Angela Merkel bei Anne Will: Glaube und Berge
Sechs Millionen Fernsehzuschauer dürften am späten Sonntagabend mit sehr unterschiedlichen Gedanken und Gefühlen ins Bett gegangen sein: Während Bundeskanzlerin Angela Merkel Kritiker wohl mindestens Baldrian brauchten, werden die Befürworter ihres Kurses beruhigt eingeschlafen sein – Mutti macht das schon.
Beide Seelenlagen sind nachvollziehbar: Selten hat man Bundeskanzlerin Angela Merkel so kämpferisch erlebt wie in den 60 Minuten auf Anne Wills Talkshow-Sessel. Merkel präsentierte sich als Retterin der europäischen Idee, als letztes Bollwerk gegen Hysterie, als emotionale Logikerin, die sich nicht mit kurzfristigen nationalen Lösungen zufrieden gibt, sondern an dauerhafte, gemeinschaftliche Lösungen glaubt.
Dass sie nichts versprechen wolle, was sich nicht halten lasse, bescherte ihr den größten Applaus des Abends. Und auch den oft an ihre Branche gerichteten Vorwurf, wie ein Fähnchen im Wind zu sein, muss sich die CDU-Politikerin nicht gefallen lassen.
Sie bleibt standhaft. Gegner bevorzugen ein anderes Wort: stur.
Merkel schließt nicht nur einen Kurswechsel aus, sondern behauptet beinahe provozierend, keinen „Plan B“ zu haben. Man muss kein Verehrer Bismarcks sein – jenes deutschen Kanzlers, der immer eine realpolitische Alternative in der Schublade hatte – um diesen Satz problematisch zu finden.
Und noch eine weitere Aussage besitzt ein gewisses Verstörungspotenzial: Auch in der Flüchtlingskrise versetze der Glaube Berge, verkündet Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Mischung aus Zweckoptimismus und Autosuggestion, zu der auch die auffallend häufige Verwendung des Wortes „Ich“ passt. Wir schaffen das? Ich schaffe das! Das kann man angesichts Merkels sonstiger Zurückhaltung angenehm-persönlich finden. Oder abgehoben-majestätisch.
Auf jeden Fall ist es eine Kampfansage an ihre Gegner in der Union – der Europäischen und der Christlich-Sozialen.
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