Diskussion um Kindergrundsicherung bei "Hart aber fair": Klamroths Fragen bringen Ricarda Lang in Erklärungsnot

Schluss mit Bürokratiedschungel, Stigmatisierung von Kindergeld-Beziehenden und fehlender Transparenz? Ricarda Lang sieht in der Kindergrundsicherung einen "Paradigmenwechsel". Wie sich bei "Hart aber fair" zeigt, profitieren jedoch nicht alle, die Hilfe nötig hätten, davon.
von  Doris Neubauer
Für Grünen-Chefin Ricarda Lang stellt die Kindergrundsicherung der Ampelregierung einen "Paradigmenwechsel" dar.
Für Grünen-Chefin Ricarda Lang stellt die Kindergrundsicherung der Ampelregierung einen "Paradigmenwechsel" dar. © WDR / Oliver Ziebe

"Das heißt, wenn man nicht arbeiten kann, profitiert man nicht davon?" "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth ist sichtlich irritiert. Gerade noch hat Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang im ARD-Talk ihr Mitgefühl gegenüber der Alleinerziehenden Andrea Zinhard ausgedrückt und gemeint, es sei "nicht hinnehmbar, dass in Deutschland eine der größten Armutsrisiken ist, Alleinerzieherin zu sein". Von der am Sonntagabend beschlossenen Kindergrundsicherung darf sich die Mutter eines 12-jährigen Sohns und einer 16-jährigen Tochter aber nicht mehr Geld erwarten. Denn "damit man mehr vom Unterhalt behalten darf, muss man arbeiten und mindestens 600 Euro verdienen", zitiert Louis Klamroth Finanzminister Christian Lindner (FDP) und hakt nochmals nach: "Jetzt kann sie [Andrea Zinhard, d.R.] leider nicht arbeiten, weil sie eine chronische Krankheit hat. Hat sie also nichts davon?"

Ricarda Lang betont: "Ungerecht, dass am Ende die Kinder leiden"

Die Antwort ist nicht nur für ihn enttäuschend, sondern erst recht für die zweifache Mutter: Seit 2021 bezieht sie volle Erwerbsminderungsrente, aufgestockt mit Bürgergeld. Nach Abzug der Fixkosten stehen ihr damit pro Tag knapp 23 Euro für sich und ihre Kinder zur Verfügung. Der Taschenrechner oder das iPad für die Schule sind damit genauso wenig drin wie ein Musicalbesuch oder auch nur die Mettwurst. Das wird sich nicht ändern, gibt Lang zu: "Ich fände es auch besser, wenn man es auf Fälle wie Ihre anwenden könnten." Es sei ungerecht, "dass darunter am Ende die Kinder leiden".

"Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth fragte für die alleinerziehenden Mutter Andrea Zinhard bei Ricarda Lang bezüglich der Kindergrundsicherung nach: "Hat sie also nichts davon?"
"Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth fragte für die alleinerziehenden Mutter Andrea Zinhard bei Ricarda Lang bezüglich der Kindergrundsicherung nach: "Hat sie also nichts davon?" © WDR / Oliver Ziebe

CDU-Politikerin Güler: "Mehr angekündigt, als herausgekommen ist"

Es ist nicht das einzige Zugeständnis, das die Grünen nach einem monatelangen Streit bei der Kindergrundsicherung machen mussten: "Die Familienministerin Paus wollte 12 Milliarden Euro. Jetzt sind es 2.4 Milliarden Euro. Wie enttäuscht sind Sie?", fragt Klamroth. Davon möchte Lang nichts wissen und spricht von einem "Systemwandel von einer Holschuld, wo sich Eltern durch den Bürokratiedschungel von 175 verschiedenen Leistungen wühlen müssen, hin zu einer Bringschuld".

Für die Opposition sieht das hingegen anders aus: "Es wurde viel mehr angekündigt, als herausgekommen ist", kritisiert CDU-Politikerin Serap Güler. Leistungen zu bündeln und so den Zugang zu erleichtern sei zwar sinnvoll und vor allem notwendig, ob es für die versprochene Bürokratieerleichterung ausreicht, bezweifelt Güler allerdings. Schließlich seien in Zukunft "alle Leistungen nur über die Familienkassen abzurufen, wo wir eine Infrastruktur aufbauen müssen." Es gebe bundesweit nur 100 Anlaufstellen für eine Familienkasse.

