Martin Suter und die Zeit

In seinem Roman „Die Zeit, die Zeit“ bewegt Martin Suter sich am Rand der Science Fiction – und das Fernsehen zeigt zwei Verfilmungen seiner Bücher.
Elegant im Anzug, überlegt sprechend und sehr charmant – so erlebt man den Schweizer Erfolgsautor Martin Suter beim Interview. Sein aktuelles Buch „Die Zeit, die Zeit“ (Diogenes, 296 Seiten, 21,90 Euro) ist mal wieder ein Musterbeispiel smart konstruierten Erzählens: Peter Taler beobachtet seinen Nachbarn, den alten Herrn Knupp, und wird in dessen Vorhaben hineingezogen, die Zeit zurückzudrehen, zu einem Punkt, als sowohl Knupps als auch Talers Frau noch lebten. Wie immer sehr filmisch ist der Roman geschrieben – und gleich zwei Verfilmungen von Suter-Romanen sind kurz vor und nach Weihnachten zu sehen: Am heutigen Samstag „Der Teufel von Mailand“ und „Der letzte Weynfeldt“ Anfang Januar.
AZ: Herr Suter, Sie haben verschiedene Wohnsitze, auf Ibiza, in Guatemala und Zürich. An welchem Ort geht denn die Zeit am langsamsten vorbei?
MARTIN SUTER: In Guatemala. Wenn wir zum Beispiel für größere Einkäufe nach Guatemala City fahren wollen, dann dauert ein Weg drei Stunden. Aber ob uns der Fahrer dorthin bringt, auf uns wartet und uns dann zurückbringt, oder ob er uns nur zum Flughafen hin- und herfährt, macht keinen Unterschied. Das kostet gleich viel, weil er nur die Strecke berechnet. In Guatemala hat die Zeit wenig Wert und damit wenig Bedeutung.
Hat das auch mit der Wärme dort zu tun?
Es ist gar nicht so wahnsinnig warm. Wir wohnen auf 1550 Meter. Da sind die Nächte und Vormittage kühl.
Schreiben Sie meistens dort?
Ja.
Ist Schreiben ein Prozess, bei dem Sie die Zeit vergessen?
Ja. Obwohl ich mir manchmal vornehme, bei Sonnenuntergang mit dem Arbeiten aufzuhören, um mit meiner Frau ein Glas Wein zu trinken, passiert es oft, dass ich plötzlich merke, es ist schon acht und die Sonne seit zwei Stunden weg. Das geschieht auch beim Suchen nach Formulierungen. Manchmal merke ich: Jetzt hast du eine halbe Stunde an einem Satz gearbeitet.
Man hat das Gefühl, Sie polieren Ihre Texte blank, um den Lesefluss zügig zu halten. Nehmen Sie beim Nochmal-Lesen viele Details heraus?
Nein, ich nehme Details nicht nachträglich heraus, sondern schon beim Schreiben. Ich arbeite lang an einem Satz. Wenn es gut läuft, schreibe ich fünf Seiten am Tag.
Und die stehen dann?
Die stehen dann, weil ich acht Stunden gearbeitet habe. Eine Seite sind dreißig Zeilen. Wenn ich 150 Zeilen durch acht Stunden teile, komme ich auf weniger als zwanzig Zeilen die Stunde. Das ist nicht viel. Aber ich schreibe jeden Tag. So geht es dann doch einigermaßen schnell vorwärts.
Peter Taler, die Hauptfigur in Ihrem Roman „Die Zeit, die Zeit“, wohnt weit weg vom Ort Ihres Schreibens, in einem Wohnblock in der Schweiz. Von Anfang an beobachtet er die gegenüberliegende Häuserzeile, besonders einen Nachbarn, Herrn Knupp. Das erinnert an Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“.
Beobachten ist ein Motiv, das in vielen meiner Romane vorkommt. In „Der Teufel von Mailand“ gibt es die Szene, in der die Hauptfigur im Dorf ankommt und das aus verschiedenen Blickwinkeln beschrieben wird. Das Beobachten und Beobachtet-Werden hat auch etwas Unheimliches. Jetzt fand ich es spannend, diese zwei Männer in „Die Zeit, die Zeit“ zu beschreiben, die lange nicht merken, dass sie vom anderen beobachtet werden.
Schon „Small World“ war ein Zeitreisestoff.
Das Thema Zeit interessiert mich grundsätzlich. Ich wollte es nochmal anpacken mit der Frage: Wie und warum könnte jemand versuchen, die Zeit zurückzudrehen?
Der Roman umfasst eine Spanne von 1992 bis 2012. Sie arbeiteten damals als Journalisten und als Autor - Berufe, die sich in den 20 Jahren grundlegend verändert haben.
Was heute komplett anders ist, ist die Recherche. Die ersten Bücher schrieb ich noch ohne Internetunterstützung. Früher musste man ganze Bibliotheken durchkämmen. Ich saß vor einem Riesenhaufen Recherchematerial und wusste nicht, wo ich anfangen soll, diesen abzutragen.
„Der Teufel von Mailand“ ist nun im ZDF zu sehen. Inwieweit entsprechen die Bilder des Films denen, die Sie beim Schreiben im Kopf hatten?
Was Verfilmungen angeht, lasse ich von Anfang an die Hoffnung fahren, dass sie genauso sind wie meine Romane. Man darf als Autor aber auch nicht denken, dass man eine werkgetreue Übersetzung sehen wird. Ich schaue mir diese Filme an, wie jeden anderen Film, den ich noch nicht kenne.
Ihre Romane eignen sich für Verfilmungen, weil sie szenisch geschrieben, clever konstruiert und pointenreich sind. Woher kommt eigentlich dieses Vergnügen am Verfassen von Pointen?
Das Vergnügen am Verfassen von Pointen kommt vom Vergnügen am Lesen von Pointen. Ich mag Pointen. Ich habe sie immer schon gemocht. Sie sind wie eine Belohnung, eine Belohnung des Lesers für geduldiges und treues Lesen des Abschnitts. Wenn er angefüttert ist, wenn er weiß, da kommt ab und zu eine Pointe, dann ist das wie die Karotte vor dem Esel.
Und am Ende darf man die Karotte sogar essen.
Ja, man darf sie essen.
„Der Teufel von Mailand“ (Sa, 22.12., 21.45 Uhr) und „Der letzte Weynfeldt“ (Sa, 5.1., 21.45 Uhr), jeweils ZDF