Asyl-Zoff bei "Hart aber fair" - Klamroth wird der Diskussion kaum Herr: "An dieser Stelle muss ich abbrechen"
Christoph Kraas kam in der Turnhalle im Sauerland ganz schön ins Schwitzen. Der Plan des Investors, ein altes Kloster in eine zentrale Unterbringungseinheit für 450 Geflüchtete umzufunktionieren, ging im 6.000 Einwohner-Dorf Oeventrop in lautem Buhen und Johlen unter. "Wenn ich hier weiter wohnen und Friede, Freude, Eierkuchen haben will, muss ich dem Regierungspräsident absagen", erkannte Kraas im Einspielfilm und stoppte das Vorhaben. Zumindest für den Moment.
Buhen und Johlen hörte man am Montag bei "Hart aber fair" zwar nicht. Hitzig ging es in der ersten Debatte nach der Sommerpause allerdings ebenfalls zu. "Lassen Sie mich bitte ausreden", lautete gefühlt jeder dritte Satz. Nein, kalt ließ das Thema Asylpolitik in der Diskussionsrunde sichtlich niemanden. "Das wird spannend, legen wir los", meinte Moderator Louis Klamroth gleich zu Beginn. Er sollte nicht zu viel versprechen.
"Hart aber fair": Soziologe sieht Migrations-Rekordjahr
Zu diskutieren gab es einiges, schließlich ist deutschlandweit die Anzahl der Asylanträge im ersten Halbjahr 2023 um 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. "Es ist das Jahr mit den drittmeisten Asylsuchenden seit 1995", vermutet Ruud Koopmans, Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität Berlin und Autor des Buchs "Die Asyl-Lotterie", einen Post-Corona Nachholeffekt, "und es kann noch mehr werden". Dazu kommen noch rund eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine, die hier nicht inkludiert sind.

Angesichts dieses Anstiegs sehen sich die Kommunen an ihren Belastungsgrenzen. Sie drängen auf mehr Unterstützung vom Bund und fordern Strategien. Mit einer ebensolchen hat Thorsten Frei (CDU, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) vor Kurzem für Schlagzeilen gesorgt: Statt dem bisherigen Individualrecht auf Asyl solle die EU ein fixes Kontingent von 300.000 bis 400.000 Schutzbedürftige aufnehmen und auf die Mitgliedsstaaten verteilen.
Was dieser "krasse Bruch mit der Praxis" bewirken solle, das erfährt Klamroth von Frei selbst: "Der Vorschlag bedeutet, dass wir eine Steuerung und Ordnung in der Migration haben", meint der CDU-Politiker: "Wir brauchen diese Begrenzung, damit Gesellschaften in Europa in der Lage sind, die eigenen Herausforderungen zu bewältigen." Schließlich kämen Flüchtlinge jetzt in ein Deutschland, in dem beispielsweise 700.000 Wohnungen und 400.000 Kita-Plätze fehlen, in dem es in zwei Jahren an Tausenden Lehrern und in ländlichen Gebieten an ärztlicher Versorgung mangele.
"Das Erbe von Frau Merkel ist über Bord geworfen"
Dass es strukturelle Probleme in der Gesellschaft gibt, darin ist Cansin Köktürk (Sozialarbeiterin und Buchautorin) mit Frei einer Meinung. Es ist wohl der einzige Punkt. "Die Lösung ist aber nicht, Schuld bei den Geflüchteten zu suchen", betont sie. Auch Lars Castellucci (SPD, Sprecher der Arbeitsgruppe Migration und Integration der SPD-Bundestagsfraktion) kann Freis Vorschlag nichts abgewinnen: "Das Erbe von Frau Merkel ist über Bord geworfen", sieht er darin keine Spur mehr vom Humanitäts- und Ordnungsversprechen der Union, "das Individualrecht werden wir verteidigen. Der Vorschlag ist keine Blaupause, sondern im Gegenteil, es ist eine Abrissbirne für Menschenrechte."

Das lässt Frei nicht auf sich sitzen: Es gehe ihm darum, wirklich Schutzbedürftigen bessere Hilfe zu bieten und nicht alle aufzunehmen, die sich in Europa soziale Leistungen und wirtschaftliche Vorteile versprächen. "Nigeria hat 200 Millionen Einwohner. Dort gibt es Untersuchungen, dass 30 bis 50 Prozent der Menschen nach Europa wollen", nennt er ein Beispiel.
Sozialarbeiterin Köktürk reagiert sarkastisch: "Danke für Ihr aufrichtiges, gefühlvolles Herz!" SPD-Mann Castellucci erkennt "Angst und Panikmache", vor einer Flüchtlingsinvasion aber brauche man "gesellschaftlichen Zusammenhalt, um die Probleme zu meistern".
"Man braucht ein Abkommen mit Drittstaaten"
Während die beiden mit Freys Argumentation nichts anfangen können, bekommt der CDU-Politiker Unterstützung bei Migrationsforscher Koopmans. Zwar kann auch er bei Freis Theorie, dass die Abschaffung des individuellen Asylrechts die Menschen davon abhält, sich auf dem Weg nach Deutschland zu machen, nur den Kopf schütteln. Die Menschen über Kontingente aufzunehmen, hält er trotzdem für eine gute Idee.
Zusätzlich benötige man einen Plan: "Man braucht ein Abkommen mit Drittstaaten wie Türkei und Tunesien, um sicherzustellen, dass die Leute dort Möglichkeiten haben einen Schutzanspruch zu stellen", meint er. "In vielen dieser Länder gibt es schwere Menschenrechtsverletzungen", hält das Wiebke Judith (Rechtspolitische Sprecherin bei Pro Asyl) für keinen pragmatischen Vorschlag und spricht von einer "Scheindiskussion, die den Diskurs klar nach rechts verschiebt".
Für ebenso bedenklich hält Judith auch die Vorschläge von Innenministerin Nancy Fraeser, die Abschiebung zu verschärfen. "Die Abschiebepolitik in Deutschland ist jetzt schon hart", meint sie, "und wir befürchten, dass das mit den Vorschlägen von Frau Fraeser noch schlimmer wird.
Klamroth bringt die Diskussion zu einem jähen Ende
Dass die angekündigte neue Regelung einen – positiven – Unterschied mache und die Kommunen entlaste, das bezweifelt auch Koopmans. "Die einzige Möglichkeit, die Kommunen zu entlasten und das Massensterben im Mittelmeer oder der Sahara zu stoppen", seien Abkommen mit Drittstaaten, lässt er sich nicht beirren. "Wann findet diese Entlastung statt?", möchte Köktürk wissen. Der Forscher: "Das kann sehr schnell gehen. Als 2016 das Abkommen mit der Türkei unterzeichnet wurde, konnte man innerhalb von Wochen die Zahlen herunterführen", betont der Experte.
"An dieser Stelle muss ich abbrechen, weil wir jetzt keine Zeit mehr haben", bringt Klamroth die Diskussion zu einem jähen Ende. Aber immerhin ist es eines, das eine Spur von Hoffnung gibt.
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