Netflix-Serie "The Crown": Hirschtest auf Schloss Balmoral

Auch die vierte Staffel der Netflix-Serie "The Crown" ist aufwändig und intelligent inszeniert.
Florian Koch |
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Aus der scheuen und unsicheren Diana (Emma Corrin) wird bald die Prinzessin der Herzen.
Aus der scheuen und unsicheren Diana (Emma Corrin) wird bald die Prinzessin der Herzen. © Des Willie/Netflix

Eine Königin Auge im Auge mit einem Hirsch. Ganz allein, in Tränen aufgelöst und nicht mehr in der Lage ihre strenge royale Fassade zu wahren. Bis das gleichsam bewunderte wie gejagte Tier plötzlich verschwindet - und am Ende doch erlegt wird, "die Queen" ihr Mitleid zeigen kann.

Vierte Staffel "The Crown" mit junger Diana Spencer

Eine fiktive, unvergessliche Szene aus dem gleichnamigen Kinofilm, die nun 14 Jahre später in einer Art Vorgeschichte vom gleichen Autor, Peter Morgan, auf raffinierte Art und Weise wieder aufgegriffen wird. Nun ist es, in der vierten Staffel seiner Netflix-Hitserie "The Crown", die blutjunge Diana Frances Spencer (bewundernswert nah dran an der Ikone: Emma Corrin), die den Hirsch, ein verletzter Vierzehnender, an der Seite von Prinz Philip (Peter Menzies) fixiert und sogar Anweisungen erteilt.

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Dianas Entschlossenheit beim Erlegen des Tieres mitzuhelfen ist aus ihrer Sicht verständlich. Denn mit dem Tod des Hirsches, dem Jagderfolg, hätte sie den unbarmherzigen royalen "Balmoral Test" bestanden, wäre sie als Teil "der Firma" akzeptiert, würde endlich der Traum einer Prinzessin wahr werden, ohne dass sie die Konsequenzen dieser Entscheidung wirklich erahnt. Und tatsächlich wird dieser erlegte Geweihträger in der wie immer bis ins letzte Kostümdetail makellos inszenierten Serie Dianas Trumpfkarte. Was rückblickend auch bedeutet, dass die Queen nach dem Tod von Lady Di im Kinofilm im so majestätischen Hirsch vielleicht mehr gesehen hat als nur eine Begegnung mit sich selber, mit ihrem Inneren.

Margaret Thatcher spielt große Rolle in Netflix-Serie

Aber nicht nur mit der Einführung der späteren Königin der Herzen bekommt das auf sechs Staffeln angelegte Royalisten-Melodram eine prickelndere Note. Denn Peter Morgan widmet einer anderen geschichtsträchtigen Britin, der Premierministerin Margaret Thatcher, ("Akte X"-Star Gillian Anderson brilliert mit Perücke und Reibeisenstimme) mindestens genauso viele Szenen wie Lady Diana. Und mehr noch, er verknüpft ihr beider Schicksal wagemutig mit dem royalen Kosmos um ihr stetiges Gewissen und Zentrum Queen Elizabeth II. (Olivia Colman).

Die gerade erst gewählte "eiserne Lady" ist es nämlich, die zuvor beim "Balmoral Test" kläglich scheitert, sich mit dem falschen Schuhwerk, der unpassenden Wortwahl bei den Royals lächerlich macht, bis sie sich erbost mit einem "Das ist doch alles Zeitverschwendung" vom Landwesen entfernt, um sich - ganz Workaholic - wieder in London ihren Amtsgeschäften zu widmen.

Für das Wohl Großbritanniens

Auftritt Diana, die mit ihrem Charme alle bezaubert, auch wenn der zukünftige Gemahl Prinz Charles (in unterkühlter Mimik und gebogener Körperhaltung perfekt: Josh O'Connor) skeptisch auf die arrangierte Ehe blickt, den Kontakt mit der geliebten Camilla (Emerald Fennell) nicht aufgeben will. Und am Ende der Staffel, als der Thatcherismus, diese knallhart den Sozialstaat missachtende Wirtschaftspolitik abgestraft wird, gewinnt die Politikerin, die sich über den Umgang mit dem Commonwealth mit der Queen noch zerstritten hatte, doch wieder den Respekt der Monarchin: im gemeinsamen Aufopfern individueller Bedürfnisse für das höhere Ganze, dem Wohl Großbritanniens.

Dahingegen verliert Lady Di, die das kindlich Unschuldige immer mehr abstreift und vom Volk für ihre Nahbarkeit und ihren Glamour gefeiert wird, bald die Anerkennung der Queen, weil die an Essstörungen Leidende in ihren Augen selbstverliebt nur an den eigenen Status, nicht aber an die royalen Tugenden, die Rettung der auch durch Affären in Scherben liegenden Ehe mit Prinz Charles denkt. Trotz dieser drei starken, aber auch schon oft filmisch und literarisch gewürdigten Frauenfiguren schaffen Morgan und sein Team stetige Überraschungsmomente.

"The Crown" sticht aus Serienallerlei hervor

Ständig verlagern sie den Fokus, mal auf die unglücklichen vier Kinder der Queen, dann auf die noch verzweifeltere, kränkliche Ex-Party-Löwin Margaret (Helena Bonham Carter) oder auf die anonym in Pflegeheimen untergebrachte geistig behinderte royale Verwandtschaft. Schicksale, die ja nicht publik werden sollten, weil sie doch die laut Queen Mum "reine Blutlinie" und damit die Autorität der Krone gefährden würden. Es sind diese kritischen Abschweifungen bis hin zum arbeitslosen, vom Thatcherismus gepeinigten Palast-Einbrecher Michael Fagan, die "The Crown" so vielschichtig machen und aus dem Serienallerlei hervorstechen lassen.


Alle zehn Folgen von "The Crown" Staffel 4 ab 15. November auf Netflix.

 

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