Oliver Mommsen: "Der 'Tatort'-Hype macht mir Angst"

Der "Tatort - Alle meine Jungs" ist erneut ein ungewöhnlicher Fall, der sich nicht lange mit der Suche nach einem Mörder aufhält. Immerhin wird mal wieder "ein Fass aufgemacht", wie es Stedefreund-Darsteller Oliver Mommsen im Interview formuliert.
von  (mih/spot)
Oliver Mommsen als Nils Stedefreund im "Tatort - Alle meine Jungs"
Oliver Mommsen als Nils Stedefreund im "Tatort - Alle meine Jungs" © Radio Bremen/Jörg Landsberg

Seit 13 Jahren ermittelt der Schauspieler in Bremen

Oliver Mommsen (45, "Komasaufen") ist lange genug dabei, um die aktuelle Lage der "Tatort"-Nation einzuschätzen. Seit 2001 ermittelt der gebürtige Rheinländer an der Seite seiner Kollegin Sabine Postel (60) als Ermittler Nils Stedefreund in Bremen. Wie er den aktuellen Hype um das Krimi-Format einschätzt und warum er sich Sorgen machen würde, wenn die Zuschauer irgendwann aufhören zu meckern, verrät er im Interview mit spot on news.

"111 Gründe den 'Tatort' zu lieben" können Sie hier nachlesen

Nach "Brüder" ist Alle meine Jungs erneut ein ungewöhnlicher Tatort. Vermissen Sie es nicht manchmal, einen ganz einfachen 08/15 -Krimi zu drehen?

Oliver Mommsen: Ein Kumpel hat mich mal gefragt, ob bei uns in Bremen nicht einfach mal ganz klassisch ein Typ seine Alte umbringen kann. Aber ich finde gut, dass unsere Fälle immer eine kleine Wundertüte sind. Ich bin damit sehr glücklich.

Manchmal übertreiben Sie es aber ein bisschen und dann meckern Zuschauer und Kritiker.

Mommsen: Klar, manchmal verheben wir uns auch. Aber es ist immer der Mut da, ein Fass aufzumachen. Das macht Spaß und ist auch wichtig. Die "Tatort"-Landschaft ist mittlerweile so bunt, da braucht man ein Alleinstellungsmerkmal. Das haben wir uns über lange Jahre erkämpft. Erst wenn manche Zuschauer nicht mehr meckern würden, müssten wir uns Sorgen machen. Und wenn ich mir unsere Quoten anschaue, scheinen die meisten Leute auch sehr zufrieden mit uns zu sein.

Jetzt haben Sie sich verraten: Sie warten nach der Ausstrahlung sehnsüchtig auf die Quoten...

Mommsen: Auf jeden Fall! Das ist zu einer Art Sport geworden und ist auch immer richtig spannend.

Aber sollte die Quote für die Öffentlich-Rechtlichen nicht egal sein?

Mommsen: Klar, doch der "Tatort" hat da eine Sonderstellung. Es gibt nunmal "Tatort"-Charts und Ranglisten. Ist doch nachvollziehbar, dass wir wissen wollen, wie unser Film bei den Zuschauern ankommt. Genauso wichtig wie die Quote ist deshalb die unmittelbare Reaktion auf der Straße: Es ist ein Unterschied, ob einem am Tag zuvor sieben oder zehn Millionen Menschen gesehen haben.

Inwiefern?

Mommsen: Man wird anders wahrgenommen. Es sprechen einen viel mehr Leute an. Manche erschrecken sich an der Wursttheke auch, weil man am Abend davor noch bei ihnen zuhause im Fernseher war...

Apropos Zuschauerreaktion: Müllmänner kommen im aktuellen Fall ziemlich schlecht weg. Angst, dass ihre Tonnen jetzt erst einmal nicht geleert werden?

