichzeitig wurde aber gerade der neue "Tatort" von Til Schweiger mit 19 Leichen promotet. Erst da ist einer unserer Darsteller auf die Idee gekommen, auch unsere Toten zu zählen. Und jetzt haben wir mit 47 Leichen plötzlich den neuen Rekord, was lustig ist - in amerikanischen Filmen würde auch niemand auf die Idee kommen, die Anzahl der Leichen zu erwähnen. Die Ballerei vor dem Wiesbadener Casino ist zudem so überhöht dargestellt, dass es auch der 12-jährige Junge auf dem Ludwigshafener Festival nicht als besonders grausam empfunden hat. Der "Tatort" wurde komplett mit klassischer Musik eingespielt und hat dadurch etwas Opernhaftes - und in der Oper wird auch wahnsinnig viel gemordet.

 

Wie viel Quentin Tarantino steckt im "Tatort"?

 

Philipp: Der Autor wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, überhaupt in diese Richtung gedacht zu haben. Und das glaube ich ihm auch. In den anderen "Tatorten" hatten wir ebenfalls eine Art Filmhistorie eingebaut. Der zweite war eine Hommage an die Edgar-Wallace-Filme, im dritten ging es Richtung Miss Marple. Ich glaube, Tarantino hat es genauso gemacht: Er hat sich auch bei vielen Genres bedient. Wir haben zum Beispiel eine Anspielung auf "Spiel mir das Lied vom Tod" und auf Truffauts "Jules et Jim" drin. Es ist schön, den Zuschauern am Sonntagabend ein bisschen Filmgeschichte um die Ohren zu hauen.

 

Sind Sie das außergewöhnlichste "Tatort"-Team?

 

Philipp: Jeder "Tatort" hat seine Besonderheiten. Wir sind nicht so in der Zeit verhaftet. Aber ich glaube schon, dass wir ein bisschen aus der Reihe tanzen. Ulrich Tukur hätte sich ansonsten wohl auch nicht darauf eingelassen, "Tatort"-Kommissar zu werden. In der Ermittlungsarbeit versuchen wir, möglichst ohne das schnöde Fakten-Aufgezähle auszukommen und dafür muss dann ein Fall eben auch anders strukturiert werden.

 

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Magda Wächter und Felix Murot beschreiben?

 

Philipp: Schon die Aufmachung der beiden - er im grauen Anzug, sie im Rock und hohen Schuhen - ist nicht das, was man in einem Polizeirevier erwarten würde. Wächter ist nicht sportlich oder cool und läuft auch nicht in Cargohose rum. Sie behauptet sich diesem Mann gegenüber mit Instinkt und Gespür. Und wie ihr Name schon sagt: Sie passt auf ihren Chef auf. Im ersten Moment wirkt das vielleicht altmodisch. Aber das finde ich gar nicht. Es wird ja auch gemutmaßt, ob sie vielleicht in ihn verliebt ist - sowas interessiert uns nicht. Heute geht man immer davon aus, dass wenn zwei sich mögen, die auch miteinander im Bett landen. Das tun wir aber nicht. Wir haben den nötigen Respekt voreinander, siezen uns sogar. Die beiden haben ein ganz tiefes Vertrauen ineinander. Sie ist es dann am Schluss von "Im Schmerz geboren" auch, die das Geheimnis für sich behält. Sie weiß, es würde ihn nur verletzen und kaputt machen.

 

Wie geht es mit Magda Wächter weiter?

 

Philipp: Das weiß ich noch nicht, das ist von den verschiedenen Autoren abhängig. Michael Proehl hat mir mit dem Dreh, dass ich die Wächterin des Geheimnisses bin, aber einen schönen Weg geebnet. Er hat aus der Figur eine stille Heldin gemacht, dafür bin ich ihm sehr dankbar. Ich selbst habe natürlich schon gewisse Vorstellungen zu meiner Figur, zum Beispiel lebt Magda Wächter für mich in einer Beziehung. Am Anfang hatte ich sogar mal einen Mann, das wurde aber rausgeschnitten. Schließlich ist es schon reizvoll, dass es zwischen Murot und Wächter dieses Spiel gibt, das kann man noch eine Weile ausreizen.

 

Können Sie Einfluss nehmen auf die Bücher?

 

Philipp: Am Entwicklungsprozess bin ich nicht beteiligt, in der Endphase diskutieren wir das aber alles ausführlich mit der Regie. Mit Tukur werden die Sachen früher besprochen, aber er geht dann auch nicht hin und verändert Sachen. Er nimmt vielleicht auf Ideen Einfluss, aber ansonsten mischt er sich nicht ein.

 

Muss es mehr Filme wie "Im Schmerz geboren" im deutschen Fernsehen geben?

 

Philipp: Auf alle Fälle. Unsere Redaktion kann man gar nicht oft genug loben. Die haben einfach Lust darauf, sich etwas weiter aus dem Fenster zu lehnen und Experimente zu wagen. Beim Dreh wusste man noch nicht, ob das alles so aufgeht. Es hätte auch nicht funktionieren können. Im deutschen Fernsehen wird immer alles auf die Zuschauer geschoben, es heißt, die seien zu alt, zu doof, zu langsam. Ich glaube: Das Publikum ist gar nicht so blöd, wie es immer verkauft wird. Man kann den Leuten viel mehr zumuten.

 

Wie wichtig ist Ihnen die Quote?

 

Philipp: Mit der Quote ist das so eine Sache: Ich persönlich glaube nicht, dass sie repräsentativ ist. Wir sind natürlich auch froh über eine hohe Quote. Es gibt aber genug Sachen mit guter Quote, die total scheiße sind. Es muss sich was ändern. Die Verantwortlichen müssen mehr wagen.

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