Interview

Doku über Renovierung von Schloss Neuschwanstein: "Man begeht Ludwigs Gehirn"

Zwei Experten über die Restaurierung von Schloss Neuschwanstein. Dazu zeigt National Geographic am Sonntag eine Dokumentation.
Adrian Prechtel
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Der Ritter und Heilige Georg im Thronsaal von Neuschwanstein, wo Ludwig sich als Alleinherrscher mit den Gralsrittern vereinen wollte.
Der Ritter und Heilige Georg im Thronsaal von Neuschwanstein, wo Ludwig sich als Alleinherrscher mit den Gralsrittern vereinen wollte. © National Geographic

München - AZ-Interview mit Christine Tauber und Rainer Drewello: Die 55-jährige, vielseitige Geisteswissenschaftlerin und Autorin ist seit 2015 Professorin für Kunstgeschichte an der LMU. Der Restaurierungswissenschaftler ist Ingenieur und Restaurator und war bis 2021 Professor für Restaurierungswissenschaft an der Universität Bamberg.

Die Geheimnisse von Neuschwanstein" - der Titel klingt für eine Dokumentation über die vergleichsweise prosaischen Renovierungsarbeiten in Neuschwanstein recht reißerisch.

Sicher gab es dort Aufregendes zu entdecken, aber keine Sensationen. Jährlich 1,5 Millionen Besucher hatten die Räume verschlissen. Fünf Jahre dauerte die Sanierung, an der die Kunsthistorikerin Christine Tauber und der Restaurierungswissenschaftler Rainer Drewello beteiligt waren. Sie kommen auch in der Doku von National Geographic zu Wort.

Drewello: Schloss Neuschwanstein zum Glück "kein Disneyland mit Großparkplatz und Fastfood"

AZ: Neuschwanstein war ein Privatschloss von König Ludwig, erbaut mit eigenem Geld, wenn auch mit Schulden. Ludwig selbst wollte nie, dass es von Massen betreten wird. Könnte man es nicht einfach dicht machen?
RAINER DREWELLO: Das Schloss ist ja auch eine Cash-Cow für den Freistaat und wird behandelt wie ein Museum, weil es da auch wirklich viel zu zeigen gibt. Und es - in Ludwigs Sinne - zuzusperren, bringt nichts, weil man trotzdem viel Geld reinstecken muss: Die Lichtverhältnisse, Kälte-, Luft- und Wärmeströmungen sind extrem ungünstig. Die von Ludwig extra angeforderte blaue Farbe und das Gold würden verblassen, das Holz wird morsch, Lacke bauen sich ab. Ich finde es aber richtig, dass die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung aus Neuschwanstein kein Disneyland mit Großparkplatz und Fastfood gemacht hat. Ich finde die Präsentation angenehm dezent.

Tauber: "Es würde ein einzigartiges historisches Dokument, eine fantastische Quelle geschlossen"

CHRISTINE TAUBER: In diesem Monument Neuschwanstein ist klar das Herrschafts- und Gesellschaftsideal Ludwigs verkörpert: die Rückkehr zur absolutistischen Herrschaft, Gottesgnadentum und Fixierung auf Rückzug und Abschottung - selbst der Wintergarten öffnet sich ja nicht zur Landschaft hin, sondern bleibt ein geschlossener Raum. Wenn man also die Abschottungsidee ernst nähme, könnte man das Schloss im Sinne Ludwigs zusperren. Nur würde dann ein einzigartiges historisches Dokument, eine fantastische Quelle geschlossen.

Drewello: "Neuschwanstein ist wie ein Tabernakel gebaut" 

Ich empfinde Neuschwanstein wie die Begehung von Ludwigs intimsten Innenwelten.
Ja, es ist wie die Begehung von Ludwigs Gehirn, einschließlich Größenwahns, auch wenn ich gegenüber den psychiatrischen Analysen Ludwigs skeptisch bin. Man muss nur mal das Schlafzimmer nehmen: Das ist wie ein Tabernakel gebaut, mit dem Bett mit dem König darin als "heiliger Leib" - darüber noch ein Marienbild. Das ist eine unheimliche Sakralisierung. Ich habe Neuschwanstein immer schon ernst genommen als gebautes inneres System Ludwigs. Aber die genaue Beschäftigung mit dem Schloss hat mich noch einmal wirklich beeindruckt in seiner manischen Konsequenz und kunstvollen Durchdachtheit.

