Ist der "Tatort" von der Flüchtlingskrise überholt worden?
Im "Tatort: Kollaps" (18. Oktober) mussten drei Menschen sterben, weil drogendealende Asylbewerber Kokain auf einem Spielplatz vergraben hatten... Angesichts der aktuellen Situation und der viel größeren Zusammenhänge, in denen seit ein paar Monaten gedacht werden muss, scheint der Fall fast ein wenig überholt. Die Nachrichtenagentur spot on news hat bei Schauspielerin Anna Schudt (41), die im Film Kommissarin Martina Böhnisch spielt, nachgefragt, wie sich dieser Krimi in das gesellschaftliche Top-Thema einordnen lässt.
Drogendealende Asylbewerber... Ist der "Tatort: Kollaps" von der Flüchtlingskrise überholt worden?
Anna Schudt: Der Film ist vor zwei Jahren entwickelt worden. Dass Flüchtlinge auf ihrer Route Grässliches erleben und dann irgendwo stranden, ist nach wie vor real. Sie können nicht arbeiten. Und wenn sie arbeiten dürfen, empfinden manche Einheimische die Stellen als weggenommen. Diese Problematik wird uns bestimmt bleiben. Das Thema im Film ist zwar ein paralleles, aber auch ein ganz anderes. Dieser Tage geht es ja um eine Völkerwanderung, einen Bevölkerungsrutsch aus den gewaltvollen Staaten in die gewaltfreien, mit den entsprechenden Fragen: Wie gehen wir damit um? Wie kommen die Flüchtlinge aus den Turnhallen wieder raus und ins Leben? Nichtsdestotrotz ist der "Tatort" so, wie wir ihn gedreht haben, auch immer noch Realität.
In "Tatort: Mein Revier" (Nov 2012), "Tatort: Eine andere Welt" (Nov 2013), "Tatort: Hydra" (Januar 2015) und im neuen "Tatort: Kollaps" ging/geht es um Migrations-Themen. Warum so oft?
Schudt: Das ist kein Zufall. In Dortmund sind diese Themen tatsächlich sehr präsent. Der Autor Jürgen Werner recherchiert auch stark nach Themen, die dort verortet sind. Natürlich gibt es das alles auch in anderen Städten. Bei uns geht es aber um Dortmund und in dieser Stadt ist die Neonazi-Problematik ganz dominant, ebenso die Flüchtlings-Problematik und konkret auch die Drogen-Problematik im Westfalenpark. Das ist alles sehr aktuell und sehr gut recherchiert.
Ein anderes Thema im "Tatort: Kollaps" ist das Thema "Working Mum". Auch im echten Leben haben Sie Kinder, drei Söhne. Wie schaffen Sie den Spagat?
Schudt: Bei mir sind die Vorzeichen positiv: Ich habe eine tolle Familie, ein tolles soziales Netzwerk und genug Geld, um meine Kindermädchen zu bezahlen. Außerdem arbeite ich wahnsinnig gerne. Ich finde es toll, wenn jeder in der Familie das verwirklichen kann, was ihn glücklich macht. Bei uns ist das der Fall. Wir haben uns diese Freiheit erarbeitet. Ich kann es mir aber auch leisten, mal wochen- oder monatelang zu Hause zu bleiben, wenn meine Kinder in einer Phase sind, in der sie mich brauchen. Meine Kinder finden es aber genauso in Ordnung, wenn ich arbeiten gehe, weil dann der Papa da ist oder die Oma oder das Kindermädchen, das sie gerne mögen. Manchmal geht es aber auch nicht anders. Dann muss man mehr arbeiten, als gut ist. Manchmal sitzt man zu Hause und würde gerne arbeiten, aber es gibt nichts...
Im "Tatort" entscheiden sich die Kinder gegen ihre Mutter, Kommissarin Bönisch. Wie viel Mitleid haben Sie mit ihr?
Schudt: Gar keines. Die Söhne haben sich dafür entschieden, beim Vater zu leben, weil sie sagen, dass die Mutter nie da gewesen ist. Und so wird es wohl auch gewesen sein, in deren Empfindung. Damit muss sie jetzt eben umgehen, ob es ihr nun gefällt oder nicht. Ich fühle aber mit ihr und finde es schon auch tragisch. Sie wird daran wachsen oder daran zugrunde gehen. Das ist dann aber ihre Entscheidung.
Welche Rolle spielt es, dass die ersten fünf Folgen ihres Teams - und auch der aktuelle Fall "Kollaps" - aus der Feder desselben Drehbuch-Autors, Jürgen Werner, stammen?
Schudt: Auf diese Weise konnten wir sehr gut auch horizontal erzählen. Dadurch bekamen die Figuren einen sehr persönlichen Anstrich. Alles in allem hat es funktioniert und darüber bin ich froh, weil wir Schauspieler auch sehr dafür gekämpft haben. Mal sehen, wie weit unsere Figuren mit der horizontalen Erzählweise kommen...
2012 war der erste Dortmund-"Tatort" mit Ihnen als Kriminalhauptkommissarin Martina Bönisch zu sehen. Was hat sich für seitdem für Sie verändert?
Schudt: Der "Tatort" hat viel verändert und mich beruflich nach vorne gepusht. Ich habe das Gefühl, dass inzwischen wesentlich mehr Leute wissen, wer ich bin - branchenintern und beim Publikum.
Ihr "Tatort"-Team kommt bei Publikum und Kritikern gut an. Wie groß war die Sorge, ob Ihr neues Team beliebt sein wird?
Schudt: In erster Linie muss man vollkommen hinter dem stehen, was man macht. Wenn das so ist, kann man es dann immer vertreten. Ich weiß, dass unser "Tatort"-Team sehr kontrovers diskutiert worden ist. Schlussendlich findet uns der überwiegende Teil aber wohl gut.
Ihr Tatort-Team zeichnet sich durch bitterböse Dialog-Feuerwerke aus. Wie ist es hinter der Kamera: besonders lustig oder besonders konzentriert?
Schudt: Eher zweiteres. Ich würde uns aber auch generell nicht als lustig bezeichnen. Wir sind eher trocken. Es ist ein trockener, böser Witz - kein alberner. Damit die Dialoge im Film dann das richtige Tempo haben und es nicht gefühlig wird, muss man schon sehr konzentriert arbeiten. Wenn wir uns abseits des Sets sehen, sind wir aber natürlich schon alle furchtbar lustig.
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- Udo Wachtveitl