„Beckenbauer ist ein Gesamt-Kunstwerk!“
AZ: Herr Schadt, Sie sind der Regisseur der Dokumentation „Fußball – Ein Leben: Franz Beckenbauer“ über den Fußball-Kaiser zu seinem 70. Geburtstag. Ihr erstes bewusst wahrgenommenes Beckenbauer-Spiel?
THOMAS SCHADT: WM ‘66. Da war ich neun und saß wie alle elektrisiert vorm Fernseher. Dieser junge Beckenbauer war ungeheuer faszinierend. Und es ging ja weiter: Die EM-Mannschaft von ‘72 mit Netzer, Overath und den anderen war für uns die Mythologie des Fußballs.
Apropos Günter Netzer: Der hat im Film ja ein paar sensationelle Auftritte.
Ein ganz kluger Kopf, toller Humor. Er ist mit Franz eng befreundet und kann sich das leisten, so einen saloppen Ton anzuschlagen. Das macht der Beckenbauer ihm gegenüber ja auch. Und er hat was zu sagen. Ein ausgesprochener Gewinn für den Film.
Über ein Jahr haben Sie Beckenbauer begleitet – wie hat das angesichts seines vollen Terminkalenders funktioniert?
Das war von langer Hand organisiert und doch kompliziert, weil er wie ein Politiker mit Terminen voll belegt ist und auch noch versucht, ein Privatleben zu führen. Wichtig war, dass wir Termine hatten, wo nicht noch hundert andere Leute rumstehen. Das hat aber gut funktioniert, weil er Lust hatte, diesen Film zu machen und das Vertrauen auch da war.
Wie schnell ist man mit dem Kaiser per du?
Ich bin nicht jemand, der gleich duzt, auch wenn das unter Sportlern üblich ist. Das ging von ihm aus. Im Film wechselt das ja. Beim Dreh auf der Anlage vom SC 1906 waren wir noch nicht soweit.
Prima Idee, mit dem Kaiser die wichtigsten Schauplätze seiner Karriere zu besuchen: Wembley, Münchner Olympiastadion, New York, Rom, Berlin. Wo kam er Ihnen am emotionalsten vor?
In Wembley. Das Stadion ist der Hammer, ein Fußball-Dom! Auch wenn es nicht das Originalstadion von ‘66 ist. Da fand ich ihn sehr emotional, auch was ihm das als junger Spieler bedeutet hat. Und natürlich das Münchner Olympiastadion: Das ist immer emotional aufgeladen, auch in der Art, wie es jetzt dasteht: fast als Denkmal, als Ruine, ohne Sinn und Zweck. Da ist dann auch Wehmut mit im Spiel.
Im Trubel von New York wirkte er etwas verloren...
Ich denke, er weiß, dass das, was er früher in New York gelebt hat, jetzt nicht mehr für ihn in Frage kommt. Aber er hat sehr genossen, Pele zu treffen, der gesundheitlich nicht mehr so ganz auf der Höhe ist. Es war sehr anrührend, die beiden zu sehen. Für mich einer der Höhepunkte.
Wäre Beckenbauer ein guter Schauspieler geworden?
Man hat das an dem Film „Libero“ ganz gut gesehen: Das wäre nix für ihn.
Oder Regisseur?
Schon eher. Sein Talent war ja, dass er es geschafft hat, immer die richtigen Leute um sich zu gruppieren, auf dem Spielfeld wie im Leben. Er hatte immer ein glückliches Händchen mit den Leuten, die ihn nach vorne gebracht haben. Das ist ja ein bisschen eine Regisseurarbeit.
Es geht im Film nicht nur um die Sonnen-, sondern auch um die Schattenseiten: die Steuerflucht nach USA, gescheiterte Ehen, die Fifa-Sperre bei der letzten WM. Wie schwer tat er sich mit diesen Themen?
Für mich war entscheidend, dass er nicht leugnete, auch Fehler gemacht zu haben. Wie man sich öffentlich dazu stellt, ist eine andere Geschichte. Wenn man verfolgt hat, wie das mit dem tragischen Tod seines Sohnes gelaufen ist und hört, was er im Film zu seinem früheren Familienleben sagt, kann man nachvollziehen, wie sehr ihn so was trifft. Er ist ein sehr emotionaler Mensch. In sich nimmt er nichts auf die leichte Schulter, auch wenn das nach außen vielleicht so wirkt.
Gegen Ende des Films wird es beim Fußballspiel mit seinen beiden Kindern privat...
Das war ein Vorschlag von ihm! Wir haben überlegt, was man in Salzburg machen könnte, und er meinte, er kickt ab und zu mit den Kindern. Für uns war das ein kleines Geschenk.
Vorab hatten Sie gesagt, Sie wollten wissen, ob Beckenbauer so denkt, wie er spielt, ob der Fuß den Kopf lenkt oder umgekehrt. Ihr Fazit?
Ich glaube, er lebt tatsächlich so, wie er gespielt hat: sehr intuitiv, teilweise auch unberechenbar, immer auch von Anderen getragen. Beckenbauer ist schon so ein Gesamt-Kunstwerk von Fußballer und Mensch, bei dem es viele Übereinstimmungen gibt. Das ist eine Form von Authentizität, die man sehr schätzen kann.