So wird der "Polizeiruf 110" am Sonntag

Jahrelang hatte man den Eindruck, die Programmdirektion der ARD scheue ungewöhnliche, brisante und fordernde Drehbücher wie der Teufel das Weihwasser. Man könnte die Zuschauer schließlich überfordern, man könnte ja anecken. Und jetzt das: Nachdem am vergangenen Wochenende bereits der starke Tukur-"Tatort" für reichlich Diskussionsstoff sorgte, lassen die Verantwortlichen nun einen kaum minder umstrittenen "Polizeiruf 110" folgen. Regisseur und Feuilleton-Liebling Dominik Graf (62) darf sich in "Smoke on the Water" an korrupten und meuchelnden Politikern, Staatsbeamten und Adeligen abarbeiten. Dabei geht er derart radikal zur Sache, dass sich nicht wenige Zuschauer mit Grauen abwenden dürften. Doch genau diese Vorschlaghammer-Methode macht den Film so gut.
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Der erfolglose Musiker Mischa Eigner (Marek Harloff) gesteht, die Journalistin Anne ten Hoff in ihrer Münchner Wohnung brutal erschlagen zu haben. Doch deren Lebensgefährtin Corry Hüsken (Judith Bohle) kann Kriminalhauptkommissar Hanns von Meuffels (wie immer über jeden Zweifel erhaben: Matthias Brandt) davon überzeugen, dass die angebliche Tat aus Leidenschaft gelogen ist. Der Musiker verfügt über ein Alibi, das ihn entlasten würde - wovon er aber keinen Gebrauch macht. Der Verdacht liegt nahe, dass Eigner den wahren Mörder zu schützen versucht.
Anscheinend war die getötete Journalistin einer brisanten Verschwörung rund um ein neues Satelliten-Leitsystem für die Rüstungsindustrie auf der Spur, in die höchste Polit- und Wirtschaftskreise verwickelt waren. Schnell gerät der erfolgreiche EU-Politiker Dr. Joachim von Cadenbach (Ken Duken) ins Zentrum der Ermittlungen. Doch die Polizei ist schnell dessen geringstes Problem.
Unverblümt bedient man sich bei der Cadenbach-Figur optisch an Karl-Theodor zu Guttenberg. Mit runder Brille grinst der fiktive Adelige von einem Wahlplakat und nicht nur der Slogan "Ein starkes Bayern für ein starkes Europa" kommt einem bekannt vor. Mit "Smoke on the Water" von Deep Purple ließ sich zu Guttenberg einst bei seinem Zapfenstreich aus dem Amt blasen.
Grimme-Preis-Träger Graf verbeißt sich in den skrupellosen Seilschaften aus Politik und Wirtschaft. "Kein Blut", so heißt es in einer Szene, dürfe in der öffentlichen Wahrnehmung am neuen Satelliten-System hängen. Selbstredend haftet dem Milliarden-Projekt zu diesem Zeitpunkt jeder Menge roter Lebenssaft an, der vor allem zu Beginn effektvoll über weiße Wände spritzt.
Während sich die meisten Zuschauer noch mit der Ausgangsthese ("Die da oben sind alle Verbrecher") anfreunden dürften, wird die derbe Inszenierung nicht bei jedem auf Gegenliebe stoßen. Der verheiratete Familienvater Joachim von Cadenbach vögelt sich eindrucksvoll und mit Erlaubnis seiner Frau durch die Gegend. Als er ein Wirtshaus betritt, wird eine Frau von seinem Anblick so erregt, dass sie sich unterm Tisch kurzerhand selbst befriedigt. Sex, Gewalt, Verzweiflung - Graf deutet diese Themen nicht an, er zeigt sie. Anders als in der Vergangenheit verzichtet er aber auf all zu häufige Zeitsprünge und wilde Schnitte. Nur vereinzelt spielt er mit den Bildern.
Das gleichermaßen furiose wie schmutzige Finale findet dann über fast 15 Minuten geschlossen in einem Raum statt. Selbstverständlich geht es da nur noch am Rande um die Frage, wer denn nun die eingangs erwähnte Journalistin umgebracht hat. Und natürlich gibt es keine finale Auflösung der ganzen Verschwörung. Stattdessen wird der Zuschauer Zeuge eines grausamen Kammerspiels, das stellvertretend für den Film steht: überhöht, abstoßend und doch faszinierend.