Gottschalk: Kröten statt Gummibärle

Das Kommerzfernsehen versteht sich als Lockvogel-Rampe für Star-Entertainer und einfach gestrickte Exhibitionisten – sein Repertoire folgt dem Massenbedürfnis nach anspruchslosem Zeitvertreib. Es folgt aber auch dem rabiaten Konkurrenzkampf zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den Privaten um die Einschaltquoten: Man buhlt um Koryphäen und Publikumslieblinge.
Auf diese Weise gelang es der Krawallbude RTL, die stets auf Sensationsgier und Prollgehabe spekuliert, die erbärmliche Jahrmarktveranstaltung „Das Supertalent" mit zwei attraktiven Kontrastfiguren für die Jury neu aufzuladen, um das brüllige Vergnügen der johlenden Menge frisch anzuheizen: Schmuse-Onkel Thomas Gottschalk mit der spitzen Herzbubenzunge – und Vulgärkumpel Dieter Bohlen mit dem Rübezahl-Gossenlästermaul.
Nun ist es natürlich legitim, dass man sich, kaputt von der Alltagsplackerei, ohne großen Geistesanspruch mit simplem Spaß vergnügen will. Und dass der aus der untersten Schublade geliefert wird, begründen die Macher ja gerne mit der wackeren Logik, dass sie sich ihre Bumsvallera-Sendungen ja nicht für sauertöpfische Kritiker ausdenken, sondern für fröhliche Mitklatscher. Trotzdem habe ich als unterhaltungsbedürftiger Feierabendbürger selten eine so witzlose, langweilige Sammeltüte von peinlich vorgeführten Talent-Anwärtern gesehen wie diese Superstar-Freakshow.
Gleich bei der ersten Rasierschaum-Nummer gefror dem Gottschalk der positive Lustgewinn in der Mimik, bis zur Kundgabe von „I like it". Und die nächste Peinlichkeit, einem von den Eltern dressierten Kind beim Singen und Tanzen zuschauen zu müssen, wurde durch gemeinsame Gottschalk-Bohlen-Milde („komm wieder, denn du groß bist“) noch peinlicher.
Auch der Missbrauch von Hänschen-klein-singenden Papageien reihte sich ein in das Aufgebot größenwahnsinniger Imitatoren: Gottschalks Gesicht schaltete von Zitrone auf Zahnweh. Bohlen hielt sich eisern zurück. Die hemmungslose Begeisterung überließen sie ihrer Jury-Kollegin Michelle Hunzicer. Eine Schlangenfrau mit Gitarre erfüllte akrobatische Zirkusuqalitäten, und ein Humor-Tropf aus Pennsylvania trieb die Umschreibungskünste von Gottschalk & Bohlen ("Handfurzer-Performance") in die Fäkal-Exzentrik.
Mit einem Herzenswinselsänger, einem Zauberkünstler und dem "ältesten Bungeespringer der Welt" (87) fand die unsägliche Veranstaltung ("Talent? Altersverwegenheit!") ihren Tiefst-Höhepunkt. Bilanz: Zwei alte Jagdfalken beuteten ihren Entertainer-Nimbus aus (Hunzicker als Lachtaube dazwischen).
Und die Frage, ob Gottschalk das nötig hat, ist einfach zu beantworten: Er muss nicht - aber er will offenbar. Der Clown braucht seinen Gummibärle-Zirkus, auch wenn die Gummibärle Kröten sind.