Regisseurin Pia Strietmann: "Ich musste bei Null anfangen"
Am 22. Juli wird es vier Jahre her sein, dass ein Teenager im Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschoss und dann sich selbst. Die Tat hat sich in Münchens kollektives Gedächtnis eingebrannt – nicht nur wegen der vielen Toten, sondern auch wegen der Panik, die die Stadt ergriff und stundenlang nicht losließ. Am Sonntag greift der Münchner "Tatort: Unklare Lage" mit Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl diesen Fall auf. Die ausführliche AZ-Kritik zum München-"Tatort: Unklare Lage" lesen Sie hier.

AZ: Frau Strietmann, wo waren Sie am 22. Juli 2016?
PIA STRIETMANN: In Berlin, ich lebe ja dort. Aber ich habe durch das Studium viele Freunde in München. Und obwohl ich nicht dabei war, hatte auch ich damals das Gefühl gehabt, Teil dieses Tages gewesen zu sein. Die Geschichten darüber kamen jetzt bei allen Filmteam-Mitarbeitern in der Vorbereitung auf diesen Film auch wieder aufs Tablett, auch wenn unser Film ganz bewusst nur in Anlehnung an die Ereignisse von damals spielt und eben keine Nacherzählung ist, sondern ein fiktiver Fall. Jeder sagte aber, er wisse noch genau, wie sich das damals angefühlt habe. Und so war es für mich wichtig, dass der Zuschauer dieses Gefühl irgendwie in seiner Echtheit aufgegriffen sieht.
Sie haben in München und Münster gelebt, welcher Tatort ist Ihnen lieber?
Ganz klar München, weil hier die Tonalität eine ernstere ist.
Das Drehbuch von Holger Joos ist in diesem Fall aber alles andere als ein klassischer "Tatort".
Das ist für mich die besondere Herausforderung an diesem "Tatort". Wir erzählen die Suche nach einem noch herumlaufenden, zweiten Amoktäter, den es eventuell gar nicht gibt. Das kreiert unweigerlich eine bedrohliche, verunsichernde Atmosphäre innerhalb einer Stadt. Diese Atmosphäre mit viel Tempo, aber mit einem überschaubaren Budget herzustellen, das ist dann schon die größte Herausforderung in diesem Fall.
Strietmann: Der Realismus ist entscheidend
In anderen Filmen bilden Szenen mit einem Spezialeinsatzkommando den Höhepunkt, bei Ihnen sind die fast den ganzen Film mit dabei. Ging es ihnen um die Bilder oder wollten sie so realistisch wie möglich arbeiten?
Dies ist ja nicht nur mein erster "Tatort", sondern mein erster Krimi überhaupt als Regisseurin. Ich musste in der Vorbereitung bei Null anfangen, was die Vorgehensweise der Polizei angeht. Ich habe also mit einem gewissen Ehrgeiz gearbeitet, denn was mich als Zuschauer immer an Krimis stört, ist, wenn sie in der Darstellung der Polizeiarbeit wenig glaubhaft inszeniert sind. Wir haben im Vorfeld viel recherchiert. Wichtig war uns, die Geschichte so realitätsnah wie möglich zu erzählen - ohne jedoch an den brisanten Stellen von den tatsächlichen Einsatzstrategien zu viel zu offenbaren.
"Unklare Lage" ist Ihr erster "Tatort", für Wachtveitl und Nemec ist es der 83. Einsatz. Schüchtert das ein?
Nein, da freut man sich drauf. Ich habe eine große Achtung vor den beiden, mit wie viel Respekt die nach wie vor das Drehbuch begreifen und wie viel Konzentration, Aufmerksamkeit und Willen sie mitgebracht haben, etwas Besonderes zu gestalten. Das sind jetzt keine Schauspieler, die in Routine verfallen, weil sie wissen wie es geht. Es war eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die mir großen Spaß gemacht hat.
Die beiden können es sich ohnehin nicht mit Ihnen verscherzen, Sie drehen ja auch den zweiten Teil des gemeinsamen Einsatzes des Dortmunder und des Münchner Teams zum 50. "Tatort"-Geburtstag in diesem Jahr – also ihr Duell mit dem Regisseur Dominik Graf, der den ersten Teil schon gedreht hat.
Ich sehe das nicht als Duell. Das ist schon auch eine Zusammenarbeit. Wir reden da auch gemeinsam drüber, schließlich soll dieser Zweiteiler bei aller Unterschiedlichkeit unserer Handschriften ja auch ein Werk sein. Für mich ist das eine große Ehre, neben so einem renommierten Regisseur, der für mich immer auch ein großes Vorbild war, einen Film drehen zu dürfen. Dass man da unfreiwillig in einen Vergleich kommt, bleibt ja leider nicht aus, aber mit einem Duell hat das natürlich nichts zu tun.
Strietmann: "Dass mehr Frauen Krimis machen, ist überfällig"
Der "Tatort" ist noch eine starke Männerdomäne. Sind das nun gute Zeiten für Regisseurinnen?
Die aktuelle Frauenquotendebatte ist wichtig und richtig. Dass langsam auch mehr Frauen Krimis machen, ist mehr als überfällig und man ist da noch lange nicht in einer gesunden Ausgewogenheit. Für meine Begriffe darf man bei all dem nicht vergessen, dass derzeit generell viel gedreht wird und es somit eine gute Zeit für gute Regisseure ist. Ob die nun männlich oder weiblich sind, sollte eines Tages keine Rolle mehr spielen. Niemand sollte, so hoffe ich jedenfalls, wegen des Geschlechts mehr angefragt werden, sondern weil man die oder derjenige ist, die oder der einen guten Zugang zum Drehbuch hat und bei der oder dem die Chemie passt zwischen Autor, Produktion und Redaktion. Das ist wichtig.
Sie haben in München an der HFF studiert, war das entscheidend für Ihre Karriere?
Ich habe zwar schon vor der Filmhochschule beim Film gearbeitet, aber die HFF war absolut prägend. Sich auszuprobieren, überhaupt erst einmal seine eigene Handschrift entwickeln und damit auch scheitern zu dürfen bei einem Kurzfilm: Das alles sind Freiheiten, die man nur als Student hat. Scheitern erlaubt die Branche sonst nicht. Insofern waren die Jahre an der HFF enorm wichtig für mich.
Den München-"Tatort: Unklare Lage" sehen Sie am Sonntag um 20.15 Uhr in der ARD
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