Falsche Siebziger in der ARD: Regisseur Matthias Kiefersauer im AZ-Interview

In der ARD läuft an diesem Mittwoch die Komödie Falsche Siebziger. Im AZ-Interview spricht Regisseur Matthias Kiefersauer über seine leise Bildsprache und die Kunst der schwarzen Komödie auf Bairsch.
von  Volker Isfort
Matthias Kiefersauer BR Falsche Siebziger
Matthias Kiefersauer BR Falsche Siebziger

München - In einem bayerischen Weiler sterben fast gleichzeitig drei Senioren. Die Dorfbewohner beschließen, sie aber offiziell am Leben zu erhalten, um mit der Rente der Verstorbenen besser über die Runden zu kommen. Damit der Trick nicht auffällt, müssen sie Doubles finden. Das Lügengebilde, das die kleine Gemeinschaft errichtet, wird immer größer und damit wächst auch die Gefahr, aufzufliegen. „Falsche Siebziger“ knüpft an das berühmt gewordene „Hobeditzn“ an, einen Schwank um fiktives Brauchtum und ein Erbe. Das Drehbuch hatte damals, wie jetzt, Regisseur Matthias Kiefersauer mit Alexander Liegl geschrieben.

AZ: Herr Kiefersauer, wo in Bayern spielt eigentlich Ihr Film?
MATTHIAS KIEFERSAUER: Wir haben ganz bewusst Ortsnamen herausgehalten, so dass man sagen kann, das ist irgendwo in Bayern. Es sollte eine wirtschaftlich gebeutelte Region sein, das schließt Oberbayern ja fast aus. Aber wenn man bayerische Geschichten erzählt, im Fernsehen oder Kino, dann einigt man sich sprachlich eher auf einen gemäßigten oberbayerischen Dialekt.

Wie schon in „Das große Hobeditzn“ oder „Was machen Frauen morgens um halb vier“ ist fehlendes Geld die Antriebsfeder der Komödie.
Man versucht, eine Antriebsfeder zu finden, die jeder schnell verstehen kann, und Geld, oder fehlendes Geld versteht jeder. Ich habe nie bewusst darüber nachgedacht, aber ich nehme das mal als Vorsatz, eine Geschichte zu schreiben, wo es nicht ums Geld geht. Die Ursprungsidee, dass ein ganzes Dorf von der Rente der Verstorbenen lebt, kam von der Drehbuchautorin Heike Fink, das war aber schon vor zehn Jahren. Die Redaktion hat dann Alexander Liegl und mich gefragt, ob wir das zu einem Film weiterentwickeln könnten.

"Das kann nur Woody Allen"

Wie arbeiten sie zusammen?
Alex und ich haben viel Zeit im Baader-Café verbracht und das Drehbuch geschrieben. Wir trennen uns dann nach jeder Sitzung mit unseren „Hausaufgaben“ und teilen Erzählstränge und Geschichtswendungen auf, an denen wir einzeln weiterstricken. Und dann kommen wir wieder zusammen. Wir ergänzen uns da ziemlich gut, weil der Alex natürlich ein wahnsinnig geschulter Pointenbauer ist. Und ich kann durch meine Ausbildung in der Drehbuchwerkstatt nach der Filmhochschule eine Geschichte vielleicht besser strukturieren als der Alex.

Und mitten in die gemeinsame Arbeit platzte Thomas Kronthalers Film „Schluss! Aus! Amen!“ mit einer ähnlichen Grundgeschichte.
Ja, aber natürlich ist das weder seine noch unsere Erfindung, das Grundmuster gibt es ja schon in „Lang lebe Ned Devine“ aus dem Jahr 1998. Alex und ich waren schon an der dritten Drehbuchfassung. Wir haben uns Thomas Kronthalers Film dann angeschaut und versucht, noch deutlicher auszuweichen. Dass ähnliche Themen gleichzeitig entwickelt werden, passiert halt mal. Das Thema lag in der Luft, es gab schließlich auch Presseberichte von ganzen griechischen Dörfern, die angeblich von der Rente von Verstorbenen leben.

Matthias Kiefersauer BR Falsche Siebziger
Matthias Kiefersauer BR Falsche Siebziger
Regisseur von Falsche Siebziger: Matthias Kiefersauer. Credit: BR

Sie haben zehn Jahre für ihre letzten drei selbst geschriebenen Filme gebraucht.
Jedes Jahr einen neuen, selbst geschriebenen Film produzieren kann nur Woody Allen. Nur von diesen Herzprojekten könnte ich auch nicht leben, die brauchen einfach mehr Zeit in der Entwicklung. Und natürlich nehme ich auch Aufträge an, bei denen ich „nur“ Regisseur bin und die Figuren nicht selbst erfunden habe. Außerdem schreiben Alex und ich auch manche wilden Geschichten, die es dann gar nicht erst zur Drehbuchreife bringen. Es wird auch immer schwieriger für originäre Filme, die Sender bevorzugen Reihen und Serien. Und es ist einfacher, wenn bei einem Film schon ein erfolgreiches Buch dahintersteht, wie etwa bei Rita Falk. Aber Alex und ich können jetzt nicht jedes Mal erst einen Roman schreiben, bevor wir einen Film daraus machen.

