Interview mit Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl
Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl bekommen es beim 66. „Tatort“-Einsatz mit einem zynischen Internet-Satan zu tun und sind über die Social-Media-Aktivitäten des BR nicht glücklich
Wie weit darf Sensationsjournalismus gehen? Dürfen ahnungslose Menschen mit der Kamera überrumpelt und im Internet dem Spott und der gnadenlosen Neugier preisgegeben werden? Eine interessante Frage, mit der sich der „Tatort“-Krimi mit dem Titel „Allmächtig“ des Bayerischen Rundfunks auseinandersetzt. Die Folge dieser öffentlichen Bloßstellung ist hier – natürlich – ein Mord. Im Mittelpunkt steht ein Journalisten, der in seinen Internet-Filmchen weit über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus Menschen an den Pranger stellt und sie demütigt. Dabei geht er so perfide und skrupellos vor, als wäre sein Opfer der Teufel höchstpersönlich – ein Satan, der ausgetrieben werden muss. Das „Erste“ zeigt den Münchner Krimi mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec und Alexander Schubert.
Schubert spielt den Part des sensationslüsternen Entertainers sehr überzeugend – ein Kontrast zu seiner Rolle des völlig verschüchterten Außenreporters bei der ZDF-„heute show“. Vor laufender Kamera dringt er ungefragt in intimste Bereiche der Opfer vor, um sie später in bitterbösen Internet-Clips vorzuführen. Seine Auftritte würzt er mit Anspielungen auf Hölle und Teufel – so ist sein Künstlername Anast ein Anagramm für Satan. Auch sein Blick hat etwas Diabolisches.
AZ: Herr Wachtveitl, Herr Nemec, Ihr 66. „Tatort“ thematisiert den medialen Satan, das kann bei der Zahl ja kein Zufall sein.
UDO WACHTVEITL: Natürlich haben wir das seit Jahren geplant, mussten aber immer wieder aufpassen, dass wir mit dem Zählen nicht aus dem Tritt kommen. Aber im Ernst: Natürlich ist das Zufall. Vielleicht einer, der passt.
Ein klassisches, öffentlich-rechtliches Drehbuch: Der Satan sendet im Internet und will ins Privatfernsehen.
WACHTVEITL: Wir sind nicht angetreten, um Privatfernseh-Bashing zu betreiben. Aber im Internet sammeln sich halt mehr Sumpfdotterblumen als woanders. Vielleicht ist es auch nur der Trägheit der öffentlich-rechtlichen Sender geschuldet, aber die ganz große Hemmungslosigkeit hat hier zum Glück noch nicht um sich gegriffen.
Sie gehören auch nach 22 Jahren im Einsatz noch zu den beliebtesten aktiven „Tatort“Ermittlern. Haben Sie dafür eine Erklärung?
WACHTVEITL: Von wie vielen denn, 100?
MIROSLAV NEMEC: Gibt es denn überhaupt noch Kollegen, die keine „Tatort“-Kommissare sind?
Wenige. Trotzdem, irgendwas machen Sie wohl richtig?
WACHTVEITL: Vielleicht, dass wir weitestgehend auf Mätzchen verzichten.
NEMEC: Wir hatten ja lange eine gute Konstellation mit dem Michael Fitz.
WACHTVEITL: Ah – und jetzt nicht mehr?
NEMEC: Doch, jetzt hat es sich verdichtet. Aber wir haben meistens auch gute Bücher und Themen. Gut ist, wenn man nichts mehr weglassen kann. Also jede einzelne Szene sollte wichtig sein, und das gleiche gilt für die Dialoge. Unsere Kontinuität zu wahren, das ist ein Erfolgsrezept.
WACHTVEITL: Wir haben eine gewisse Bandbreite, fast Experimentalfilme wie „Außer Gefecht“ gemacht, einen satirischen Ausflug in die Volksmusik. Bei uns wüsste man im guten Sinne nicht, was kommt, hat mal einer geschrieben.
Wenn Sie ein Drehbuch lesen und es gefällt Ihnen nicht, dann ist es eigentlich schon zu spät?