Mommsen: Eher hätte ich Angst haben müssen, dass nach "Brüder" jemand mit einer Knarre vor der Tür steht. Aber im Ernst: Die Zuschauer sind schon so schlau, den "Tatort" von der "Tagesschau" zu unterscheiden. Wir sind im Bereich der Fiktion, ich bin kein Kriminalhauptkommissar und unsere Leichen sitzen während der Dreharbeiten bei mir am Mittagstisch.

Trotzdem hat der "Tatort" auch oft eine politische Dimension. Nach "Brüder" hat sich der frühere Bremer Polizeipräsident zu Wort gemeldet und kritisiert, der Krimi trage zur Stigmatisierung bei.

Mommsen: Wenn ich am Set stehe, habe ich nicht das Bedürfnis, Weltpolitik zu machen. Klar ist auch, dass wir mit Themen, die einen aktuellen gesellschaftlichen Bezug haben, manchmal auf Nerven stoßen, die sehr blank liegen. Aber wie gesagt: So eine Reaktion ist mir immer noch lieber, als wenn kein Mensch über die Filme spricht.

Haben Sie Angst, dass auf den aktuellen "Tatort"-Höhenflug eines Tages der Absturz folgt? "Wetten, dass..?" galt schließlich auch jahrelang als TV-Institution.

Mommsen: Einerseits finde ich großartig, wie das Format gerade abgeht. Andererseits macht mit der "Tatort"-Hype auch Angst. Denn alles, was in Deutschland gehyped wird, wird irgendwann auch niedergeknüppelt. Das liegt offenbar in unserer teutonischen Seele. Die Gefahr besteht, dass sich das Format irgendwann verbraucht.

Die ARD scheint ihre Sorge zu teilen und reagiert darauf mit immer komplexeren Fällen nach Vorbild der großen US-Serien.

Mommsen: Das finde ich genau richtig. Einerseits ist der "Tatort" eine gewachsene Institution, die verschiedene Menschen und Generationen vereint. Wotan Wilke Möhring hat es mal "das letzte Lagerfeuer der Wohnzimmer" genannt. Das fand ich sehr treffend. Andererseits muss man den Zuschauern auch immer neue Dinge liefern. Die Zeit schreitet voran. Deshalb halte ich es für richtig, die Inszenierung und Erzählweise anzupassen.

Sollte sich der "Tatort" wirklich mit Serien wie "Breaking Bad" messen?

Mommsen: Das geht ja gar nicht, der "Tatort" ist schließlich immer ein mehr oder weniger abgeschlossener Film, US-Serien laufen über mehrere Staffeln. Aber ich glaube, dass wir von dem Serien-Hype profitieren. "Breaking Bad", "Dexter" oder "House of Cards" haben bewiesen, dass die Zuschauer auch Charakteren folgen, die keine Sympathieträger sind. Damit tun sich für uns Welten auf. Der "Held" muss plötzlich nicht mehr auf einem Schimmel und mit reiner Seele angeritten kommen, sondern kann auch gebrochen sein. Und ich weiß, dass auch in Deutschland gerade sehr fähige Autoren und Redakteure an spannenden Serien-Konzepten arbeiten.

In welcher US-Serie würden Sie gerne mitspielen, wenn Sie es sich aussuchen könnten?

Mommsen: "Homeland" hat mich umgehauen, "Sopranos" genauso. Das ist alles hochgradig spannend. Man muss aber auch sagen: Bei Serien haben uns die Amerikaner schon immer gezeigt, wo der Hammer hängt. Ob das jetzt "Miami Vice" oder "Flipper" war. Das liegt einerseits natürlich am Geld, andererseits ist Film und Fernsehen in den USA schon viel länger als bei uns eine ernstzunehmende Industrie. Das ist vom Aufwand bisher kaum mit Deutschland vergleichbar, auch weil hier einfach oft der Mut und der lange Atem gefehlt hat. Aber wie gesagt: Ich bin guter Dinge, dass sich das gerade ändert.

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