"Der rote Schatten"-Tatort: Lohnt sich das Einschalten?

Dominik Grafs "Tatort: Der rote Schatten" (am heutigen Sonntag, 20:15 Uhr, ARD) vermischt Fiktion, RAF-Geschichte und Verschwörungstheorien.
Wenn Dominik Graf einen "Tatort" inszeniert, solle man sich Zettel und Stift parat legen. Der Münchner Regisseur mag’s kompliziert und vielschichtig. Auch sein neuer Tatort "Der rote Schatten" fordert dem Zuschauer einiges ab. Aber es lohnt sich.
Er beginnt aber im Hier und Jetzt: Auf dem Stuttgarter Friedhof wird eine Leiche gestohlen. Die tote Frau wird im Kofferraum eines Unfallautos gefunden, ihr Ex-Mann (Oliver Reinhard) wollte sie nach Frankreich bringen, um sie erneut obduzieren zu lassen. Er glaubt, dass sie von ihrem Liebhaber Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) ermordet wurde und die deutschen Behörden diesen decken.
Als die Stuttgarter Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) die Ermittlungen noch einmal aufrollen, macht sie stutzig, dass Jordan einst als V-Mann auf die RAF angesetzt war. Parallel dazu überfallen zwei Männer und eine Frau einen Geldtransporter, von Graf toll in Szene gesetzt. Schnell heißt es, drei ehemalige RAF-Mitglieder hätten den Überfall begangen. Als Vorbild dienten Graf und Co-Drehbuchautor Raul Grothe offenbar die RAF-Terroristen Ernst-Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette, denen in den vergangenen Jahren mehrere Überfälle angelastet wurden.
Bald schon vermischt sich die Jagd auf die Terroristen mit dem Fall Jordan, und der Tatort ist mitten drin im Jahr 1977, als sich Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stammheim das Leben nahmen. Oder war es doch kein Selbstmord? " Der rote Schatten" spielt gekonnt mit der Verschwörungstheorie, dass Baader, Raspe und Ensslin in ihren Zellen vom "Staat" ermordet wurden. Jener Wilhelm Jordan soll damals eine Rolle gespielt haben. Virtuos vermischt Dominik Graf "Tatort"-Fiktion mit deutscher Geschichte und kursierenden Verschwörungstheorien. Ist Jordan gar jener (fiktive) Holger Stängl, der damals die Waffen in die Zellen der Terroristen schmuggelte, um den Staat vor dem Verdacht zu schützen, er habe die RAFler getötet? Wird er deswegen in Schutz genommen?
Die zentrale Rolle bei den Ermittlungen spielt Lannert, der zur Verblüffung des Zuschauers berichtet, dass er in seinen linken WG-Zeiten mal Gudrun Ensslin begegnet sei. In solchen Momenten ist Dominik Graf gefährlich nah an linker RAF-Nostalgie, vor allem wenn auch noch Collagen aus Archivbildern und nachgedrehten Szenen den Zuschauer in die 70er mitnehmen.
Doch "Der rote Schatten" ist zugleich ein spannender und anspruchsvoller "Tatort", mit einem überraschenden und doppeldeutigen Schluss.
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