80. Münchner "Tatort“ mit Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl
Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl arbeiten in ihrem 80. Münchner "Tatort" einen sehr düsteren Fall auf. Die AZ hat mit den beiden Schauspielern vorab gesprochen.
München - Fenster und Türen sind verriegelt. Nie im Leben würden Eltern Fremde ins Kinderzimmer lassen. Oder doch? Die Technik macht es möglich, so wie die Puppe "Cayla", die vor gut zwei Jahren für Aufsehen sorgte.
Per Funk ans Internet angebunden, sollte sie sich mit niedlicher Kleinmädchenstimme unterhalten können. Doch die Puppe wurde in Deutschland als potenzielles Spionagegerät verboten. Es gab Befürchtungen, Hacker könnten über die Puppe mit Kindern Kontakt aufnehmen. Eine unheimliche Vorstellung, die im "Tatort" aus München Wirklichkeit wird. In "Wir kriegen euch alle" spielen smarte Spielzeuge eine gruselige Rolle in einer Reihe entsetzlicher Morde.
AZ: Herr Nemec, Herr Wachtveitl, im aktuellen "Tatort" lösen Sie ihren achtzigsten Fall. Wären Sie mittlerweile im wahren Leben in der Lage, kriminalistische Ermittlungen zu führen?
MIROSLAV NEMEC: Ich denke, dass man schon etwas über Zusammenhänge lernt. Zum Beispiel, dass die meisten Verbrechen im familiären Bereich passieren. Aber wir bleiben, was wir sind: Schauspieler, nicht Kriminaler.
UDO WACHTVEITL: Aber wir würden sicher die falschen Formulare ausfüllen und die Dienstfahrten falsch abrechnen. Ich war mal mit einem Fallanalytiker essen, der unsere Redakteure berät. Sein Beruf ist dem des Drehbuchschreibers sehr ähnlich: Beide haben ein paar Fakten, die sind gesetzt und daraus müssen sie eine plausible, psychologisch schlüssige Geschichte basteln.
Wenn ihnen diese Geschichte des Drehbuchautors nicht gefällt: Haben Sie dann ein Vetorecht?
WACHTVEITL: Juristisch gesehen können wir bei jedem einzelnen Projekt sagen: Das machen wir nicht. Und es ist einmal vor langer Zeit so gekommen. Der Film wurde dann in dieser Form nicht gemacht. Wir hätten uns damit keinen Gefallen getan. Das hat Ärger nach sich gezogen. Man macht das auch nicht gern, man kennt die Leute ja nach dieser langen Zeit, man weiß um ihre Nöte in den Redaktionsstuben. Aber manchmal muss man sich selber schützen. Die Lehre daraus war, dass wir relativ früh in die Projekte eingebunden werden. Und was die Regisseure betrifft, so empfinden wir die Zusammenarbeit mit dem einen besser, mit dem anderen nicht so. Und ich denke, das wird auch wahrgenommen. Aber wir sind nicht in der Position, Berufsverbote auszusprechen. Möchten wir auch gar nicht sein.
Wie weit fortgeschritten war dieses Projekt, das sie verhindert haben?
WACHTVEITL: Ziemlich weit.
NEMEC: Der Dreh wurde um zwei, drei Wochen verschoben. Das Buch wurde damals in eine Neufassung gebracht, dann haben wir uns noch mal drüber gesetzt. Man kann bei solchen Büchern niemals dieselbe Qualität erreichen wie bei Büchern, die von Anfang an gut sind. Man kann nur erreichen, dass die Zuschauer sagen: Naja, der Tatort war ganz normal.
WACHTVEITL: Das hat damals zwischen uns zu einem Zwist geführt, weil wir unterschiedlicher Meinung waren, mit welcher Vehemenz wir das durchsetzen sollen. Ich habe das etwas härter betrieben. Aber ich muss mir ja am nächsten Morgen bei der Bäckerin anhören: Das war fei nix!
NEMEC: Ich habe den Film wieder mal gesehen – er ist eigentlich ganz gut geworden.
WACHTVEITL: Na, dann hat sich’s ja gelohnt.
Wie haben sie sich nach ihrem Zwist wieder zusammengerauft?
WACHTVEITL: Bei Schumann’s.
NEMEC: Beim Charles, ja.
Sie treffen sich also auch privat?
