"Parfum": Patrick Süskind am Niederrhein

Ein Duft von Papier lag über Deutschland im Jahr 1985 – und von da an hielt sich Partick Süskinds „Geschichte eines Mörders“ neun Jahre lang in der Spiegel-Bestsellerliste und war am Ende weltweit 20 Millionen Mal verkauft.
Statt im Paris des Spätbarock sind wir am Niederrhein – und zwar heute
Alle Ingredienzien stimmten: historischer Roman und Krimi, Künstlergeschichte und Bildungsroman. So konnten sich Normal- und Bildungsbürger, Leseratten und Philologen gleichermaßen über „Das Parfum“ beugen, wo alles auf 300 Seiten verdichtet war und nach einer Verfilmung schrie.
Die allerdings kam – wegen des Zögerns des Münchner Autors – erst 20 Jahre später, nachdem Süskind-Freund Bernd Eichinger dem scheuen Schriftsteller die Filmrechte doch abgetrotzt hatte. Aber dem Regisseur Tom Tykwer fiel nichts Spannendes ein, wie man so etwas Ätherisches wie Duft und Hartes wie Besessenheit in Bildern fassen konnte.
Wer jetzt, ab morgen, den TV-Sechsteiler „Parfum“ anschaut, bekommt keine epische Neuverfilmung, erzählt wird etwas ganz anderes: Statt im Paris des Spätbarock sind wir am Niederrhein – und zwar heute. Denn „Parfum“ ist ein Thriller, um eine ehemalige Internats-Clique, die in den 80ern von Patrick Süskinds Roman zu verrückten und perversen Ideen angestachelt wurde.
So schimmern durch diese TV-Serie von Regisseur Philipp Kadelbach Motive des Romans immer nur durch. Im – oft versteckten – Zentrum bleibt aber die Suche nach dem perfekten Duft. Und August Diehl spielt auch einen der ehemaligen Freunde, der in Paris Parfümeur geworden ist.
Der Wunsch nach Attraktion eines Liebesunfähigen
Schon in Süskinds Roman ist die Besessenheit, ein unwiderstehliches Parfum zu erzeugen, der Wunsch nach Attraktion und Liebe eines Liebesunfähigen. Der neue Sechsteiler der Autorin Eva Kranenburg psychologisiert hier noch raffinierter, indem er die Beziehungsunfähigkeiten, Komplexe und Obsessionen einer ganzen Schulkameradengruppe auf die sensible Spätpubertätszeit zurückführt, als sich sexuelle Rangordnungen ausbilden und Eifersucht und Demütigungen zu Grausamkeiten und Komplexen führen.
Diese Jugendgeschichten der 80er färben die ganze Gegenwartshandlung unheimlich ein: Die Farben sind leicht vergilbt und auch über der – auf den ersten Blick – reizlosen Provinzlandschaft des Niederrheins liegt ein unheimlicher Schleier. Selbst „moderne“ Glasfront-Villen bekommen hier keine heitere Helle, und im Swimmingpool mit selbstreinigendem Wasserpflanzenüberlaufbecken liegt eines trüben Mittags die Leiche der seit Teenietagen begehrten Ex-Mitschülerin und mittelerfolgreichen Sängerin K (Siri Nase).
Elegant verflochten, ungemein spannend und atmosphärisch beklemmend
Die Ermittlungen fächern nicht nur verkorkste Psychen hinter mehr oder weniger (Bordellbesitzer) bürgerlichen Fassaden auf, sondern auch die Frage: Wie wirken Verletzungen in der Jugendzeit in das gesamte Leben nach? Das alles ist elegant verflochten, ungemein spannend und atmosphärisch beklemmend erzählt, wobei die Kunst auch darin bestand, physische und psychische Gewalt zu zeigen, ohne sie gewaltsam darzustellen. Wer eine Süskind-Verfilmung erwartet, wird enttäuscht, wer einen packenden, atmosphärisch dichten und intelligenten Krimi sehen will, dessen Reiz auch in den neu verarbeiteten „Parfüm“-Romanmotiven liegt, bekommt hier höchste TV-Serien-Kultur.
14. November, 22 Uhr auf ZDFneo