„Mia san jetz da, wo’s weh tut“

Der "Tatort"-Regisseur und Autor Max Fäberböck über den neuen Fall und das Jubiläum von Nemec und Wachtveitl.
von  Volker Isfort
Ein kleiner Espresso auf das Dienstjubiläum, dann müssen Batic und Leitmayr wieder an die Arbeit.
Ein kleiner Espresso auf das Dienstjubiläum, dann müssen Batic und Leitmayr wieder an die Arbeit. © BR

Der "Tatort"-Regisseur und Autor Max Fäberböck über den neuen Fall und das Jubiläum von Nemec und Wachtveitl.

München - In „Mia san jetz da, wo’s weh tut“ geht es um den Mord an einer jungen, rumänischen Prostituierte – ein Routinefall, der eigentlich geklärt zu sein schien. Der geständige Mörder wurde schnell gefunden und verurteilt. Leitmayrs einfache Erklärung: „Milieu, Ivo, schon mal gehört: Er blau, braucht Geld, sie plärrt, Ende.“ Doch bald fallen Ungereimtheiten und schwere Ermittlungsfehler auf, und die Kommissare rollen den Fall wieder auf, um wiedergutzumachen, was sie einst versäumten. Damit treten sie allerdings eine Tragödie ungeahnten Ausmaßes los und müssen sich bald die Frage stellen, ob sie nicht lieber die Finger von der Geschichte gelassen hätten.

AZ: Herr Färberböck, war es für Sie etwas Besonderes, den Jubiläums-„Tatort“ zu machen?

MAX FÄRBERBÖCK: Nein, so ein Jubiläum ist schön und okay, aber eigentlich geht es nur darum, ob man eine Geschichte zu erzählen hat oder nicht. Ich habe für das Nürnberger Team den ersten „Tatort“ gemacht, da ging es mir auch nicht um den Startschuss, sondern um den Fall – und ich habe mich einfach von Nürnberg inspirieren lassen. Im 72. „Tatort“ wird das Geplänkel der Kommissare Batic und Leitmayr an den Rand gedrängt. Im Mittelpunkt steht ein knallharter Fall. Das ist bei allen Krimis so, die ich gemacht habe. Die Ermittlungen sind eine Mischung aus Intuition, Verzweiflung und Zorn, aus sehr starken emotionalen Momenten heraus. Grundsätzlich will ich Menschen zeigen, die in einer komplizierten Lage stecken. Ich habe einige Freunde bei der Polizei. Das ist ein aufreibender Job.

Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl gelten als Schauspieler, die auch stark in die Drehbuchdialoge eingreifen. Durften Sie das zum Jubiläum auch bei Ihnen?

Bei mir ist es so: Das Drehbuch ist eine Arbeitsfläche, ein Laborzustand. Von Improvisation, vor allem beim Krimi, halte ich aber nichts. Wir haben gemeinsam die erste Drehbuchfassung bearbeitet. Und beim Drehen selbst gebe ich die Dinge frei. Wenn ein Satz sitzt, dann sitzt er. Die beiden sehen das eher analytischer, ich gehe eher vom Rhythmus aus. Im Grunde genommen schreibe ich nur Schauspielvorlagen, aus denen dann hoffentlich interessante Menschen werden.

Die beiden feiern ja nicht nur deshalb 25-jähriges Dienstjubiläum, weil der BR sie nicht austauscht. Was glauben Sie, warum das Team noch immer funktioniert?

Ganz einfach: Die Intensität des Lebens hat zwar etwas mit Alter zu tun, aber es ist immer noch eine Frage der Hingabe, die Leute in sich haben. Und die beiden arbeiten sich auf, dieses Prinzip der echten Hingabe, egal, was man macht, ist charakter- und nicht altersbedingt.

Im Film fällt die unglaubliche Zahl von 8000 Frauen, die in München jährlich zum Zwecke der Prostitution ankommen.

Das hat sehr viel mit den Messen zu tun. Was aber eine tatsächliche Zahl ist – und die habe ich von der Polizei: Jährlich kommen ca. 2500 neue Frauen in die Stadt, nur nach München mit seinen rund 170 Bordellen. Ich hatte eigentlich eine ganz andere Idee für den Film. Da ging es um einen Zuhälterkrieg und eine schöne Helena in der Mitte. Die Polizei hat mir da ein bisschen den Kopf gewaschen, was ich wirklich großartig fand. Ein Polizist hat mir gesagt: „Solche Zuhälter wie in Ihrer Geschichte, die kennen wir nur noch aus dem Fernsehen, die gibt es nicht mehr.“ Ich habe die Geschichte sofort in die Tonne getreten. Und dann hat mir ein Polizist die moderne Form der Prostitution erklärt.

