Hans Steinbichler: "Wir gehen zu leichtfertig mit dem Thema Abtreibung um"
Berlin - Für Hans Steinbichler war klar, dass er den Chiemsee-Krimi "Hattinger und die kalte Hand" (heute, ZDF, 20.15 Uhr) nur mit dem Schauspieler Edgar Selge als Mörder realisieren würde. Wo sich andere vielleicht ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt hätten, haben sich die Produzenten bei dem 44-Jährigen auf den Deal eingelassen. Denn bereits mit seinem aufsehenerregenden und preisgekrönten Spielfilmdebüt "Hierankl" (2003) hat sich Steinbichler einen Namen gemacht.
Mit der Nachrichtenagentur spot on news hat der charismatischen Regisseur, der im schweizerischen Solothurn geboren und im bayerischen Kothöd aufgewachsen ist, über Abtreibung, das Rauchen im Film und seinen Mörder - gespielt von Edgar Selge - gesprochen.
Ein ernstes Thema im Krimi "Hattinger und die kalte Hand" ist die Abtreibung. Was halten Sie davon, Herr Steinbichler?
Hans Steinbichler: Ich habe selbst Kinder und bin der Ansicht, dass wir zu leichtfertig mit dem Thema Abtreibung umgehen. Für mich als Individuum kommt eine Abtreibung gar nicht in Frage, aber ich maße mir natürlich nicht an, meine Meinung anderen aufzudrücken. Insbesondere natürlich den Frauen nicht, die mit dieser Frage und den Konsequenzen umgehen müssen.
Ist das Thema zu wenig in den Medien, zu wenig in der Diskussion?
Steinbichler: Ja, das Thema ist leider überhaupt nicht in unserem Bewusstsein. Das ist so, weil uns in Deutschland nur wichtig ist, dass jeder machen darf, wozu er Lust hat, und insbesondere an nichts gehindert werden will. Deshalb wird das Thema Abtreibung nicht diskutiert, obwohl gerade die gesellschaftliche Diskussion so wichtig wäre - und zwar nicht aus den ideologischen politischen Lagern heraus oder von den Religionen, sondern unter ganz einfachen menschlichen Aspekten. Ich glaube, man hat den Frauen mit den medizinischen und juristischen Möglichkeiten letztendlich einen Bärendienst erwiesen. Denn es ist ja inzwischen klar, dass kaum eine Frau hinterher mit den Folgen umgehen kann.
Schönheits-Operationen, Wellness, Burnout - was verbinden Sie mit diesen Begriffen?
Steinbichler: Es sind Symptome einer kranken Gesellschaft, in der es nicht mehr möglich ist, zu scheitern, und auch nicht mehr möglich ist, zu altern, weil Altern im Grunde schon Scheitern ist. Das ist bei uns nicht erwünscht. Und deshalb drücken wir dem Wohlbefinden, um das man sich eigentlich ganz normal kümmern müsste wie um das Zähneputzen, plötzlich den Begriff Wellness auf. Und das Phänomen Burnout ist ebenfalls das Resultat unserer Huldigung an den Gott "Erfolg".
Sind Sie ein Perfektionist?
Steinbichler: Ja, das ist ja das Schreckliche. Perfektionist zu sein, ist eigentlich hoffnungslos in dieser Welt. In der Arbeit versuche ich es trotzdem, scheitere aber beständig daran.
Wie schnell verzeihen Sie sich einen Fehler?
Steinbichler: Ich habe gelernt, mir Fehler schnell zu verzeihen, weil ich natürlich viele mache und sonst sehr unglücklich wäre.
Zu Beginn des Krimis verbrennt Albrecht Ostermeier Zeugnis, Trauschein, Abstammungsurkunde etc. Was ist man denn ohne diese Unterlagen?
Steinbichler: In Deutschland ist man ohne diese Dokumente kein Mensch. Er verbrennt damit alles, was ihn als Person beschreibbar macht, er löscht damit seine Identität aus und weiß, dass er von jetzt an ohne Rücksicht seinen Weg gehen kann.
Man weiß von Anfang an, wer der Mörder ist. Warum ist das ein Risiko?
Steinbichler: Offen zu erzählen, sprich den Täter von Anfang an zu verraten, ist deswegen ein großes Risiko, weil es die Zuschauer nicht gewöhnt sind. Schließlich wollen sie mitraten, wer der Mörder ist. Damit keiner enttäuscht ist, war es so wichtig, einen Schauspieler zu engagieren, der trotzdem spannend bleibt. Und Edgar Selge bleibt spannend. Weil er unberechenbar ist.
Sie zeigen nicht unbedingt die malerischsten Flecken am schönen bayerischen Chiemsee. Warum nicht?
Steinbichler: In diesem Film ist der Chiemsee das Sinnbild für die Kälte der Figur, die handelt. Man bewegt sich auf dem Wasser, weiß aber nicht, was darunter ist. Und tief unten im See wird es sehr kalt. Der schöne Chiemgau war insofern nicht so entscheidend.
In Filmen wird heute wieder verstärkt geraucht. Warum ist das kein Tabu mehr?
Steinbichler: Rauchen im Film ist ästhetisch einfach ungemein schön. Außerdem zeigt ein Mensch, der raucht - hier der Kommissar Hattinger -, dass er ein Problem hat, das er anders nicht lösen kann. Es ist ein Zeichen von Schwäche und es hat immer so ein Moment von Selbstzerstörung.
Sie reden nicht wirklich Bayerisch, warum?
Steinbichler: Ich rede nur in diesem Umfeld hier nicht Bayerisch. Wenn ich heimfahre, schalte ich um. Mühsam abtrainiert habe ich mir den Dialekt schon im Gymnasium, weil ich vom Dorf kam und nicht als Dörfler angesehen werden wollte. Jetzt arbeite ich eher wieder daran Bayrisch reflexhaft und aus dem Bauch heraus zu sprechen.