"Germany's next Topmodel": Wie "Zicken" zur Sau gemacht werden
Manchmal weiß man nicht so recht, was aufregender (oder je nach dem: bescheuerter) ist: die Show an sich - oder das Echo danach. Da werden bei der sechsten Folge von "Germanys next Topmodel" (GNTM) 15 hübsche junge Mädchen durch ziemlich idiotische Kulissen geschickt und zur Belohnung dafür überwiegend zur Sau gemacht. Und wie finden wir das? Toll! Oder nicht?
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"So böse war Heidi Klum (42) selten - und wir LIIIIIIIEBEN ES! Ein Riesenspaß, wenn die Modelmutti austeilt ...", jubelt "bild.de". Auf "stern.de" ätzt das ehemalige Model Marie von den Benken, mittlerweile eine gefürchtete Twitter-Queen (@regendelfin), über die 19-jährige Kandidatin Yusra, "die am Set in etwa so euphorisch wirkt, als hätte Horst Seehofer bei Schrottwichteln auf der Weihnachtsfeier der Grünen einen Engtanz mit Claudia Roth gewonnen".
Eine Show, die Schlafpillen überflüssig macht
So viele starke Worte für eine zweieinviertelstündige Show, die Schlafpillen überflüssig macht. Wären nur einige Tropfen von diesem nachträglichen Gift in die Sendung geträufelt - man hätte kaum noch auf die Werbeblöcke dazwischen gewartet. Sie hätten der Häme der "GNTM"-Chefjurorin Klum wenigstens ein bisschen Esprit verliehen.
Doch so werden die Zuschauer durch ein Shooting gequält, bei dem die Mädchen mit riesigen gelben Bällen (warum eigentlich?) hantieren und dabei wie rätselhafte Luder dreinschauen müssen. Star ist der übelgelaunte britische Modefotograf Rankin (Oberjurorin Heidi Klum: "Mein Lieblingsfotograf"), der sich nicht entblödet und ein Mädchen anweist, einen Ball vor den Kopf zu halten, damit er das Gesicht nicht sehen muss.
Hilflos und manchmal rührend komisch
Bei einer anderen Szene werden die Kandidatinnen mit Seilen wie Marionetten hochgezogen und bewegt. Sie sollen eine Puppe spielen, was eine große Körperbeherrschung und enorme schauspielerische Fähigkeiten erfordert. Bei fast allen sieht das hilflos und manchmal auch rührend komisch aus. Doch Heidi meckert: "Das war alles sehr, sehr lahm." Da muss man sich nur vorstellen, wie die 42-Jährige als Marionette im Puppenkleid abhängen würde.
Zwei Herren coachen die jungen Frauen, beide konkurrieren gegeneinander, lassen ihr Team gegen das jeweilige andere antreten. Dabei reibt sich der eine am anderen, was natürlich nicht wörtlich genommen werden darf. Da wäre der Creative Director Thomas Hayo (46), der überwiegend in New York lebt und bereits zum sechsten Mal in der "GNTM"-Jury dabei ist. Er betreut seine Mädels mit jovialer Aufmunterung, ohne in die überdrehten Hype-Metaphern der Branche zu verfallen.
Im Schatten von Wolfgang Joop
Sein Konkurrent ist der Berliner Modeschöpfer Michael Michalsky (49), der erstmals dabei ist und für die Mode-Legende Wolfgang "Wolle" Joop in die Jury rutschte. Armer Michael, es ist eine armselige Schwimmpartie in Wolles viel zu großen Schuhen. Und wenn er den aprilfrisch-weich gespülten Frauenversteher gibt und eine Kandidatin "'nen bisschen Kate Moss-ig, ne?" findet, weiß man nicht, ob man brüllen, weinen oder abschalten soll. Er hat's ja gut gemeint, der Micha. Weitermachen!
"Das Format hat damit endgültig einen Spiele-Show-Charakter und entfernt sich noch weiter weg vom wesentlichen Thema: Wie werde ich Model?", sagt Ex-"GNTM"-Juror Peyman Amin im Interview mit "t-online". Er spricht das aus, was auch die Modebranche kritisiert: Die Show sei zu realitätsfern, zu unecht, zu gestellt und habe nichts mit dem Alltag eines Newcomer-Models zu tun.
