Interview

Debüt von Johanna Wokalek im Polizeiruf aus München: "Den Namen meiner Figur durfte ich selber entscheiden"

Vor 20 Jahren feierte Johanna Wokalek ihren Durchbruch als Schauspielerin, nun ist sie zum ersten Mal in der ARD-Krimireihe Polizeiruf 110 zu sehen. Mit der AZ sprach sie über ihre neue Rolle.
von  Florian Koch
Johanna Wokalek spielt Kriminalhauptkommissarin Cris Blohm im Polizeiruf 110.
Johanna Wokalek spielt Kriminalhauptkommissarin Cris Blohm im Polizeiruf 110. © Hendrik Heiden/BR

Alle starren in der U-Bahn auf ihre Handys. Nur nicht Cris Blohm (Johanna Wokalek). Die Kommissarin hat die Augen geschlossen, lauscht auf dem Weg ins Revier verträumt der lässigen Funk-Nummer "Reach Out I'll Be There". Und lässig ist auch ein gutes Stichwort, um diese neugierige, unbeschwerte Ermittlerin zu beschreiben, die so ganz anders daherkommt als ihre Vorgängerin Elisabeth (Verena Altenberger).

Lässig ist wiederum nicht das erste Wort, dass man mit Johanna Wokalek verbindet, die in ihren Rollen oft so ernst daherkommt. Ihr erster Fall "Little Boxes" (Regie: Dror Zahavi, Buch: Stefan Weigl) führt diese Cris an der Seite der Ermittler Dennis (Stephan Zinner) und Otto (Bless Amada) ins woke Uni-Milieu. Ein Minenfeld.

AZ: Frau Wokalek, Ihre Figur sagt von sich: "Ich bin nicht so ehrgeizig: Karriere ist was für Menschen, die keine Fantasie haben." Gehen Sie da mit?
JOHANNA WOKALEK: Ja, ich finde den Satz gut. Und das ist auch kein Kokettieren, diese Cris meint das so.

Polizeiruf-Star Johanna Wokalek: "Dieser hohe Anspruch gefällt mir"

Was mögen Sie noch an dieser unorthodoxen Kommissarin?
Nach den ersten Brainstormings wusste ich, dass ich diese Cris gemeinsam mit den Beteiligten wirklich selber entwickeln kann. Die Angstfreiheit davor, eben noch nicht alles über die Figur und ihre Beziehungen zu wissen, empfand ich als befreiend. Es gibt beim Polizeiruf 110 überhaupt eine Lust, sich miteinander zu erfinden. Das überträgt sich in eine Lust am Spiel, gerade auch mit Stephan Zinner, der eine ganz andere Figur als die meine spielt. Und ich glaube, dass sich daraus auch noch in Zukunft viele Funken schlagen lassen.

Mit dem Bier in der Bar funktioniert’s schon mal: Die Neue Cris Blohm (Johanna Wokalek) und ihr Kollege Kriminalhauptkommissar Dennis Eden (Stephan Zinner).
Mit dem Bier in der Bar funktioniert’s schon mal: Die Neue Cris Blohm (Johanna Wokalek) und ihr Kollege Kriminalhauptkommissar Dennis Eden (Stephan Zinner). © Hendrik Heiden/BR

Krimireihen gibt es im Fernsehen genug. Wie hebt sich der Polizeiruf von den anderen ab?
Spannend finde ich, dass jeder Fall als Einzelstück angesehen wird, hergestellt von unterschiedlichen, zum Teil kleinen Produktionsfirmen aus Bayern. Der Wunsch ist dabei immer, nicht schlechter zu sein als der Vorgänger. Dieser hohe Anspruch gefällt mir. Und ich muss mich auch nicht auf eine feste Anzahl an Polizeiruf-Fällen festlegen. Meine Engagements sind allein von der Lust und Neugier auf eine Zusammenarbeit seitens des BR und mir abhängig.

