Mitten in Deutschland

Mit einem Mammutprojekt versucht das Erste, den Terror des NSU aufzuarbeiten.
von  Volker Isfort
Daheim bei Nazis: Uwe Mundlos (Albrecht Schuch, links), Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe) und Uwe Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky) schauen fern.
Daheim bei Nazis: Uwe Mundlos (Albrecht Schuch, links), Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe) und Uwe Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky) schauen fern. © SWR / Stephan Rabold

Mit einem Mammutprojekt versucht das Erste, den Terror des NSU aufzuarbeiten.

Drei Filme mit einer Gesamtspieldauer von 285 Minuten hat der Sender produzieren lassen, außerdem eine Dokumentation. Der erste Teil am Mittwoch (30. März) erzählt nun von den Tätern, der zweite (Montag, 4. April, 20.15 Uhr) von den Opfern, der dritte Film und die Doku (Mittwoch, 6. April, ab 20.15 Uhr) versuchen schließlich, die Ermittlungsarbeiten zu rekonstruieren. Produziert wurde das Projekt von Gabriela Sperl und den Münchnern Quirin Berg und Max Wiedemann.

AZ: Frau Sperl, wann haben Sie mit den Überlegungen zu „Mitten in Deutschland“ begonnen?

GABRIELA SPERL: Schon im Jahr 2011 habe ich mit Stefan Aust über die damals von der Presse so genannten „Dönermorde“ gesprochen. Aust erzählte von einem Münchner Profiler, der klar davon ausging, dass die Morde dem rechtsradikalen Milieu zuzuordnen sind. Das fand ich sehr spannend. Dann wurden im November 2011 die beiden Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Wohnmobil in Eisenach gefunden, und kurz darauf stellte sich Beate Zschäpe. Die erste Frage, die sich aufdrängte und die leider bis heute nicht beantwortet ist: Wie können in einem Land wie unserem, das für seine Effizienz bekannt ist, 10 Mordfälle, 15 Banküberfälle und zwei Bombenattentate 10 Jahre lang nicht aufgeklärt werden? Dem wollte ich nachgehen. Es war klar, wir können uns nur auf eine Spurensuche begeben. Und durch das Zeigen der Geschichte aus drei verschiedenen Sichtweisen, Täter, Opfer und Ermittler, ist der Zustand eines Landes beschreibbar. Der ist heute leider viel trauriger als 2012. Für so ein Projekt braucht man die richtigen Partner. Allerdings. Und weil wir bei „Die Spiegel Affäre“ und „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ so toll miteinander gearbeitet haben, sind meine Produzentenpartner auch bei diesem Film Quirin Berg und Max Wiedemann. Mit Sophie von Uslar verbindet mich ein langer produzentischer Freundschaftsweg.

Ist so ein Projekt innerhalb der ARD ohne weiteres zu stemmen?

GABRIELA SPERL: Das war natürlich eine lange, beschwerliche Reise. In diesem Fall sind drei ARD-Sender und die Degeto beteiligt und jeder Sender – BR, SWR und WDR – betreut einen Film. Der MDR ist als vierter Sender bei allen dabei. Die verschiedenen Redaktionen haben mit uns sehr eng und einvernehmlich zusammengearbeitet, sonst hätten wir das nie hinbekommen.

Wie würden Sie für so ein Projekt den Erfolg bewerten, das kann ja nicht allein die Quote sein?

GABRIELA SPERL: Für mich ist es ein Erfolg, wenn wir aufregen und aufrütteln. Wenn wir anknüpfen an das Versprechen von Frau Merkel. Sie sagte 2012 bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer, dass diese zehn Morde lückenlos aufgeklärt werden müssen. Wir sind heute weit entfernt von einer lückenlosen Aufklärung. Es gibt mehr Fragen denn je. Und die stellen wir. Wieso wissen wir nach 270 Verhandlungstagen im Fall Beate Zschäpe nicht viel mehr als im Herbst 2011? Da kommt man doch ins Grübeln. So spannend die Filme auch sind, die Trilogie kann sachlich nichts Neues erzählen.

MAX WIEDEMANN: Ich glaube, an diesem Punkt setzt ja die Wirkungsweise einer fiktionalen Erzählung an. Ein Spielfilm kann etwas schaffen, das kein Sachbuch schaffen kann und keine Dokumentation: Nämlich die Schicksale nacherlebbar zu machen. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie viele Flüchtlingsheime in Deutschland im letzten Jahr alleine angegriffen wurden, waren es 700 oder doch 900? Das sind erst einmal nur Zahlen. Aber das Einzelschicksal eines hilfsbedürftigen Menschen, der um Leib und Leben fürchten muss, das ist etwas, was den Menschen ans Herz geht. Und darum geht es im übertragenen Sinne auch bei diesem Projekt: Wir wollen dem Zuschauer einen Zugang zu dem Thema auf einer menschlichen Ebene, jenseits der reinen Fakten- und Aktenlage, geben.

