"Tatort: Im toten Winkel": Die ungeschönte Wahrheit über die Pflege

Nachdem der zukünftigen Regierung beim traditionellen "Nockerberg-Derblecken" die Leviten gelesen wurden, heißt es nun die Wahlversprechen einzulösen – eines davon ist die gesellschaftliche Aufwertung des Pflegeberufes und die Einstellung von mehr und besser bezahlten Pflegekräften.
Der beklemmende Bremer Tatort "Im toten Winkel" behandelt diese unbequeme Thematik nüchtern und ohne künstlerische Spielereien. Nichts wird beschönigt - wir sitzen schockiert in der ersten Reihe eines dokumentarischen Krimis über den Notstand und Missbrauch in der Pflege, der wachrüttelt und sensibilisiert (Regie: Philip Koch, Buch: Katrin Bühlig).
Die dauerhafte Überforderung der Familienangehörigen bei der häuslichen Pflege ruft diverse Profitmacher auf den Plan, die auf Kosten der Schwachen nutznießerische Geschäftsmodelle entwickeln. Die schwarzen Schafe der Zunft werden hier durch den Film geschleift.
Das Thema ist wichtiger als die Lösung des Falles
Die kriminellen Machenschaften von Darja Pavlowa (Jana Lissovskaia), der Leiterin eines russischen Pflegedienstes, zieht die Kommissare Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) immer tiefer in die verzweifelten Geschichten der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen: der Rentner Horst Claasen (Dieter Schaad) erstickt aus Verzweiflung seine demenzkranke Frau, da die versprochene Pflegeleistung nie erbracht wurde. Eine Beatmungspatientin wird von angelernten Hilfskräften versorgt, abgerechnet wird aber das teure Fachpersonal. Akke Jansen (Dörte Lyssewski) und Thea Jansen (eindrucksvoll gespielt von Hiltrud Hauschke) liefern sich einen erbarmungslosen Mutter-Tochter Krieg, auch hier fehlt die versprochene Hilfe durch die falsche Einschätzung des Gutachters Carsten Kühne (Peter Heinrich Brix).
Der zwielichtige Gutachter des medizinischen Dienstes, der für die Vermittlung an den russischen Pflegedienst abkassiert hat, wird am Ende tot aufgefunden – ein Motiv hatten alle.
Ein gelungener sozialpolitischer Tatort, bei dem das Thema weitaus wichtiger ist als die Lösung des Falles – realistisch und nah am Menschen inszeniert.