NEMEC: Wir waren zusammen im Urlaub, kochen auch mal zusammen. Wir sehen uns ab und zu privat, aber es ist weniger geworden, seitdem ich Familie habe. Wir sind früher öfter mal einen trinken gegangen.
WACHTVEITL: Das darf er jetzt nicht mehr.
NEMEC: Genau, nur noch essen.
Wie groß ist ihr Einfluss bei den Dreharbeiten?
NEMEC: Wir machen Vorschläge bei der Umsetzung.
WACHTVEITL: Ich glaube an Arbeitsteilung, aber die erfahrenen Regisseure lassen sich darauf ein.
NEMEC: Junge Regisseure haben oft Angst, sich zu verzetteln, wenn wir beide wieder etwas ausprobieren wollen. Sie haben einen wahnsinnigen Druck von der Produktionsseite, in kurzer Zeit alles zu drehen. Ein souveränerer, routinierterer Regisseur kann sich darauf einlassen, weil er die Zeit und das Pensum unter Kontrolle hat.
WACHTVEITL: Aber für Regisseure ist es oft auch ganz angenehm, dass wir so ein selbstorganisierendes System sind. Wir haben in achtzig Folgen wahrscheinlich 200 Büroszenen gedreht, das ist ein Reservoir, aus dem man schöpfen kann.
Begonnen haben Sie 1991. Welche neuen Akzente haben Sie gesetzt?
NEMEC: Der Humor und die Dialoge waren anders als bei den Tatorten davor. Wir waren ein Münchner und einer mit Migrationshintergrund – und beide gleichberechtigt. Das gab es vorher nicht.
WACHTVEITL: Das hat das übliche Schema des Kommissars im Vordergrund und der Assistenten als Satelliten aufgebrochen. Inzwischen wurde das oft kopiert, weil das den Drehbuchschreibern viele Möglichkeiten eröffnet. Die zwei Kommissare können eine völlig andere Meinung haben, und weil es keine Rangfolge gibt, prallen sie ganz anders aufeinander, als wenn einer sagt: Fahr schon mal den Wagen vor.
Der Film, der am Sonntag zu sehen ist, ist gelungen, aber nicht allzu nah an der Wirklichkeit. Wie realitätsnah muss ein Tatort sein?
NEMEC: Wir haben über vieles in diesem Film gesprochen und einiges noch geändert. Bei manchem habe ich gesagt: Das glaube ich nicht. Eine Figur in dem Film war uns zu beliebig böse: Eine psychisch kranke Figur kann alles machen.
WACHTVEITL: Man macht es sich einfach, wenn man ein Monster zeigt und sich nicht um psychologische Plausibilität bemüht. Denn dann ist alles möglich. Das ist wie bei einem Architekten, der auf der grünen Wiese alles bauen kann: Es gibt keine kreativitätsfördernden Hindernisse mehr.
In dem Film am Sonntag geht es um Selbstjustiz und als Zuschauer empfindet man Empathie mit dem Täter. Haben Sie keine Angst, dass der Film falsche Emotionen weckt?
WACHTVEITL: Wir wollen Emotionen wecken, aber sie müssen in einem Diskurs bewältigt werden. Wer bei dem Film sagt: Richtig, Rübe ab – der würde das ohne den Film auch sagen.
NEMEC: Im Film wird Selbstjustiz verurteilt, da gab es viel gefährlichere Szenen. Zum Beispiel wurde an einer Autobahnbrücke ein an einem Seil hängender Stein herabgehängt, um einen lebensgefährlichen Unfall zu provozieren, diesen zu filmen und an die Medien zu verkaufen. Da hatte ich wirklich Angst vor Nachahmung.
WACHTVEITL: Ein anderer hochgelobter Tatort hatte einen Schluss, den ich rechtsstaatlich bedenklich fand. Da hatte eine überführte Mörderin einen guten Grund für ihre Tat – ihr Kind war missbraucht worden – und unsere Kommissarsfiguren haben ihr geholfen, die Sicherheitskontrollen am Flughafen unbemerkt zu passieren. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Leute sagen: Moment, das geht nicht. Ich möchte nicht in einem Staat leben, in dem das Gesetz in den Händen von zwei Polizisten liegt.
ARD, Sonntag, 20.15 Uhr
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