BR-Regisseur: "Volksschauspieler wachsen nach"

In den Rita-Falk-Verfilmungen ist jede Szene auch optisch eine Komödie mit Ausrufezeichen. Ihre Bildsprache ist leiser.
Humor ist ein schwieriges Gebiet. Jeder hält sich für humorvoll, auf jeden Fall steht es so in Kontaktanzeigen, die ich mal intensiv für eine Recherche verfolgt habe. Viele Menschen erwarten von einer Komödie eine besonders ausgestellte Bildsprache. Ich mag es dagegen eher unterspielt und leise in der Bildsprache. Aber ich weiß natürlich auch: Menschen, die Mario Barth mögen, die können mit meinen Filmen nichts anfangen. Ich dagegen bewundere Josef Hader: Ich habe mich bei „Indien“ vor Lachen weggeworfen, das ist sicher immer noch einer meiner Lieblingsfilme, andere stehen ratlos davor. Ich bewundere bei ihm auch die Fähigkeit, mit einer kleinen Wendung, vom Komischen ins Tragische zu wechseln. Das halte ich für eine ganz große Kunst.

Immer wenn ein älterer bayerischer Schauspieler einer gewissen Größe stirbt, heißt es, der „letzte“ Volksschauspieler sei gestorben. Sie finden trotzdem immer welche.
Es stimmt schon, es sind immer die „letzten“ ihrer Art, die sterben. Es gibt aber genug Volksschauspieler und sie wachsen auch nach. Ich denke auch, dass Michael Lerchenberg und Christian Stückl dafür gute Arbeit geleistet haben. Maximilian Brückner, der Stefan Murr, der Stephan Zinner sind beispielsweise tolle Schauspieler für diesen Bereich. Ich glaube aber, dass Volksschauspieler ein Etikett ist, das einem ohnehin erst nach dem 60. Geburtstag aufgeklebt wird.

In der Musik wurde das Bairische vom Trend zur Flut. Wann ist der Sättigungsgrad mit bayerischen Komödien erreicht?
Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Aber bislang läuft es gut. Begonnen hat das ja gar nicht unbedingt mit Marcus H. Rosenmüller, der Thomas Kronthaler hatte zuvor ja schon „Die Scheinheiligen“ gemacht und der Stefan Betz den „Grenzverkehr“. Aber mit Rosi ging das durch die Decke. Ich selbst hatte anfangs auch die Sorge, dass ich irgendwann immer als der bayerische Regisseur gelte und deswegen tut es einfach auch mal gut, eine Episode Inga Lindström in Schweden zu inszenieren. Aber ich denke, dass ich das Süddeutsche einfach auch gut kann. Ich bin jetzt 44 Jahre alt und habe Zeit meines Lebens in München oder Umgebung gelebt - ohne längere Auslandsaufenthalte. Ich kenne die Gegend und den Menschenschlag. In Berlin oder Dresden würde ich bei Null beginnen.

Kiefersauer: "Ich war zu spät dran"

Das Genre des Heimatfilms bekommt gerade einen frischen Wind durch das Flüchtlingsthema.
Ich persönlich bin da zu spät dran zum Entwickeln einer Geschichte. Simon Verhoeven hat das mit „Willkommen bei den Hartmanns“ geschickt gemacht: Er war wahnsinnig schnell und der Film ist richtig gut geworden. Das ist jetzt die Messlatte. Damals, nach dem Mauerfall, gab es ja einen richtigen Wettkampf: Wer macht den ersten guten DDR-Film? Gewonnen hat dann Wolfgang Becker mit „Good Bye, Lenin!“, aber erst im Jahr 2003. Vorher waren alle irgendwie zu sehr beschäftigt mit den aktuellen Entwicklungen.

Sie hatten als junger Filmemacher zwei außergewöhnliche Mentoren: Franz X. Gernstl und Franz Xaver Bogner.
Das waren ganz wichtige Jahre für mich. Gegen Ende der Filmhochschule und die ersten Jahre danach habe ich gerade bei den beiden extrem viel gelernt. Beim Gernstl habe ich gelernt, wie liebevoll und mit wie viel Wärme man auf die Menschen blicken sollte und wie komisch Menschen auch reden. Ich habe tatsächlich im Schneideraum beim Gernstl Dialogschreiben gelernt. Beim Bogner habe ich den Spaß am Unterspielen und am reduzierten Dialog mitbekommen. Und beide haben mir viele Türen geöffnet.

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