Nach Kritik von Autor Frank Schätzing: Meeresbiologin Antje Boetius erklärt die Aktualität von "Der Schwarm"
In seinem Science-Fiction-Roman "Der Schwarm" entwarf Frank Schätzing 2004 das Bild einer intelligenten, maritimen Lebensform, die zu einem Kampf gegen die Menschheit ausholt. Nun wurde der Bestseller als internationale Koproduktion des ZDF verfilmt. Dort wird die achtteilige Thriller-Serie ab Montag, 6. März, um 20.15 Uhr ausgestrahlt. In der Mediathek gibt's die Folgen schon zu sehen.
Frank Schätzing kritisiert Verfilmung von "Der Schwarm"
Buchautor Frank Schätzing selbst scheint nicht viel von der TV-Adaption seines Werks zu halten, schimpfte die Produktion im Interview mit "Die Zeit" als "rühr- und redseliges Beziehungskisten-TV".

Von der Aktualität seines Buches sei nichts mehr zu spüren, wie er sagte. Aber wie sehen Experten die Thriller-Serie "Der Schwarm"? Die AZ sprach mit Prof. Dr. Antje Boetius (55), Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung, die die Filmemacher beraten hat, über die Geheimnisse des Meeres, echte Bedrohungen und die Aktionen der "Last Generation".
Frank Schätzing hat für "Der Schwarm" mit zahlreichen Wissenschaftlern gesprochen
AZ: Frau Prof. Boetius, wie wurde der Roman "Der Schwarm" seinerzeit in Ihrem Kollegenkreis aufgenommen?
PROF. BOETIUS: Mit Begeisterung, weil sich ein Bestseller selten so sehr mit dem Ozean, mit Forschung und wie Meereswissen entsteht beschäftigt hat. Dazu muss man sagen, dass Frank Schätzing, bevor er das Buch geschrieben hat, ein Jahr lang herumgereist ist und mit ganz vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen hat. Er hat Storys abgeholt: Wie geht Forschung? Wie ist es auf einem Forschungsschiff? Was sind Eiswürmer und wie können Gashydrate Tsunamis auslösen? Das Famose war: Nachdem das Buch erschienen ist, wussten alle Leute Bescheid, was Methaneis ist und was einen Tsunami ankündigt. Es berichteten sogar Leute, dass sie in Südostasien diesen riesigen Tsunami überlebt haben, weil sie im Buch gelesen hatten, wie das aussieht: Das Wasser am Strand geht weg und kommt plötzlich wieder. Sie konnten dann noch rechtzeitig wegrennen.
Wünscht man sich als Zeugin dessen, was wir dem Meer antun, manchmal insgeheim dessen Aufbegehren?
Ich wünsche mir sicherlich keine Rache der Natur und vor allem keine globalen Mächte von intelligenten Einzellern, die uns Menschen vernichten. Ich würde mir wünschen, dass wir Menschen das zeigen, was wir eigentlich können: Klug und strategisch die Zusammenarbeit mit der Natur pflegen. Das ist unsere Überlebensgeschichte, sonst wären wir gar nicht hier auf diesem Planeten. Wir mussten schon durch ein paar harte Zeiten durch. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat aber ein ganzer Teil der Menschheit jegliche Orientierung in Bezug auf Ressourcen und deren Verschwendung verloren. Dass das dann Konsequenzen für uns alle hat, und es leider so ungerecht ist, dass der ärmste Teil der Weltbevölkerung, der am wenigsten Ressourcen verbraucht, am meisten leiden muss, das finde ich grauenvoll. Deswegen mag ich am "Schwarm", dass er den Meeren gewidmet ist, und wir Zuschauer einfach mal ein paar Schubser bekommen, darüber nachzudenken, wer eigentlich das Monster ist.
Prof. Dr. Antje Boetius: "Mich faszinieren die Geheimnisse um die Netzwerke des Lebens"
Sie haben beratend an der Verfilmung mitgewirkt.