Bei "Hart aber fair" diskutierte Moderator Louis Klamroth (rechts) das "Streitthema Kindergrundsicherung: Mehr Geld für arme Familien?" mit Grünen-Chefin Ricarda Lang, Heinz Hilgers, dem Ehrenpräsident des Kinderschutzbundes, Journalistin Anna Mayr, Ökonom Stefan Kooths und CDU-Politikerin Serap Güler (von links).
Bei "Hart aber fair" diskutierte Moderator Louis Klamroth (rechts) das "Streitthema Kindergrundsicherung: Mehr Geld für arme Familien?" mit Grünen-Chefin Ricarda Lang, Heinz Hilgers, dem Ehrenpräsident des Kinderschutzbundes, Journalistin Anna Mayr, Ökonom Stefan Kooths und CDU-Politikerin Serap Güler (von links). © WDR / Oliver Ziebe

Ricarda Lang bei "Hart aber fair": "Es geht auch um das Selbstwertgefühl dieser Kinder"

"Zeit"-Journalistin und Autorin Anna Mayr hingegen sieht in der Verschiebung der Zuständigkeit einen logischen Schritt, seien doch Kinder keine Arbeit und müssen auch keine Arbeit annehmen. Außerdem mache es einen emotionalen Unterschied für Familien, ob das Kindergeld vom Jobcenter oder von der Familienstelle kommt.

"Es geht auch um das Selbstwertgefühl dieser Kinder, zu sagen: Wir glauben an euch!", möchte Lang damit ein Zeichen gegen die individuelle Stigmatisierung von armutsgefährdeten Familien setzen. Soweit möchte Mayr allerdings nicht gehen. Denn: "Am Ende hilft gegen Armut immer noch am besten Geld. Es geht darum, wie viel Stress haben die Familien damit, dass sie die Klassenfahrten nicht bezahlen können, dass sie Stifte nicht bezahlen können, das Busticket nicht bezahlen können." Und auch Andrea Zinhard könne sich mit dem Respekt, den ihr das Podium zollt, "keinen Broccoli kaufen".

Der Ehrenpräsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilger, macht darauf aufmerksam, dass über drei Millionen Kinder armutsgefährdet seien und zeigt das strukturelle Problem auf: "Der Großteil hat Eltern, die erwerbstätig sind." Die Kindergrundsicherung im Gießkannenprinzip zu verteilen, reiche deshalb nicht aus, bestätigt Ökonom Stefan Kooths. Er fordert die Abstimmung verschiedener Maßnahmen und über das Wohl der Kinder nicht isoliert zu sprechen: "Kinder leben nicht im luftleeren Raum, sondern im Familienverbund." Deshalb seien Fragen zur Betreuung und Kindergarteninfrastruktur ebenfalls zu klären.

Integration und Armutsbekämpfung: Zwei Seiten einer Medaille?

Für Louis Klamroth ist das das Stichwort, in einem Einspieler erneut Christian Lindner zu Wort kommen zu lassen: Mit seiner Aussage, dass Kinderarmut bei Deutschen zurückgegangen, bei ab 2015 neu Eingewanderten hingegen angestiegen sei, sorgte der Finanzminister für Diskussionen. Von seiner Frage, ob mehr Geld auf dem Konto oder Investition in die Infrastruktur von Kitas die bessere Lösung sei, hält Grünen-Chefin Lang nichts: "Es sind zwei Seiten einer Medaille", meint sie, "wer Integration und Armutsbekämpfung gegeneinander ausspielt, hilft niemandem. Man braucht Geld am Konto, dass man sich Turnschuhe leisten kann und gleichzeitig Integrationsbemühungen." Güler von der CDU hegt allerdings Zweifel daran, dass die Regierung an einer solchen Rundum-Lösung arbeitet und verweist auf das Haushaltsbudget: "Integrations- und Migrationsberatungen sind um 30 Prozent gekürzt, die Sprach-Kita gestrichen." Die Ampel sage zwar, mehr Geld in Integration und in Sprachkurse zu investieren, jedoch sei das Gegenteil passiert.

Ernüchternd fällt dann auch das Fazit der alleinerziehenden Mutter Andrea Zinhard aus: "Wurde das Thema, mit dem Sie im Alltag zu kämpfen haben, verstanden?", fragt Louis Klamroth am Ende der Sendung. "Nicht so richtig", meint sie sichtlich beklommen, "für uns Familien, die am unteren Existenzminimum leben, ist es ein Schlag ins Gesicht." Sie findet: "Wir ganz Armen fallen wieder durch." Allerdings wollen die Grünen im Gesetzgebungsverfahren noch ein paar Aspekte nachbehandeln. Die Kindergrundsicherung soll nicht "das Ende der Fahnenstange, sondern ein Einstieg sein", wie Lang verspricht.

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