Das sinkende Narrenschiff
Unser altes Nachkriegsdeutschland war eine rheinische Republik. Die Hauptstadt war Bonn, geprägt wurde sie vom ehemaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Leider kam so auch das ZDF nach Mainz und damit in die zweite Hochburg der Fastnacht.
Mittlerweile werden wir vom karnevalsfreien Berlin aus regiert. Aber der größte ARD-Sender WDR und das ZDF propagieren in diesen Tagen noch immer die rheinische Fröhlichkeit als gesamtdeutsche Leitkultur. Und was ein echter Jecke ist, der lässt sich auch von sinkenden Quoten die Laune nicht vermiesen. Von früher acht Millionen schmolz die Zuschauerschar auf ein Allzeit-Tief von 6,46 Mio. im Jahr 2011 auf 5,9 Mio. 2012. Allerdings war gerade Wulff zurückgetreten: Die ARD brachte einen Brennpunkt zur besten Sendezeit.
Am Sexismusvorwurf gegen FDP-Bundestagsfraktionschef Rainer Brüderle dürfte kommt die erfolgreichste Fastnachtssitzung im deutschen Fernsehen heuer nicht vorbeikommen. Auch
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist ein gefundenes Fressen für die Büttenredner, ebenso FDP-Chef Philipp Rösler und der lahmende Berliner Flughafen. Frischen Wind soll Kabarettist Lars Reichow bringen, der als Anchorman die „Fastnachtsthemen“ präsentiert. Die Traditionssendung, die es in dieser Form seit 1973 gibt, läuft an diesem Freitag um 20.15 Uhr live in der ARD.
„Den Rainer Brüderle können Sie auch nicht mehr allein an einer Hotelbar stehen lassen“, sagt Reichow in der Generalprobe am Mittwochabend. „Guddi Gutenberg“, verkörpert vom scheidenden
Sitzungspräsidenten Hans-Peter Betz, weiß noch mehr: „Nuschel-Rainer“ habe an einer Hotelbar ein paar Dornfelder getrunken. „Dann hat er das Mädchen mit einer "Woikönigin" verwechselt und bei "Woiköniginnen" setzt bei Brüderle der Kussreflex ein.“ Mit Blick auf den Bericht einer „Stern“-Journalistin über Brüderle fragt Betz: „Wieso fällt der Tussi das erst ein Jahr später wieder ein?“
Peer Steinbrück ist bei den Fastnachtern beliebt. Der „Bote vom Bundestag“, stilvoll vorgetragen von Jürgen Dietz, nennt ihn den „Messias für Ahnungslose“. „Guddi Gutenberg“ geht noch weiter: „Der Abstand zwischen zwei Fettnäpfchen ist ein Steinbrück.“ Lars Reichow gibt zum Besten, dass Steinbrück in der CDU als Mitarbeiter des Monats gelte. „Kriegt er keine Kohle mehr dafür, redet er den letzten Scheiß.“ Dickes Fell muss auch FDP-Chef Rösler beweisen, falls er die Sendung sieht. „Polit-Pygmäe“ nennt ihn „Till“ alias Friedrich Hofmann.
Auch die Aberkennung des Doktortitels für Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) wird persifliert. In Rheinland-Pfalz gebe es nun mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) fast nur Politikerinnen - alle ohne Doktortitel, sagt Reichow. „Da kann nix passieren.“
„Mainz bleibt Mainz“, eine Gemeinschaftssitzung der vier großen Mainzer Karnevalsvereine, wechselt in fast vier Stunden zwischen Politik, Musik, Ballett und Lokalkolorit. Während etwa Hildegard
Bachmann – diesmal als Landfrau im Theater – schon viele Male dabei ist, gibt es auch Nachwuchs: Christian Schier und Martin Heininger bringen spritziges Tempo mit, wenn ein Wiesbadener in der Hypnose zum „Meenzer“ wird – die Fehde zwischen beiden Städten hat Tradition.
Es gibt auch ernste Momente, etwa wenn Reichow den Umgang der katholischen Kirche mit der Aufklärung des Missbrauchsskandals oder mit vergewaltigten Frauen kritisiert. Da wird die Bütt zur Kanzel, wenn er sagt: „Wie lange lassen sich die guten Gläubigen noch von diesen lebensfremden alten Männern zum Narren halten?“