Asyl-Debatte bei "Hart aber fair" mit grünem Bayern-Landrat: "Integration können wir uns nicht mehr leisten"

Auslagerung an Drittstaaten, Bezahlkarte oder Abschiebung: Welche Maßnahmen entlasten die überforderten Kommunen in der Migrations- und Integrationspolitik? Trotz des ungewöhnlich späten Starts präsentierte sich "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth hellwach.
Doris Neubauer |
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Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) machte aus seiner Überforderung beim Thema Migration keinen Hehl.
Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) machte aus seiner Überforderung beim Thema Migration keinen Hehl. © WDR/Oliver Ziebe

Der 6. November 2023 war ein langer Tag. Nicht nur für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidenten, die im Kanzleramt eine nächtliche Sitzung zum Thema Migration abhielten. Um hierzu auf dem Laufenden zu bleiben, wurde auch der Polit-Talk "Hart aber fair" (ARD) auf 23.45 Uhr verschoben. "Wenn bei der Ministerpräsidentenkonferenz etwas passiert, erfahren Sie es natürlich sofort", sagte Louis Klamroth anfangs zu seinem Publikum.

Während Ministerpräsidentenkonferenz: Louis Klamroth präsentiert "Hart aber fair"

Unter den Gästen - der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Dirk Wiese, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion Thorsten Frei, der Landrat von Miltenberg in Bayern, Jens Marco Scherf (Grüne), Journalistin und Moderatorin Hadija Haruna-Oelker und Bischof Christian Stäblein, Beauftragter der Evangelischen Kirche für Flüchtlingsfragen - war von Müdigkeit ohnehin keine Spur. Und auch Moderator Louis Klamroth präsentierte sich trotz der ungewöhnlich späten Uhrzeit von Beginn an in Höchstform.

Moderator Louis Klamroth (rechts) diskutierte bei „Hart aber fair“ mit seinen Gästen parallel zur Ministerpräsidentenkonferenz die Migrationsdebatte.
Moderator Louis Klamroth (rechts) diskutierte bei „Hart aber fair“ mit seinen Gästen parallel zur Ministerpräsidentenkonferenz die Migrationsdebatte. © WDR/Oliver Ziebe

Geld für Asylverfahren in Drittstaaten? 

"Deutschlandgeschwindigkeit ist das nicht", kommentierte der Gastgeber die lange Dauer der MPK und richtete gleich zum Start eine provokante Frage an den anwesenden CDU-Politiker Frei: Klamroth wollte wissen, ob die sehr lange Dauer der Ministerpräsidentenkonferenz daran liege, "dass Ihr Parteichef Friedrich Merz heute Morgen noch mit neuen Vorschlägen um die Ecke gekommen ist, die nicht mit den Ministerpräsidenten abgestimmt waren?" Frei wollte von neuen Vorschlägen nichts wissen und sich auch nicht darauf festnageln lassen, ob die Ideen von Friedrich Merz oder Hendrik Wüst, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen stammen. Frei: "Das ist nicht entscheidend." Klamroth: "Ich frage Sie trotzdem." 

Der CDU-Mann sprach sich für Binnengrenzkontrollen als Übergangsmaßnahme aus, bis die europäischen Außengrenzen geschützt werden. Zudem sollten Drittstaaten außerhalb Europas und entlang der Fluchtrouten Geld für Asylverfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln erhalten. Letzteres könne beispielsweise durch die UNHCR sichergestellt werden und werde laut Frei den Zuzug minimieren sowie das "Sterben im Mittelmeer" beenden. Die ebenfalls von der Union geforderte und in der MPK diskutierte Bezahlkarte wäre wiederum eine Möglichkeit, Zahlungen an Schlepper zu verhindern. Denn damit könnten Sachleistungen wie Lebensmittel, Kleidung und Hygiene bezogen und gleichzeitig Überweisungen ins Ausland verhindert werden. 

Gegenwind für CDU-Mann Frei 

"Da kommt viel durcheinander", äußerte Haruna-Oelker nicht zum ersten Mal Zweifel an Freis Aussagen. Beispiele wie das britische Ruanda-Verfahren oder das gescheiterte Türkeiabkommen zeigten, dass Standards hinsichtlich Menschenrechtsbedingungen in Drittstaaten nicht eingehalten würden. Und Schleuser abfangen zu wollen, wäre keine Begründung dafür, eine Karte einzuführen.