Genau. Es fing mit vielen Fragen darüber an, wie es auf dem Forschungsschiff aussieht und wie Forschung heutzutage geht. Ich bin über solche szenischen Fragen reingekommen, und wurde dann gefragt, ob ich auch auf das Drehbuch schauen könnte, sodass – möglichst im Schätzing-Stil – neue Forschungsprozesse und aktuelle Perspektiven und Methoden mit drin sind. Es ist ja schon 20 Jahre her, dass Frank das Buch geschrieben hat. Das habe ich gerne gemacht und es hat mir viel Freude bereitet, weil ich auch ein Serienfan bin. Ich habe "Game of Thrones" auf einer Polarexpedition geschaut. Und ich fand es toll, dass ich an einem so großen Projekt, an dem auch "Game of Thrones"-Produzenten und Autoren beteiligt waren, mitmachen kann. Ich habe selbst viel gelernt, wie die Autoren es schaffen, aus dem dicken Buch ein straffes, dramatisches Skript zu machen. Dabei komplexe Zusammenhänge auf ein paar Actions und Dialoge runterbrechen, und die Geschichte wieder neu erzählen. Da habe ich auch viel gelernt. Was sich auch geändert hat: Vor 20 Jahren im Buch, da waren die Rollen aus Wissenschaft, Industrie und Politik noch vorwiegend Herren, jetzt in der Serie wird viel mehr Diversität gezeigt, es gibt mehr Heldinnen.
Welches der zahllosen Geheimnisse, die die Weltmeere in sich bergen, fasziniert Sie am meisten?
Ich bin als Biologin ausgebildet. Mich faszinieren die Geheimnisse rund um die Netzwerke des Lebens. Wenn verschiedene Arten zusammenkommen und durch ihre Zusammenarbeit artenübergreifend neue Funktionen schaffen, nennt man das "Symbiose". Eine Kooperation, um etwas zu können, was keiner alleine kann. Davon haben wir in der Tiefsee sehr viele, faszinierende Beispiele. Das ist auch Teil meiner Forschung. Wie Lebewesen sich mithilfe von anderen Lebewesen einen Platz sichern, wachsen und produktiv sind in extremen Lebensräumen, wo man sich denkt: "Es geht doch gar nicht, dort zu leben." Das ist auch Thema im Schwarm – wie kooperieren Meereslebewesen. Und deswegen habe ich mich gefreut, dass begleitend zur Serie "Der Schwarm" noch eine zweiteilige Dokumentation rauskommt. Die durfte ich auch beraten und dort dürfen einige der besten Forscherinnen und -Forscher darüber sprechen, wie real es ist, dass verschiedene Arten in den Meeren zusammenarbeiten. Das gibt einen direkten Einblick in die Meeresforschung.
"Der Anstieg des Meeresspiegels bedeutet Vertreibung von Menschen"
Wo sehen Sie die größte reale Gefahr durch das Meer für die Menschheit?
Insgesamt macht mir der Meeresspiegelanstieg am meisten Sorge. Der ist für die Zeitskalen, in denen wir Menschen denken, unumkehrbar. Wenn die großen Eisschilde Grönlands und der Antarktis ins Rutschen geraten, Masse verlieren, steigt der Meeresspiegel immer schneller. Durch die Erwärmung wird der Ozean ohnehin einen höheren Meeresspiegel haben, weil warmes Wasser sich ausdehnt. Die Eisschmelze lässt ihn noch schneller steigen. Wenn ich daran denke, dass wir acht Milliarden Menschen sind und die Hälfte in Küstennähe wohnen, die meisten davon ohne Deiche, dann bedeutet der künftige Meeresspiegelanstieg eine Vertreibung von Menschen und ein Verlust von Natur, von der wir gar keine Vorstellung haben. So etwas haben wir auf der globalen Skala noch nie erlebt, so ein Drama ist uns völlig unbekannt.
Mit welchen Gedanken beobachten Sie die Tatsache, dass sich hierzulande viele Menschen in abstrusen Theorien verstricken, anstatt der Wissenschaft zu glauben?
Erstmal Faktencheck: Die Mehrheit der Menschen in Deutschland hat ein
hohes Vertrauen in die Wissenschaft. Gott sei Dank! Das kann man im sogenannten "Wissenschaftsbarometer" nachlesen, es ist gerade im Dezember rausgekommen. Leider ist das Augenmerk viel mehr auf die Wenigen gerichtet ist, die dem Stand des Wissens widersprechen, frei nach: "Ich glaube, die Erde ist doch eine Scheibe!" oder "Ich glaube, dass Bill Gates mir einen Chip unter die Haut platziert hat." Ich will nicht unbedingt verlachen, dass Menschen sich so fremd in ihrer eigenen Welt fühlen, dass sie logische Zusammenhänge leugnen. Ich wünschte, wir wären als Gesellschaft gewappnet, zugrunde liegende Sorgen wahrzunehmen, damit zu arbeiten und zusammen weiterzukommen. Andererseits gab es auch schon immer Leute, die aus dem gelebten, praktizierten Wissen aussteigen und sich ihr eigenes Ding bauen. Problematisch finde ich, wenn diese dann dafür überproportional viel Raum kriegen im öffentlichen Dialog, oder es der Wissenschaft verantwortet wird, besser zu erklären – wenn das Gegenüber schon ganz aus Logik ausgestiegen ist.
