60 Jahre Fernsehwerbung: Die Lieblinge der AZ-Redaktion

Es ist der 3. November 1956, abends gegen 19.30 Uhr. Xaver, gespielt von Beppo Brem, kleckert auf die schöne Tischdecke in einem Lokal. Na, bravo. Seine Frau, verkörpert von Liesl Karlstadt, ist ohnehin ein bisserl hantig, und der Fleck ihres Mannes macht sie doppelt narrisch. Aber der tollpatschige Gatte hat nochmal Glück gehabt: Persil kann das Malheur richten. "Dafür gibt’s doch – Gott sei Dank – Persil, nicht wahr, gnäd’ge Frau?", beruhigt der Wirt. Zum Schluss grinst der Ehemann zufrieden in die Kamera. "Der gebildete Mensch sagt nur: Persil!"
Knapp eine Minute dauert dieser Spot im Bayerischen Rundfunk, und er flimmert nur über überschaubare 50.000 Fernsehgeräte – dennoch hat er Geschichte geschrieben. Die Persil-Werbung vor 60 Jahren ist der Beginn der TV-Werbung in Deutschland.
Henkel hat sich die erste TV-Werbung vertraglich gesichert
Warum ausgerechnet Persil? Das ist kein Zufall. 1954 verpachtete die Firma Henkel ein Grundstück an den Bayerischen Rundfunk, damit dort ein Sendemasten errichtet werden konnte.
Die Bedingung: Die Henkel-Werbung sollte die erste sein, die auf den Bildschirm kommt – für den Fall, dass der Bayerische Rundfunk jemals Werbefernsehen ausstrahlen würde, schreibt Henkel zum Jubiläum in einer Mitteilung. Es schien für den damaligen Geschäftsführer der Bayerischen Rundfunkwerbung so weit entfernt, dass er spontan zustimmte. Dies wurde vertraglich festgehalten. Henkel jedoch hatte den richtigen Blick für die Entwicklung der Werbung. Und so ging zwei Jahre später der erste TV-Spot on air – für Persil. "Ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Deutschen Fernsehens hat begonnen", hieß es damals auf einer Titelseite, wie das Historische Archiv des Bayerischen Rundfunks belegt. Bis April 1959 zogen alle anderen Rundfunkanstalten nach – auch wenn Fernsehwerbung in ihrer Anfangszeit hochgradig umstritten war.
Seither hat sich natürlich so einiges getan: Heute ist TV-Werbung das werbestärkste Medium in Deutschland mit Netto-Einnahmen von 4,4 Milliarden Euro im Jahr 2015. Zum Vergleich: 1956 war das Fernsehen das werbeschwächste Medium mit Brutto-Werbeeinnahmen von 0,2 Millionen D-Mark und einem Marktanteil von 0,02 Prozent.
60 Jahre TV-Werbung – ein Grund zum Feiern und Zurückblicken. Zum Jubiläum schreiben heute AZ-Redakteure über ihre liebste Werbung.
Ariel: Der Knirps Klementine
Für mich persönlich war es fast schon ein Aufstieg, als ich als Knirps in der Schule den Spitznamen "Klementine" verpasst bekam. Die lieben Schulkameraden waren zwar nicht gerade ultra-kreativ, heiße ich doch in Wirklichkeit mit Vornamen Clemens, aber wenn man zuvor "Clarence" (so hieß der schielende Löwe in der Kult-TV-Serie "Daktari") gerufen wurde, fühlte man sich geradezu befreit.
Die Klementine blieb mir lange erhalten, schließlich warb die Firma Procter & Gamble 18 Jahre lang von 1968 bis 1986 mit der lustigen Hausfrau für sein Waschmittel "Ariel". Klementines Markenzeichen waren eine schneeweiße Latzhose und eine schneeweiße Schirmmütze, jeweils mit der Aufschrift "Klementine", dazu ein rot-weiß kariertes Hemd. "Nicht nur sauber, sondern rein" und "Ariel in den Hauptwaschgang" wurden zu geflügelten Worten der deutschen Fernsehwerbung.
Nach einer Pause von zehn Jahren stand die Klementine-Darstellerin Johanna König 1993 noch einmal vor der Kamera und war weitere drei Jahre bis 1996 in Fernsehspots zu sehen. Im Anschluss erhielt sie von Procter & Gamble einen PR-Vertrag auf Lebenszeit. Den hätte ich zwar auch gerne bekommen, aber leider hat sich bei Klementine/Clemens nie jemand gemeldet ...