Was hat sich geändert?

Diese Frauen kommen nur für ganz kurze Zeit, ihre eigentliche Verbindung sitzt im jeweiligen Heimatland, das geht alles über den Laptop den ganzen Tag. Es gibt hier in München eine Art empfohlenes Ordnungssystem. Das bedeutet, dass die Frauen, die hierherkommen, auch von den Bordellbetreibern dazu aufgefordert werden, die Polizei zu besuchen. Dort werden sie auf ihre Rechte hingewiesen. Es gibt Vertrauensbeamte, die jederzeit erreichbar sind. Eigentlich ist inzwischen in diesem Milieu alles auf die größtmögliche Konfliktlosigkeit ausgerichtet. Und das funktioniert auch, es gibt definitiv weniger Gewalt als früher. Aber die Frauen bleiben meist nur ein paar Wochen in einem Bordell, und dann sind sie auf „Tournee“. Die können also keine festen Verbindungen mehr schaffen, und das war die Initialzündung für meinen Fall. Die Einsamkeit der Frauen ist in dieser Form neu in der Prostitution.

„Mia san jetz da, wo’s weh tut“ ist ein sehr brutaler „Tatort“.

Na ja, das ist ein Fall, in dem die Kommissare einen Bock geschossen haben, weil sie einen Fall für nicht wichtig erachtet haben. Jetzt merken sie, dass sie einen Fehler gemacht haben. Und der größte Fehler ist, dass sie diesem nachgehen und eine verheerende Kettenreaktion auslösen. So kommt es zu der hohen Opferzahl.

Glücklicherweise ist das keine Münchner Realität.

Ich denke an etwas, was mich seit dem letzten Jahr beschäftigt. Ich habe gemerkt, dass ich so viele Todesnachrichten aus der ganzen Welt lese, dass es einen immer weniger berührt. 30 Tote hier, 84 Tote da, das sind mittlerweile Artikel, die sind kleiner als die Schuhanzeige daneben. Ich habe gemerkt, dass die Geschwindigkeit der Zeit so wahnsinnig viele Reaktionen hervorruft, die überhaupt nicht mehr emotional zu erfassen sind. Und so ist das auch in diesem Film. Die Ausgangsgeschichte hingegen ist eine ganz einfache: Ein Junge, der das Leben seiner Freundin retten will.

Ist für Sie der „Tatort“ die Königsdisziplin der Krimis?

Wir haben mit den „Tatorten“ eine außergewöhnlich gute Situation in Deutschland. Die Stärke der „Tatorte“ ist ja die Diversität, die sie haben. Im Grunde genommen geht alles.

Wird nicht insgesamt inzwischen zu viel geulkt?

Der absolute Freibrief, den man hat, weil das Publikum – solange es spannend ist – eigentlich alle Versuche mitmacht, der birgt auch Gefahren in sich. Krimis in Deutschland herzustellen, ist eine Industrie geworden, und da gibt es jede Menge Klischees, Wirkungsmechanismen und Spannungstechniken, die sich alle gleichen. Das Spektrum der Filme reicht von reinen Klischeemaschinen bis zu wirklich sehr eigenen Filmen. Aber es gibt die Gefahr des Originalitätszwangs, da merkt man dann den Vorsatz. Momentan versuchen Autoren und Regisseure oft, amerikanische Serien einzudeutschen. Man kann zwar Plot, Kamera, Schnitt und Musik ein bisschen kopieren, aber originäre Charaktere nicht.

Gibt es Vorbilder für Sie?

Ich mag Dominik Graf. Ich habe in all den Filmen, die er gemacht hat, noch nie eine lapidare Figur gefunden. Das ist das Geheimnis der Arbeit, finde ich. Ansonsten gilt das Credo von Ingmar Bergman: Wenn Du nichts zu sagen hast, dann mach daraus keinen Film. Das finde ich bindend. Ich nehme die Arbeit der Kommissare ernst. Was ich nicht mag, ist, wenn der Plot die Geschichte bestimmt, wenn sich alle Figuren danach bücken müssen. Ich erzähle eine Geschichte von eigenständigen Figuren. Und es ist mir ganz wichtig, dass man als Zuschauer in der gleichen Situation steckt wie die Kommissare. Ich halte nichts davon, wenn die einem die Welt beschreiben oder erklären. Oder so wahnsinnig gescheit sind, weil der Autor es will.

Krimi-Jubiläum: Batic und Leitmayr feiern 25sten

 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.