Daniel Harrich über seine Terror-Doku: "Es kann noch schlimmer werden"

München - Zum fünften Jahrestag der verheerenden Terroranschläge in Paris vom 13. November 2015 setzt sich Daniel Harrich, investigativer Münchner Journalist und Filmemacher, auf die Spur des islamistischen Terrors und entlarvt "Das Geschäft mit Terror".
Terror-Doku sollte Pflichtprogramm sein
Westliche Geheimdienste arbeiten ungeniert mit Organisationen zusammen, die Terror in Europa nicht nur finanzieren, sondern direkt steuern - mit Geld aus dem Westen zur Bekämpfung des Terrors. Gleichzeitig räumt er auch mit der beliebten Mär vom Einzeltäter auf. Die brisante Doku sollte Pflichtprogramm für Politiker sein, die seit Jahrzehnten glauben, mit Geld und guten Worten den Terror zu bändigen. Eine Illusion, wie die kürzlichen Attacken von Paris, Nizza und Wien beweisen.
Investigativ Journalist Harrich über die Recherche
AZ: Nach Ihrem Film schwirrte mir der Kopf. Wie haben Sie dieses Puzzle aus Informationen und Gesprächen entwickelt?
DANIEL HARRICH: Angefangen haben wir mit dem Thema Terror 2006/2007, eine unglaubliche und Jahrzehnte lange Arbeit liegt hinter uns, eine anstrengende Tiefenrecherche. Am zeitaufwändigsten gestaltete es sich, die potenziellen Gesprächspartner vor die Kamera zu kriegen. Wir haben es wirklich geschafft, die wichtigsten Player der Geheimdienstszene zu überzeugen. Die größte Herausforderung war der Aufbau einer Beziehung und das notwendige Vertrauen im Vorfeld.
Einer der Protagonisten ist General Michael Hayden, langjähriger Direktor von NSA und später CIA, der überraschend Klartext spricht.
Michael Hayden war die schwerste Nuss zu knacken. Ich habe sieben Anläufe genommen und nur Absagen kassiert. Beim achten Mal schrieb ich eine mehrseitige Mail, wo ich alles in die Waagschale geworfen habe vom jungen Journalisten, der an Demokratie und Freiheit glaubt bis zum Appell des Filmemachers. Aus unserem geplanten Zehnminutentermin in seinem Washingtoner Büro wurden dann fast vier Stunden.

"Unsere Regierung befeuert aktiv den Terror"
Die blutige Spur des Terrors führt meistens nach Pakistan und zum pakistanischen Geheimdienst ISI.
Wer etwas über Pläne und Strukturen der islamistischen Gruppen erfahren will, muss mit Organisationen wie dem ISI kooperieren. Das ist die einzige Möglichkeit. Als nach den Gräueltaten des Assad-Regimes in Syrien die Verbindungen zu den dortigen Diensten gekappt wurden, gingen viele Informationsquellen verloren, was sich später gerächt hat. Es muss gleichzeitig allen bewusst sein, dass unsere Regierung aktiv den Terror und auch die Flüchtlingskrise befeuert, indem sie mit diesen schwierigen Partnern zusammenarbeitet. Terrorismus ist auch ein Geschäftsmodell. Informationen gegen Geld. Aus Geld gegen den Terror wird Geld für den Terror. Nehmen Sie die Türkei, die auf der einen Seite den IS, den Islamischen Staat, unterstützt mit Waffen, Geld und Ausbildung und gleichzeitig unser Partner im Rahmen der Nato im Kampf gegen den Terror ist.
Seit 9/11 hat der Westen mehr als 35 Milliarden Dollar nach Pakistan fließen lassen und dadurch die vom ISI gesteuerte Terror-Attacke in Mumbai mit 174 Toten quasi mitfinanziert. Macht diese "Unterstützung" die westlichen Geheimdienste zu Mittätern?
