Geflüchteter bei Louis Klamroth zu Gast: "Habe das Recht auf Barzahlung"

Louis Klamroth hatte sich für "Hart aber fair" (ARD) wieder einmal unters Volk gemischt: "Warten Sie alle auf mich?" Dass sich bei seinem Besuch in Michelbach "mitten im Nirgendwo" gefühlt alle 90 Bewohner versammelt hatten, lag weniger an der Prominenz des Moderators. Noch im März sollen in einem leerstehenden Hotel 60 Geflüchtete untergebracht werden.
Angespannt sei die Lage, erklärten CSU-Landrat Hans Reichhart, Cansel Kiziltepe (SPD), Senatorin unter anderem für Integration und Vielfalt in Berlin und der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) im Studio. Die Menschen seien vielerorts falsch verteilt, ortete der Soziologe Özgür Özvatan das Problem in der Migrationsverwaltung und Überbürokratisierung: "Wenn wir uns die Wahlprogramme der Bundestagswahl 2021 anschauen, sehen wir, dass demokratische Parteien kaum etwas zu Migrationspolitik sagen", beobachtete er. "Was heute besprochen wird, ist nur kleinteilig, aber sie vermitteln keine Vision oder Lösung für die nächsten 10 - 15 Jahre."
"Wer sagt, Migration muss man stoppen, muss auch die Frage zulassen, wie wir den Realitäten einer alternden, schrumpfenden Gesellschaft entgegenwirken wollen", so Özvatan. Das sei in der Runde nicht zur Sprache gekommen, wies Klamroth hin. Wie aufs Stichwort plädierte Schuster für "flexible Obergrenzen", um "humane Migrations- und Integrationspolitik" zu betreiben. "Wenn in den letzten zehn Jahren in Deutschland drei Millionen Menschen mit Asylbezug aufgenommen" wurden, könne man aktuell nur 60.000 meistern.

Katharina Dröge: "Das ist keine seriöse Politik"
"Das ist keine seriöse Politik", ließ Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge kein gutes Haar am CDU-Konzept. Es sei weder mit dem Grundgesetz noch mit dem Europarecht noch mit dem internationalen Rechten vereinbar. Dröge forderte "bessere Unterstützung der Kommunen, vernünftige Integration in den Arbeitsmarkt, und über eine vernünftige Verteilung in EU zu sprechen".
Wie weit man bei Zweiterem von "funktionierenden Lösung" entfernt ist, wusste der Eberswalder Bäckermeister Björn Wiese aus eigener Erfahrung: Vier Geflüchtete hat er seit 2016 ausgebildet, zudem Quereinsteiger und Menschen beschäftigt, die anderswo ihre Qualifikation erhalten hatten. Das Hauptproblem bestehe bei Ausreisepflichtigen: "Jede Ausländerbehörde hat einen Ermessungsspielraum und trifft andere Entscheidungen: Wer hat da Lust, jemanden langfristig zu beschäftigen?", verwies er - mit Blick auf Schuster - auf die Unsicherheit für die Unternehmer.
Zur Verantwortung gezogen fühlte sich Schuster nicht. Im Gegenteil: "Ich habe das gleiche Problem", solidarisierte er sich mit dem Bäckermeister: Angesichts von 13.000 Ausreisepflichtigen müsse er aufpassen, dass die Ausländerbehörden keine falschen "Prioritätenentscheidungen" treffen. Menschen, die ein "blitzsauberes" Leben führten, ständen nicht im Fokus. Stattdessen gebe es Fälle von "Straftätern, Identitätstäuschern". "Die schieben Sie nach oben, verstehe ich", übersetzte Klamroth trotz des vorgetäuschten Protests des Innenministers ("Tun Sie das nicht, das ist für mich nicht so gut.").
Geflüchteter: "Ich habe das Recht auf Barzahlung"
Hätten Menschen eine Ausbildung angetreten oder befinden sich in Beschäftigung, kämen sie für einen Spurwechsel infrage. "Ziel [...] war, Fachkräfteknappheit in Deutschland zu reduzieren", erklärte Kiziltepe, "diese Chance gilt es zu nutzen". Als Handwerker seien sie bereit, diese Menschen auszubilden, betonte der Eberswalder Bäckermeister.
Ausreisepflichtige Menschen zu beschäftigen sei die falsche Botschaft "an den Rest der Welt", plädierte Schuster "für geordnete, gesteuerte Migrationspolitik". Eine solche Steuerungsmaßnahme werde Sachsen ab April testen, brachte Klamroth das Thema Bezahlkarte in die Diskussion. Schuster war überzeugt: In erster Linie werde eine Bezahlkarte das Problem "Schleuserlohn" lösen.
Schleuser würde man nicht erst bei der Ankunft am Zielort zahlen, widersprach der 2015 hierher geflüchtete Arif Abdullah Haidary. Außerdem hätten viele Geschäfte kein Lesegerät, die Karte führte zu einer Stigmatisierung: "Ich will nicht zeigen, dass ich ein Geflüchteter bin, ich bin auch ein Mensch und habe das Recht auf Barzahlung", betonte das Mitglied im Bayerischen Flüchtlingsrat: "Warum nicht eine normale Giro-Bankkarte?"
Soziologe stört sich an "kleinteiligen Debatten"

Die Menschen kämen nicht wegen Sozialleistungen - darüber war sich Haidary mit Soziologe Özvatan einig. Die Rücküberweisungen aus Deutschland seien "keine Summen, die es wert sind, dass wir seit drei Monaten über diese Bezahlkarte sprechen", meinte der Soziologe. Die Menschen in den Herkunftsländern könnten sich aber Existenzen aufbauen. Damit bewirkte es das, "was Sie möchten: Migrationswege zu stoppen", argumentierte er mit einem Seitenhieb auf Schuster.
"Menschen zu entmutigen", übers Mittelmeer nach Deutschland zu gelangen - das wäre laut Migrationsexperte Gerald Knaus das Ziel von Abschiebeabkommen mit Nicht-EU-Drittländern wie Ruanda. Wie es funktionieren könnte, fand Klamroth nicht heraus ("ich will es einmal verstehen."). Die Bundesregierung solle "diesen klugen erprobten Gedanken endlich umsetzen und endlich aufhören zu prüfen", riss Schuster sichtlich der Faden. Man müsste sich auf die Dinge fokussieren, die funktionieren, konterte Grünen-Politikerin Dröge ruhig und ließ sich durch Unterbrechungen nicht aus dem Konzept bringen: Dabei ginge es um Migrationsabkommen auf Augenhöhe, einen fairen Verteilungsschlüssel in der EU und die Reduzierung von Fluchtursachen.
"Wir sind bei kleinteiligen Debatten, die für die Politik interessant sind, aber für die Menschen da draußen nicht", zeigte sich Özvatan von der Humboldt-Universität zu Berlin davon wenig angetan. Seine Prognose zu Beginn der Sendung hatte sich scheinbar bewahrheitet.