Ihre Figur trägt fast nie Uniform, wirkt eher wie eine Touristin. Wie kam es zu dieser Kleidungswahl?
Name und Kostüm meiner Figur durfte ich selber entscheiden. Diese Carte Blanche hat mich nach längerem Nachdenken dazu gebracht, dass ich mit unserer Kostümbildnerin alle möglichen Second-Hand-Läden in München unsicher gemacht habe. Ich wollte für Cris einen Vintage Look mit abgetragenen Jeans und verkürzten Männerhemden, der suggeriert, dass diese Frau, der Mode nicht so wichtig ist, bereits ein Leben gelebt hat, von dem wir jetzt eben einen Ausschnitt sehen.

Eine Wahl-Pariserin in München: "Ich komme immer gerne hierher"

Sie sind in Freiburg geboren, haben am Burgtheater gearbeitet. Mit dem Polizeiruf gibt nun einen konkreten München-Bezug. Wie ist Ihr Verhältnis zur Stadt?
Ich komme immer gerne aus meiner Wahlheimat Paris hierher. Besonders schätze ich es, wenn mir Stephan Zinner "sein" München zeigt, da lerne ich immer wieder neue Seiten kennen. Nur in die Berge muss er mich noch mitnehmen, die kenne ich nämlich nicht gut.

Der Titel des Falls "Little Boxes" deutet schon auf die Beschränktheit hin, nicht über seinen Tellerrand kucken zu können und zu wollen. Die Kritik richtet sich aber auch an sogenannte "Wokisten", die selbst in einer Blase leben.
Es ist entscheidend, dass man miteinander redet, diskutiert, gerade auch, wenn man bei bestimmten Themen völlig andere Auffassungen vertritt. Uneinsichtig sind für mich verhärtete Fronten. Die schließen den Wunsch nach Verständnis, nach einer Öffnung zueinander und nach gelebter Diversität aus. Am Ende führt das dazu, dass man gar nicht mehr wagt miteinander zu reden. Weil immer die Frage im Raum steht: "Wie soll ich es denn jetzt sagen?"

Erleben Sie in Frankreich eine andere Debattenkultur?
Man findet dort auch diese unsichtbaren Mauern, die verhärteten Fronten. In Frankreich geht man aber viel öfter noch auf die Straße. Da macht sich die Wut ganz anders Luft. Und es existiert eine Kultur der Debatte, die tatsächlich gepflegt wird.

Cancel Culture und Wokismus: "Auseinandersetzung geht nur, wenn man Humor auch zulässt"

Brennende Themen wie Cancel Culture und Wokismus werden leichtfüßig und humorvoll erzählt. Eine Provokation?
Für mich funktioniert eine Auseinandersetzung nur, wenn man bei aller Ernsthaftigkeit den Humor auch zulässt. Die Idee ist, sich nicht darüber lustig zu machen, sondern über das Lachen Luft an die angesprochenen Themen zu lassen und sich darüber auch wieder zu öffnen. Das setzt natürlich voraus, dass man sich auf diesen Erzählstil einlässt. Wütende Reaktionen dürfte es da auch geben. Aber für mich ist es der Auftrag eines Senders wie dem BR, im Kulturprogramm nicht nur gefällig sein zu wollen.

Sie tanzen in einer bemerkenswerten Szene nach Michael Jacksons "Smooth Criminal".
Die Szene war von mir improvisiert, auch wenn im Drehbuch Musik bereits eine Rolle gespielt hat. Ausgelassenes Tanzen ist für mich nur möglich, wenn man befreiter ist. Diese Tanzszene ist auch eine Form der Befreiung meiner Figur, ihr Verlassen einer Little Box.

Vor 20 Jahren hatten Sie Ihren Durchbruch mit Hans Steinbichlers wunderbarem Film "Hierankl". Wie denken Sie heute an diese Zeit zurück?
Das ist nach wie vor einer meiner liebsten Filme. Wenn Hans und ich uns über den Weg laufen, träumen wir, dass wir noch mal so einen Film in dieser Art und mit diesem Team machen sollten. Und jetzt ist Peter Simonischek gestorben, ein toller Schauspieler und Mensch, mit dem ich sehr eng verbunden war, gerade auch durch unsere gemeinsamen Dreharbeiten. Aber auch mit den anderen, Barbara Sukowa und dem Sepp Bierbichler, habe ich noch Kontakt und verbinde wunderbare Erinnerungen an unsere damalige Drehzeit.

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