Debatte um Arbeit bei "Hart aber fair": "Die arbeitende Bevölkerung kommt sich veräppelt vor!"

"Die leben im Taka-Tuka-Land. Uns fehlen Millionen Fachkräfte und die, die da sind, sollen weniger arbeiten" – mit seinem Facebook-Kommentar zur 4-Tages-Woche brachte "Hart aber fair"-Zuschauer Holger Firzlaff nicht nur Moderator Louis Klamroth zum Schmunzeln. Das Publikum schien seine Meinung zu teilen. Auch das Ergebnis einer Untersuchung der Hans-Boeckler-Stiftung im Mai ließ an der Umsetzbarkeit einer Arbeitszeitreduktion auf 32 Wochenstunden zweifeln: Knapp 74 Prozent der Vollzeitbeschäftigten wären dafür – vorausgesetzt, der Lohn bliebe gleich.
"Es wundert mich, dass es nicht 100 Prozent sind", kommentierte Klamroth trocken, und startete selbst eine Umfrage: Keiner der Diskussionsteilnehmenden, zu denen unter anderem SPD Bundesarbeitsminister Hubertus Hell, Hendrik Ambrus, Geschäftsführer eines Handwerksbetriebs, und Prof. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft zählten, wollte für sich die 4-Tage-Woche geltend machen ("Ich habe Verantwortung für 400 Beschäftigte", meinte Letzterer. Heil entgegnete: "Ich für 80 Millionen Deutsche, ich kenne das.").
Eine generelle Kürzung der Arbeitszeit um 20 Prozent gehe sich volkswirtschaftlich nicht aus, warnte Hüther. Bei manch mittelständischem Unternehmen hingegen sorge das Modell für weniger Krankmeldungen, berichtete Ronja Ebeling (Journalistin, Autorin "Work Reloaded"). Für andere brächte die 4-Tage-Woche einen Wettbewerbsvorteil beim Gewinnen von Arbeitskräften.
IG-Metall-Chefin wirbt für "selbstbestimmte Arbeitszeit"
Eine Verbesserung des Images verspricht sich auch die Stahlindustrie von der 32,5 Stunden Woche. Für Christiane Benner, neue und erste weibliche Vorsitzende der IG Metall, wäre das zusammen mit einem Lohnplus von 8,5 Prozent ein Beitrag, die durch umweltbedingten Technologiesprünge erwarteten Rationalisierungseffekte der Branche ab 2026 abzufedern. Dass die Arbeitgeberseite in diesem Szenario laut Klamroth mit einem "sehr sportlichen" Lohnplus von 17 Prozent rechnete, wies die Neu-Chefin zurück.

Schließlich würde die Reduktion von 35 auf 32,5 Wochenstunden "nicht ab 1.1. nächsten Jahres schlagartig, sondern sukzessive und sehr vernünftig" erfolgen, argumentierte sie mit einer Flexibilität, die die Kumpels in der Corona-Pandemie bewiesen hätten. Von einem "Ausgleich dafür", wie Klamroth unterstellte, wollte Benner nichts wissen. Ebenso wenig davon, dass die Wegrationalisierung und das Gewinnen neuer Arbeitskräfte ein Widerspruch wären. Mit "selbstbestimmter Arbeitszeit kann die Industrie attraktiver" werden, betonte sie – insbesondere für junge Menschen und Frauen, die ungewollt in Teilzeitpositionen steckten.
Hubertus Heil fordert Berufsorientierung ab der 6. oder 7. Klasse
Arbeitsminister Heil sah dagegen die Generation Z als Chance, den Arbeitskräfte- und Facharbeitermangel zu bewältigen. "Uns gehen Menschen durch die Lappen, die arbeitsfähig sind. 1,6 Millionen Menschen sind ohne berufliche Erstausbildung", betonte der 51-Jährige. Neben Bildungsmaßnahmen sprach er sich für eine Berufsorientierung ab der 6. oder 7. Klasse aus, denn "viele junge Menschen wissen nicht, dass sie in Handwerksberufen gut Geld verdienen".
Es wäre das Ergebnis eines "Akademisierungsmärchens von Politik und Gesellschaft", bestätigte Ebeling – mit Jahrgang 1996 selbst Generation Z – und zitierte Studien, in denen sich 50 Prozent der Schüler bei der Berufswahl schlecht beraten oder überfordert fühlen. Darüber hinaus hätte die Digitalisierung Berufe so verändert, dass viele Jobs gar nicht bekannt wären. Auch Louis Klamroth musste beim Beruf der Anästhesietechnischen Assistentin genauso passen wie bei der Fachkraft für Wasserstoff Elektrolyseure. "Sie [Anm. d. Red.: die Jungen] haben keinen Bock auf bestimmte Branchen, wenn die Berufsorientierung nicht stimmt", fasste die Beraterin zusammen.
Dass Vertretende der Generation Z gegen Strukturen auf dem Arbeitsmarkt laut Ebeling ein "kritisches Nein" äußern, solle nicht als Bestätigung des "Schablonenklischees" der arbeitsunwilligen Jungen gewertet werden, meinte Heil. Generell seien die Deutschen "kein faules Volk", auch wenn die Bundesrepublik in einer Studie des Roman Herzog Instituts mit 52.600 Arbeitsstunden den vorletzten Platz belegte. Es gehe um den Trend, wies der Politiker auf 2,3 Milliarden ("nicht Millionen") Stunden mehr Arbeitsvolumen als noch vor zehn Jahren hin.
Arbeitsminister Hubertus Heil: "Raus aus der Bedürftigkeit in die Arbeit"
Ob die Erhöhung des Bürgergelds bei einer nur minimalen Steigerung des Mindestlohns ab 1. Januar 2024 diese Entwicklung bremst, wird die Zukunft weisen. "Die arbeitende Bevölkerung kommt sich veräppelt vor", brachte Dachdecker Hendrik Ambrus die "Stammtischmeinung" auf den Punkt. Ronja Ebeling konnte von einem Unternehmen im Bäckereifachwerk berichten, das innerhalb von neun Monaten fünf Kündigungen erhalten hatte.

"Jemand, der so bescheuert ist wegen des Bürgergelds zu kündigen, kriegt erstmal kein Bürgergeld, sondern eine Sperre beim Arbeitslosengeld", machte Heil aus seiner Kritik keinen Hehl. Das Bürgergeld wäre kein bedingungsloses Grundentgelt, sondern diene zur Existenzsicherung. Sich nur darauf zu verlassen, hätte langfristig negative Folgen für den Rentenbezug. "Es ist immer günstiger arbeiten zu gehen, das muss es auch sein", stimmte Hüther mit ihm überein. Werde die zusätzliche Arbeit allerdings mit nur 2,48 Euro pro Stunde vergütet, würde das kaum ausreichen, um den Arbeitsanreiz hoch zu halten.
Vor allem, weil die mit Bürgergeld vergünstigte Eintritte und andere bargeldlose Leistungen bezögen. "Die Schieflage werden Sie nicht mehr los", konstatierte der Institutsleiter. Den Ball ließ sich Heil nicht zuspielen: Die Erhöhung des Mindestlohns wäre zu niedrig ausgefallen, kritisierte er die Mindestlohnkommission weiter, denn diese "Lohnfindung sei keine Aufgabe des Gesetzgebers, sondern der Sozialpartnerschaft." Das gemeinsame Ziel müsse sein, dass der Lohnabstand wieder ansteigt. Denn: "Raus aus der Bedürftigkeit in die Arbeit", meinte Heil, "das muss unser gemeinsames Ziel sein."