WACHTVEITL: Ja, wir können das Oberflächengekräusel noch verändern, aber nicht mehr die Grundströmung des Buches. Wir können auch auf logische Brüche noch einwirken, die sieht man beim ersten Lesen in einem Rutsch manchmal besser als jemand, der schon ein Jahr mit dem Buch befasst ist.
NEMEC: Wobei man natürlich auch sagen muss, wie ein Regisseur den Film dann schneidet und vertont, das beeinflussen wir nicht mehr. Trotzdem verbindet der Zuschauer natürlich unsere Gesichter mit der Folge.
Wenn Sie dann am Montag morgens zum Semmelnkaufen gehen...
WACHTVEITL: Also nach unserem letzten „Tatort“, Dominik Grafs „Aus der Tiefe der Zeit“, habe ich gar keine Semmeln mehr bekommen…
NEMEC: ...und mir wurde die Wurst verweigert.
Ist doch toll, wenn man noch Wirbel verursacht. Und Ihre BR-Fernsehchefin, Bettina Reitz, hat Ihnen ja im AZ-Interview vor einigen Wochen bereits ein Ermittlungsrecht bis zum Rollator eingeräumt.
WACHTVEITL: Der Witz ist aber von uns. Der entstand bei der Ehrenpreisverleihung vom Bayerischen Fernsehpreis: „Und jetzt lobt auch noch der Landesvater uns - den Münchner und den Kroater, dass wir geh’n noch lang auf Verbrecherfang, wenn’s sein muss, auch mit dem Rollator.“
NEMEC: Udo hat das gedichtet. Aber nicht, dass Sie das falsch verstehen, das ist jetzt kein dringender Wunsch von uns. Ich möchte jedenfalls nicht mit 97 Jahren noch ermitteln – höchstens bis 95...
Sehen Sie sich manchmal Ihre alten „Tatort“-Folgen an, die ja dauernd wiederholt werden?
NEMEC: Andere sehen die und man wird dann darauf angesprochen: „Gestern habe ich dich gesehen. Mei, da sahst du ja noch ganz anders aus.“ Manche sagen auch „jünger“.
WACHTVEITL: Das hört man natürlich ganz besonders gerne!
NEMEC: Aber sowas soll nach 20 Jahren sogar bei ehemaligen Lolitas vorgekommen sein.
Wie reagieren Sie eigentlich auf Kritik?
WACHTVEITL: Inzwischen ist es ja so, dass sich jeder Schreihals mit Rechtschreibschwäche in einem Forum äußern kann – und dies auch tut. Man muss jemanden schon kennen, damit man seine Kritik ernst nehmen kann.
NEMEC: In den 70ern gab es in Berlin ein Theater, das versuchte eine neue Form der Mitbestimmung. Da durften alle, von der Putzfrau bis zum Ensemble, gleichberechtigt abstimmen, welches Stück gespielt werden sollte, und wer welche Rolle kriegt. Man hat wirklich versucht, das umzusetzen, aber das war Unfug. Natürlich kann jeder eine Meinung haben, aber die ist deswegen nicht unbedingt relevant für unsere Arbeit.
WACHTVEITL: Dass allerdings nun der BR auffordert, zu chatten und zu mailen, während der „Tatort“ läuft, das halte ich für schwierig. Das klingt ja wie eine Aufforderung, den Film nicht bewusst zu schauen.
NEMEC: Dominik Graf hatte beispielsweise so schnelle Schnitte, als ob man im Kino sitzt. Der hat natürlich den Anspruch, dass keiner aufs Klo geht oder zum Kühlschrank. Der Film erfordert die volle Aufmerksamkeit, da kann ich doch nicht nebenbei mailen.
Gibt es eigentlich einen Ihrer unüberschaubar vielen neuen Kollegen, der Ihnen gefallen hat?
NEMEC: Ja.
WACHTVEITL: Ich finde, der Ulrich Tukur ist ein sehr guter Schauspieler.
Sonntag, 22. Dezember 2013, 20.15 Uhr, ARD