GABRIELA SPERL: Es ist immer so eine Frage mit dem Neuigkeitswert. Wenn Sie davon ausgehen, dass jeder die 900 Seiten „Heimatschutz“ von Stefan Aust und Dirk Laabs gelesen hat, dann erzählen wir wirklich nichts Neues. Aber wer hat das schon? Was wir machen, ist, die Essenz dieser Erkenntnisse auf eine andere, eine emotional nachlebbare Ebene zu bringen. Wenn die Zuschauer sich empören, sich aufregen, schauen sie dadurch vielleicht plötzlich anders hin. Das Schicksal der Semiya Simsek, Tochter des ersten NSU-Opfers, ist das Schicksal eines ganz normalen deutschen Mädchens, das plötzlich schmerzlich merkt, dass sie nicht dazu gehört.

Ist das für Sie eine Art Aufklärungsarbeit, die Sie betreiben?

GABRIELA SPERL: Wenn Sie meine Filme kennen, wissen Sie, dass ich immer versuche, wichtige, politische Themen zu vermitteln. Und ich hoffe, Menschen dadurch animieren zu können, kritisch und wachsam zu sein. Als wir mit dem Projekt begannen, konnte sich niemand von uns vorstellen, dass drei Jahre später der Rechtsradikalismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen sein könnte. Damals gab es keine Flüchtlingskrise, keine Pegida, keine AfD. Und Sätze, die das NSU-Trio bei uns im ersten Film von sich gibt, sind heute mitten unter uns salonfähig geworden. Das geht einfach nicht. Dadurch gefährden wir das Wichtigste, was wir haben: die freiheitlichen Grundwerte unserer Demokratie.

Da sind wir schon Mitten in der Problematik des „Täter“-Films: minutenlange Sequenzen von Nazi-Konzerten, die – aus dem Kontext gerissen – auch so als Werbevideo durchgehen würden.

GABRIELA SPERL: Das ist eine Gefahr, die wir ganz bewusst eingegangen sind, die auch der Regisseur Christian Schwochow genauso gewollt hat. Ihm geht es darum, zu zeigen, wie diese Verführung und Radikalisierung gelingen kann. Wenn man da nur moralisierend aus der Vogelperspektive draufschaut, dann bleibt man in der sicheren Distanz, versteht nichts. Wenn wir selber kurzfristig die Sogkraft spüren, dann erschrecken wir über uns selber. Und müssen zu einer klaren Haltung finden.

Wenn ich „Die Täter“ falsch verstehen möchte, dann sehe ich einen Film, der auch Verständnis weckt für zehnfache mutmaßliche Mörder.

MAX WIEDEMANN: Es ist ganz wichtig, die Dynamik in diesem Radikalisierungsprozess authentisch zu verstehen, auch für die Gesellschaft. Es ist ganz einfach zu sagen, das sind nur Fehlgeleitete, nur Monster, die haben mit mir nichts zu tun. Aber mit so einer Haltung schaffen wir es nie, mit dieser Bewegung fertig zu werden. Wir denken, das Böse sei in jedem Moment und in jeder Situation zu erkennen, deshalb könnte man ihm selbst nie verfallen, aber genau so ist das Böse ja nicht: Es offenbart sich nicht als das Böse, es kommt in einer anderen Maske daher, gibt oftmals vor, das Richtige zu sein. Dafür eine Sensibilität zu entwickeln, ist der erste Schritt, es zu bekämpfen. Kann man durch so ein Projekt auch öffentlichen Druck auf die Behörden ausüben? GABRIELA SPERL: Das ist nicht die Motivation für so ein Projekt. Wir wollten zunächst für uns selber erfahrbar machen, was da los war. Wir haben Tausende von Akten gewälzt, haben mit zig Zeugen gesprochen und sind am Ende, ähnlich wie viele andere inzwischen auch, zu dem Ergebnis gekommen, dass die Geschichte so, wie sie von offizieller Seite erzählt wird, nicht stimmen kann. Das wollen wir in die Welt stellen, das hat auch für sich genommen eine starke Energie. Ob diese dann Druck erzeugt, das liegt auch an der Presse. Ich glaube aber nicht, dass im Fall der NSU-Morde die volle Wahrheit jemals ans Licht kommen wird. Dazu gibt es viel zu viele Menschen im Hintergrund, die das gar nicht wollen.

Herr Wiedemann, Ihre Firma produziert Komödien wie „Männerherzen“, aber auch politisch hoch brisante Filme. Haben Sie da Präferenzen?

MAX WIEDEMANN: Ich würde das eine nie gegen das andere abwägen, das sind – wie beim Sport – unterschiedliche Disziplinen. Wir sind bei jedem Film mit großem Enthusiasmus dabei.

 

 

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