Journalistin Hadija Haruna-Oelker und SPD-Politiker Dirk Wiese (Mitte) konnten die Ausführungen von CDU-Mann Thorsten Frei nicht stehen lassen.
Journalistin Hadija Haruna-Oelker und SPD-Politiker Dirk Wiese (Mitte) konnten die Ausführungen von CDU-Mann Thorsten Frei nicht stehen lassen. © WDR/Oliver Ziebe

Er spiele hier mit Zahlen, kritisierte die Journalistin und nannte die Vorschläge "illusionär". Damit war sie nicht allein: "Wir brauchen Zuwanderung", konnte Dirk Wiese diesen Ideen wenig abgewinnen. Die Bundesregierung verfolge Migrationsabkommen mit Drittstaaten, um die notwendige Fachkräfte- und Arbeitskräfteeinwanderung zu ermöglichen und gleichzeitig sicherzustellen, dass diejenigen ohne Bleibeperspektive zurückgenommen würden. Das ginge allerdings nicht mit einmal schnippen. 

 Dass von Olaf Scholz' Abschiebe-Ankündigung 250.000 Personen betroffen wären, worauf Frei auch auf mehrfaches Nachfragen Klamroths standhaft beharrte, sei hingegen falsch. "Es gibt gewisse Länder, in die wir nicht abschieben aus unterschiedlichen Gründen." Weil es etwa keine diplomatischen Beziehungen gebe, dort Menschenrechtsstandards verletzt würden, oder "weil denjenigen, die abgeschoben werden, möglicherweise die Todesstrafe droht", differenzierte der SPD-Politiker. "Deswegen ist das, was Thorsten Frei gerade sagt, falsch." 

Jens Marco Scherf ist bayerischer Landrat in Bayern: "Vergessen Sie Integration" 

Ob das auch für die Einschätzung des CDU-Politikers galt, dass "das, was bisher auf dem Tisch liegt, nicht dazu führen wird, dass die Zahl der Migranten in Deutschland spürbar zurückgeht und damit die Probleme für die Städte und Gemeinden reduziert werden", das konnte in der Runde wohl einer am besten beurteilen: Wie immer werde über die Köpfe der Kommunen hinweg diskutiert, kritisierte Jens Marco Scherf. "Deswegen sitzen Sie hier", versuchte Klamroth den Landrat von Miltenberg immer wieder einzubinden. 

Die bisherige Notunterkunft mit 60 Plätzen, eine ehemalige Schule, würde laut Scherf nicht mehr ausreichen. "Was mache ich in drei Monaten?", machte der Grünen-Politiker aus seiner Überforderung keinen Hehl, "vergessen Sie Integration, die können wir uns nicht mehr leisten". Nach einer Frage von Haruna-Oelker, was die Kommune genau benötige, musste er allerdings länger nachdenken: "Mehr Kindergartenplätze, mehr Lehrer, mehr Mitarbeitende, mehr Wohnungen... von allem mehr und viel mehr Zeit, um Menschen gut integrieren zu können", lautete schlussendlich seine Antwort. Notwendig wäre eine volle Kostenerstattung, Geld alleine helfe jedoch nicht.

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Keine MPK-Ergebnisse, aber ein "Wort zum Dienstag" 

Zu welchen Maßnahmen sich die MPK durchringen konnte, das sollten Klamroth und seine Gäste in dieser langen Nacht nicht mehr erfahren. Immerhin erfüllte Bischof Stäblein dem Moderator einen anderen Wunsch, ein hoffnungsvolles "Wort zum Dienstag": Er sehe "auch in der Diskussion einen vereinten Willen, das Ganze so anzugehen, dass die Grundhaltung und die Bereicherung, dass wir die Würde der Menschen achten, all das verbindet uns in allem Streit darüber, wie es am besten geht".

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5 Kommentare
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  • am 07.11.2023 12:37 Uhr / Bewertung:

    Nanu!? Der klingt ja wie einer von der AfD.

  • Monaco_Flote am 07.11.2023 11:31 Uhr / Bewertung:

    Autsch ein grüner Landrat. Er sollte seinen Dank an seine Berliner Kollegen richten oder aus der Partei austreten.

  • Boettner-Salm am 07.11.2023 10:08 Uhr / Bewertung:

    Ihr schafft doch, liebe Politiker, nicht mal die leichteste Aufgabe, nur Sachleistungen.
    Wer soll euch das noch abnehmen das ihr was ändern wollt?

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