Kritik zum Wien-"Tatort: Die Amme": Komm, süßer Schlaf

Er kommt diesmal ohne den Schmäh, die Sticheleien und die komödiantischen Momente aus. Warum gerade deshalb der "Tatort: Die Amme" aus Wien sehenswert ist. Die TV-Kritik.
Stephan Kabosch
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Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) wird der Fund einer Toten in einer trostlosen Wohngegend gemeldet.
Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) wird der Fund einer Toten in einer trostlosen Wohngegend gemeldet. © Petro Domenigg/ARD Degeto/dpa

Achtung, Spoiler! Diese TV-Kritik gibt mehr oder weniger konkrete Hinweise auf die Handlung des "Tatort: Schoggiläbe". Wenn Sie nichts verraten bekommen wollen, warten Sie mit der Lektüre des Textes, bis Sie den Film gesehen haben (Das Erste, 28.02.2020, 20.15 - 21.45 Uhr und in der ARD-Mediathek).

Braucht der Wiener "Tatort" den Schmäh als Grundmotiv, die Sticheleien zwischen den Ermittlern als roten Faden, braucht er die Postkartenidylle der Stadt, die komödiantischen Einwürfe des Assistenten Fredo? All das sind die Zutaten, die lange Zeit einen erfolgreichen Österreich-Krimi ausmachten. Zuletzt aber wirkte diese Wiener Mischung arg abgedroschen, war wohl alles auserzählt an psychischen Nebenbefindlichkeiten, alles gezeigt an Charme und (Beziehungs-)Chaos. Mit dem "Tatort: Die Amme" beweisen Mike Majzen (Buch) und Christopher Schier (Regie), dass Wien auch anders funktionieren kann, besser. 

Tatort aus Wien: Der Zuschauer weiß es schon

Ein einfaches "Scheiße" reicht, als Chefermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer in seinem 50. Fall) den Tatort betritt. Eine Frau liegt tot am Boden einer Gemeindebauwohnung. Eisner und seine Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) fahnden nach dem Mörder der Prostituierten. Vor allem aber suchen sie den nach der Tat verschwundenen Sohn des Opfers. Der Zuseher weiß da schon, dass sich das Kind in der Gewalt von Janko (Max Mayer) befindet, einem Mann in Frauenkleidern, der sich als liebevolle Mama ausgibt. Und der irgendwo in Wien noch ein zweites Kind festhält. Auch dessen Mutter war eine Prostituierte, auch sie wurde ermordet. 

Dass der Fall der Fellner im Wortsinn den Schlaf raubt, dass die Ermittlergedanken zwischen religiösem Wahn, Pädophilenring, Prostitution und Drogen ("Crack ist wieder im Kommen") kreisen, dass den Machern ein Inszenierungskniff gelingt, indem sie den Psychopathen Janko in seiner ständig wechselnden Mann/Frau-Doppelrolle als angeblichen Undercover-Ermittlerkollegen an Eisners Seite agieren lassen, dass sich die Spannung zwar hält, das Ende mit dem SEK-Einsatz, dem Erschießen Jankos und der Befreiung der beiden Kinder indes nicht besonders überrascht - das alles fügt sich gut zusammen. Aber es sind vor allem die beklemmend-düsteren Bilder und die kontrastierende Akustik, die diesen "Tatort" zu einem besonderen machen.

Wien-Tatort: Homöpathische Dosen Schmäh

Die Tristesse des Sozialbaus mit seinem simplen Mobiliar, den vom Rauch vergilbten Gardinen, den 70er-Jahre-Tapeten. Der diesmal eben nur in homöopathischen Dosen eingesetzte Schmäh ist kein Selbstzweck. Ohne ihn ließen sich der Horror und die Abgründe ja kaum aushalten. Und auch nicht ohne das Meeresrauschen, das über einer Rotlichtszene liegt. 

Am Ende kann Bibi - wenn auch nicht ganz freiwillig - endlich das, was ihr davor nächtelang nicht gelungen ist: schlafen. Es ist nur wohliges Atmen zu hören. Und der Zuseher hat das Gefühl, aus einem Alptraum zu erwachen. Sehenswert. Hörenswert.

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2 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 29.03.2021 18:26 Uhr / Bewertung:

    Super Tatort! Obwohl der Zuschauer wußte, wer der Täter ist, im Gegensatz zu den Ermittlern, war er spannend bis zum Schluß.
    Auch der "Psychopath", hervorragend gespielt ( "Mama ist wieder da"). Aber eines frag ich mich schon, wo treiben die diese Wohnungen mit den übergreißlichen Tapeten auf?

  • Heide Fröttmaninger am 28.03.2021 21:05 Uhr / Bewertung:

    Tatort Wien, jetzt ganz neu, ohne Humor!
    Und das schon zum zweiten Mal.
    Künftig werde ich auf dieses 0815-Schlafmittel verzichten (wär was für die Bibi *g*), sowas könnte ich mindestens 480 Stunden am Tag sehen, wenn ich wollte, auf all den Sendern, die ihre Sendezeit mit Krimi-Massenware von der Stange füllen.
    Da schmeiß ich mir lieber meine "Kottan ermittelt"-DVD rein, aber natürlich nicht die Gaga-Folgen mit ZDF-Beteiligung, das meine ich nicht mit Humor...

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