Winnie Harlow: Ein strahlender Stern
Einzig der mittlere Showteil steht unter einem strahlenden (professionellen) Stern. Das dunkelhäutige kanadische Starmodel Winnie Harlow (21) kümmert sich um die Klum-Truppe. Die Tochter jamaikanischer Einwanderer weiß genau, wie das ist, wenn Kolleginnen über körperliche Unzulänglichkeiten von Konkurrentinnen herziehen. Sie leidet an der Krankheit Vitiligo (wie Michael Jackson). Ihre Haut hat weiße pigmentfreie Stellen. Wer Winnie zum ersten Mal sieht, glaubt zunächst, sie habe sich wie ein Clown geschminkt. Trotz dieses körperlichen Makels hat sie Weltkarriere gemacht.
Heidis Mädchen spüren die fachliche und menschliche Kompetenz dieser gezeichneten jungen Frau instinktiv. Winnie Harlow zeigt ihnen, wie man sich richtig auf dem Catwalk bewegt ("kleine Schritte, Kopf gerade"). Und als das Thomas-Team gegen die Mädchen von Michael um Punkte läuft, kommt endlich sachbezogene Spannung in die Geschichte. Und ein bisschen Dramatik.
Die Schwächste siegt
Jeweils zwei Kandidatinnen laufen gegeneinander in zwei Nummern zu großen High Heels über eine Treppe und einen Laufsteg. Dabei stürzt Camilla zu Boden, rappelt sich wieder auf und bringt es mühsam und unter Tränen zu Ende. Der Profi Winnie Harlow ist tief berührt und gibt dem Mädchen die Siegerpunkte. Nicht weil sie auf dem Catwalk gefallen ist, sondern weil sie sich wieder tapfer aufgerappelt hat. Da möchte man nicht mehr wissen, wie "Mutti" Heidi, die als aktives Model kaum auf Schauen gelaufen ist, entschieden hätte.
"GNTM ist eine durch und durch professionell gemachte Sendung, die man je nach Interessenlage amüsant, sterbenslangweilig oder frauenverachtend und jugendgefährdend finden kann. Sie unterscheidet sich hierhin in nichts von all den anderen nicht totzukriegenden Rausschmeiß-Shows, über die sich aber keine Sau mehr aufregt," schrieb Tanja Rest in der "Süddeutschen Zeitung".
Nicht totzukriegende Rausschmeiß-Show - darum geht es. Da kommen die lang erwarteten Emotionen hoch. In der Show und beim Publikum. Endlich.
"Wenn's darauf ankommt, ist da nix!"
Die Jury sitzt zu Gericht. Heidi ätzt. Beharrlich und hölzern. Vor ihr stehen die Mädchen. Mit großen Augen und hängenden Schultern. Mehr Kinder als Frauen. Manchmal kullern Tränen, manche nicken, z.B. die hinreißend schöne Yusra (19) aus München, als Heidi ihr den Rausschmiss verkündet: "Ich bin sehr enttäuscht von dir, Yusra. Von der Performance hier und beim Fotoshooting. Das war lahm und lustlos. Wenn du gerade schon weißt, dass das Shooting nix war, musst du doch alles geben. Wenn's darauf ankommt, ist da nix!"
Yusra hatte sich in der Folge davor aufmüpfig gegeben: "Was kommt da nur für eine Scheiße? Wenn ich rausfliege, weil ich meine Meinung äußere, fliege ich halt raus." Doch nun, als sie wirklich rausfliegt, sagt sie nichts. Sie nickt wie in Trance.
Nur die Tränen sind echt
Vielleicht ist sie wirklich nur ein eingeschüchtertes 19-jähriges Mädchen, das zum ersten Mal in seinem Leben in einem überhitzten TV-Studio vor Technikern und Kameraleuten zur Schnecke gemacht wird, worüber sich zuhause vor dem Fernsehern einige hunderttausend, wenn nicht Millionen junger Mädchen diebisch Freude.
Nach ihrem Abgang wird sie von den anderen Mädchen und Konkurrentinnen, die als vermeintliche Zicken unentbehrliche Bestandteile der "GNTM"-Dramaturgie sind, umarmt und getröstet. Wieder fließen Tränen, wieder echte.