Was halten Sie von den Aktionen der "Klima-Kleber"?
Ach je, vor allem mag ich diese Bezeichnung nicht. Und ich frage mich, woher diese massive Aufmerksamkeit auf diese Protestformen kommt. Erstmal ist doch klar, dass angesichts der Krisen, die schon begonnen haben und der enormen Verzögerung im Handeln Unruhe entstehen muss. Die Frage ist doch eher, wie man heute als junger Mensch damit umgehen kann, dass die Zukunft Angst macht, mit allen Vorzeichen, unter denen sie steht. Als ich Jugendliche war, war gerade die Zeit des Wettrüstens in Chemiewaffen und Atomwaffen. Da haben wir gedacht: "Die Erwachsenen sind doch irre! Die machen die Erde kaputt, die machen die Zukunft kaputt!" Wir sind auf die Straßen gegangen und haben demonstriert, uns an Bäume gebunden und auf die Straße gesetzt und festgekettet. Der zivile Widerstand, die Proteste waren wichtig, jetzt haben wir ein Chemie- und Atomwaffenabkommen. Für junge Menschen heute ist es schwer, sie lernen ja in der Schule, welche globale Bedrohung der Klimawandel ist, sind selbst Zeuge davon und wissen auch die Fakten – es sieht eben gerade nicht so aus, als würden wir noch das 1,5°-Ziel erreichen. Was für Aktionen können junge Leute denn machen, wenn sie verzweifelt sind, weil sie aus dem politischen Geschehen keine Hoffnung schöpfen können? Ich wünschte, die Politik würde sich mehr Zeit nehmen und den Dialog pflegen, vor allem auch Lösungswege aufzeichnen.
"Wissen hilft gegen Angst"
Wie bewahren Sie Ihren Optimismus?
Ich bin Erdsystemforscherin und beschäftige mich mit ganz langen Zeitskalen des Lebens. Wissen hilft gegen Angst, finde ich. Und wir merken alle, dass was passiert und sich verändert. Ein paar Beispiele: Wir haben einen europäischen Rahmen, in dem wir handeln können, den sogenannten "Grünen Deal". Der gibt Hoffnung, weil er klare Klimaschutzziele setzt und Anreize geschaffen hat, dass wir uns Richtung Klimaneutralität bewegen, wenn auch zu langsam für das 1,5° Ziel. Zum ersten Mal in der Geschichte des Menschen haben sich auf globaler Ebene alle Nationen geeinigt, dass bis 2030 30 Prozent der Erdoberfläche wieder in guten Naturzustand verwandelt werden und nachhaltig genutzt müssen. Noch vor kurzem wäre das undenkbar gewesen. Es geht dabei nicht nur um technische Lösungen, die ja auf der Hand liegen, sondern vor allem auch um einen fairen Schutz von Atmosphäre und Natur. Die reichsten zehn Prozent der Menschheit emittieren derzeit so viel CO2 wie die ärmste Hälfte – die am meisten unter dem Klimawandel leidet. So wird klar, wo man ansetzen muss, die Transformation zu stemmen.
Ihr Großvater hat den Absturz der "Hindenburg" und im Krieg die Versenkung seines Schiffes überlebt. Er hätte wahrscheinlich auch den Angriff des Meeres überstanden, oder?
(lacht) Naja, er war selbst auch erstaunt davon, dass er mit dem Leben davongekommen ist. Als Kinder wollten wir immer von ihm hören, wie es einem genau in dem Moment geht, wenn man eigentlich weiß, dass es unwahrscheinlich ist, dass man da wieder rauskommt. Er hat erzählt: Wenn das eigene Leben bedroht wird, sitzt man nicht rum und denkt: "Ach ja, das war’s jetzt." Es geht ja ums Überleben. Da braucht es klare Sinne, man tut das, von dem man sich verspricht, dass es dem Überleben hilft. Mir hat er immer gesagt: "Pass mal auf, Antje. Du fährst zur See. Wenn also eine Durchsage kommt: *'Rettungswesten an, das Schiff verlassen!' musst du alles anziehen, was du findest! In dem Moment, wo du ins kalte Wasser fällst, fühlt sich das schwer an. Du willst vielleicht gerne die Stiefel ausziehen und die Jacke, weil sie vollläuft und du das Gefühl hast, sie zieht dich runter. Aber besser alles anziehen, warm bleiben, was zum Festhalten finden. Bloß keine Panik!"
"Der Schwarm" läuft ab dem 6. März 2023 im ZDF. Die ersten sechs Episoden der achtteiligen Thriller-Serie sind bereits in der ZDF-Mediathek zu sehen.