Ja und Nein. Natürlich gibt es auf politischer Ebene eine Verantwortung, es sollte niemand im Nachhinein sagen, er habe nichts gewusst. Alle haben es gewusst. Seit Jahrzehnten wird dieses Spiel "Der Feind meines Feindes, ist mein Freund" gespielt. Da wechseln Terroristen ihre "Arbeitgeber" wie Al Quaida oder IS, man sucht sich einen Job gegen Bezahlung wie bei uns bei der Telekom oder beim Autozulieferer.
Harrich: "Ex-Chef des ISI wirkt wie ein netter Opa"
Wie empfanden Sie die Begegnungen mit Menschen wie Asad Durrani, dem Ex-Chef des ISI?
Das sind die angenehmsten und sympathischsten Leute, die ich je kennengelernt habe. Durrani wirkt wie ein netter Opa, mit dem man im Familienkreis die Feiertage zusammen verbringen möchte. Er vertritt die Position "Wir sehen die Welt halt anders". Es ist verrückt, weil man weiß, dass dieser Mensch am Drücker war und uns gegenüber inoffiziell als Sprachrohr des pakistanischen Geheimdienstes fungierte. Da plaudert man mit einem Mann, der in unserem Kulturkreis wahrscheinlich als Kriegsverbrecher bezeichnet würde, eine surreale Situation.
Der Ex-BND-Chef Gerhard Schindler gibt zu, dass man Moralvorstellungen hintanstellen muss. Am Schluss zähle nur der Erfolg. Auch Heyden will das "Bestmögliche" herausholen. Was heißt das?
Das heißt, so viel wie möglich verhindern trotz des Wissens, dass die Gelder wieder gegen uns verwendet werden können. Die Behauptung der Geheimdienste, dass viele Anschläge verhindert wurden in den vergangenen Jahren, wurde von findigen Politikern und Journalisten teilweise ebenfalls widerlegt. Da wird ein riesiger Aufwand betrieben und Geld investiert, ohne greifbare Resultate. Wir versuchen aufzuzeigen, dass die Gefahr durch die territoriale Schwächung des IS nicht weniger wird. Das beweisen die Anschläge in Paris, Nizza und Wien. Es kann noch schlimmer werden.
Gibt es eine "Rote Linie" für die Geheimdienste?
Die gibt es nicht. Ethik und Moral spielen eine untergeordnete Rolle.
Hoffnung auf Ende des weltweiten Terrors
Haben Sie nach Ihrem Blick in das Netz von Terror und Geheimdiensten überhaupt Hoffnung auf das Ende des weltweiten Terrors?
Als geborener Optimist verliere ich die Hoffnung nie. Doch das Phänomen Terror wird uns weiter verfolgen. Wir sollten uns nicht in falscher Sicherheit wiegen, auch wenn das Thema mal aus dem Fokus gerät. Wir haben uns an das Grauen gewöhnt, auch weil der Nachrichtenzyklus schnell wechselt.
Welche Rolle kommt den Medien- und Filmschaffenden zu?
Notwendig ist eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema islamistische Gefahr und Bedrohung durch Terror, wie mit der Rolle der Geheimdienste. Natürlich dürfen wir nicht friedfertige und gewaltbereite Muslime in einen Topf werfen. Die wenigsten Muslime sind Terroristen. Aber die meisten Terroristen weltweit haben eben einen muslimisch extremistischen Hintergrund. Wir Filmemacher haben die Aufgabe und die Pflicht, den Finger auf die Wunde zu legen, dürfen den islamistischen Terror und das Versagen der Geheimdienste nicht kleinreden, sonst nehmen Extremisten und Populisten hierzulande das Thema für sich in Anspruch. Das müssen wir verhindern. Wir fokussieren uns auf die Arbeit der Geheimdienste und den islamistischen Terror, aber nicht auf die Religion oder auf Auslegungen, sondern auf deren Instrumentalisierung. Es gibt Terror aus vielen anderen Richtungen, aber die globale Bedrohung ist nun mal der islamistische Terror. Wer das nicht einsieht, versteht die Welt nicht.
"Das Geschäft mit dem Terror: Unsere Geheimdienste und der Dschihad", Arte, Freitag, 13. November 2020, 22.15 Uhr