Drewello über Neuschwanstein: "Ich kam verzaubert wieder heraus"

Aber warum bekommt man dann nur einen Bruchteil der Räume gezeigt?
DREWELLO: Das täuscht. In den anderen Räumen ist nichts, die Bauarbeiten wurden ja großenteils mit Ludwigs Tod 1886 abgebrochen, so gibt es eben kein Ritterbad. Das einzige, was nicht öffentlich ist, sind die Räume im Torbau, wo Ludwig während der Bauarbeiten wohnte, wenn er da war - mit zum Beispiel einem großen völlig leeren Saal mit nur einem Ofen, aber alles mit einem Fresko ausgemalt. Ich bin wissenschaftlich und beratend an das Schloss herangegangen und kam verzaubert wieder heraus.

Tauber über Neuschwanstein: "Das Werk eines Königs, der sich wie ein 'Schöpfergott' fühlt"

Ich kann mich an keine "Tropfsteinhöhle" erinnern - allerdings ist meine Führung schon 30 Jahre her.
Ich glaube, dass das daran liegt, dass die Grotte zwar bizarr im dritten Stock liegt, aber man eben so unspektakulär durchlief… Aber jetzt haben wir das alles analysiert, und es ist ein fantastisches Beispiel für die technische Perfektion mit allen raffitückischen Mitteln, die die Illusion größter romantischer Natürlichkeit erzeugen sollte, dass man vor Staunen gar nicht fertig wird: Man denkt: Zement. Aber es ist Gips mit sogenanntem Wasserglas getränkt. Dann gibt es sieben Lacküberzüge, eingestreute Silberpartikel für einen Glitzereffekt, den man aber nur mit Licht hervorrufen kann, was wiederum Werner von Siemens installiert hat. Dann musste dort oben im dritten Stock Wasser durchfließen, was auch noch ein romantisches Geräusch erzeugt. Und dann haben wir noch etwas gefunden: phosphoreszierende Farben auf den Wegen, die wiederum ja nur leuchten, wenn man sie zuvor sechs Stunden lang mit Licht auflädt. Und das, bevor diese phosphoreszierende Technik überhaupt fertig entwickelt war. Die Patente darauf gab es erst nach Ludwigs Tod.

TAUBER: Das alles ist das Werk eines Königs, der sich wie ein "Schöpfergott" fühlt, der dazu mit seiner Illusionsmaschinerie auch noch den Tag zur Nacht und umgekehrt machen kann.

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Wenn man das hört, denkt man: Das alles ist doch durch eine bloße Schlossführung, wo es vordergründig um den Staun-Effekt geht, schwer vermittelbar.
DREWELLO: Um Neuschwanstein zu verstehen, müsste man ein 7D-Film-Erlebnis erzeugen: Man müsste schauen, dazu die Musik hören, gleichzeitig müsste man die kulturgeschichtlichen Bezüge einblenden, also woher die architektonischen Anleihen stammen, dann müsste man die Ideen des Königs dazu mithören… Denn das ist ja das Entscheidende, dass er selbst ununterbrochen Veränderungen, Verbesserungen und Ergänzungen eingebracht hat - bis in einzelne Wandmuster hinein, die man zu Klangteppichen machen müsste. Das rein Analytische wird bei diesem Erlebnis gesprengt.

Drewello: "Das Schloss ist in seiner Unvollendung eben auch ein Zeitzeugnis"

Gäbe es eigentlich noch genügend Unterlagen, um das Schloss noch zu vollenden?
Grundsätzlich schon…

TAUBER: … aber das wäre dann nicht das, was Ludwig sich vorgestellt hat, weil er ja eben dauernd noch verändernd eingegriffen hat, um seinem Ideal näher zu kommen…

DREWELLO: Wir haben ja auch bei der Restaurierung interessante Fragen gehabt, wie beim Kronleuchter im Thronsaal. Der war 1885 in Auftrag gegeben worden, ist dann sogar in Schritten von der Firma bis 1905 weitergebaut worden, zum Teil mit billigeren Abweichungen, weil das Geld zäh floss. Soll ich das jetzt wieder korrigieren und wie ursprünglich gedacht vollenden? Eher nicht, weil es ist ja in seiner Unvollendung eben auch ein Zeitzeugnis ist.


Der PayTV-Sender National Geographic zeigt "Die Geheimnisse von Neuschwanstein" am Sonntag um 21 Uhr.
Neuschwanstein bei Füssen ist täglich von 8 bis 17 Uhr für Besucher geöffnet.

 

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