Clemens Hagen
McDonald's: Ein Fast-Food-Märchen
Zu meiner Verteidigung: Ich war neun und sah gern Werbung, weil wir Kinder die Spots oft nachspielten und mit einer Kamera aufnahmen. Besonders gern imitiert haben wir die McDonald’s-Werbung. Nicht nur, weil Pommes unsere Leibspeise war, sondern weil sie uns berührte. Ja, ehrlich!
Der Bub sitzt nach der Schule auf den Stufen, alle werden abgeholt, nur er scheint vergessen worden zu sein. Der Hausmeister fegt die Treppe – als endlich der Papa kommt.
Der Grund für die Verspätung: Er war bei McDonald’s, hat dem Kleinen eine fette Tüte mitgebracht. Der strahlt plötzlich, dazu der Ohrwurm "Einfach gut", den wir mitgrölten. In Kinderaugen und -ohren war das ein kleines modernes Märchen.
Kimberly Hoppe
Asbach Uralt: So viel Gutes
Als 66er-Baujahr ist meine telegene Prägephase in den 70ern erfolgt – mangels Farbe bis 1978 in Schwarz-Weiß. Ja, mei. Was da nachhaltig in Erinnerung geblieben ist? Ganz sicher eine, wenn nicht die Weinbrand-Werbung. Auch wenn diese Spots mittlerweile ähnlich Asbach-uralt sind wie der Schreiber dieser Zeilen, sind sie mir präsent, als hätte ich sie gestern erst wieder gesehen (nein, ich habe sie mir nicht auf Youtube gerade angeschaut).
Die Story: Eine Gruppe von Leuten, schrecklich gut gelaunt, schrecklich angezogen, mit schrecklichen Frisuren und noch schrecklicheren Brillen gerät – huch! – in einen schrecklichen Schauer, kommt gerade noch so mit dem Leben davon, klingelt an einem Haus, wo sie schon erwartet werden: mit Kaminfeuer – und dem Spruch: "Wenn einem so viel Gutes widerfährt, das ist schon einen Asbach Uralt wert." Echt legendär!
Fa: Duschende Schönheit
Unberührte Sandstrände, Palmen und diese lasziv duschende Dame, die dann in die Fluten hechtete. Was habe ich die Fa-Werbung geliebt. Eine nackte Frauenbrust im Fernsehen – damals der Wahnsinn, vor allem für pubertierende Teenager.
Gebannt saß ich vor dem Fernseher und hab’ sehnsüchtig darauf gewartet, dass sich meine Traumfrau wieder einseift. Was für ein unschuldiges Vergnügen im Vergleich zu dem, was heute im Internet abgeht.
In den 70ern war die Welt noch in Ordnung, und damit das so bleibt, haben meine Eltern streng darüber gewacht, dass ihr Filius moralisch exakt eingenordet heranwächst. Wenn die Fa-Werbung lief, wurde weggeschaltet. Da unser Fernseher damals aber noch keine Fernbedienung hatte, musste immer einer aufstehen. Der war ich, weil ich dann meiner duschenden Schönheit noch viel näher kam.
Ralph Hub
Iglo Rahmspinat: Blubb!
Wenn Werbung kommt, schalte ich sofort weg. Meine Lieblingswerbung? Nach langem Grübeln fällt mir dann doch noch eine ein: die mit dem Blubb. Und nicht zu vernachlässigen: Werbe-Ikone Verona (Feldbusch) Pooth.
Mit Lockenwicklern, grellorangem Bademantel und noch grellerer Stimme erklärt sie den Zuschauern 1999 (ja, so lange ist das schon her), wie einfach das mit dem Spinat-Kochen funktioniert: "Komm, mach’ nochmal Blubb!" Herrlich naiv. Man kann Spinat (und Verona Pooth) mögen oder nicht – aber mal ehrlich: Dem unbeliebten Grünzeug (Werbe)-Charme verleihen, das muss man erstmal schaffen. Ich jedenfalls mag seither Spinat. Gern sogar.
Rosemarie Vielreicher
Palmolive mit Tilly: "In Geschirrspülmittel?"
In den ländlich-deutschen Siebzigern waren Beauty-Salons mindestens so unvorstellbar wie der Beruf der Avon-Beraterin. Bis Tilly kam in ihrem Kittel: eine auftoupierte Frau, die jüngeren Zeitgenossinnen die Hände kurzerhand in eine wie zufällig auf dem Tisch stehende Schale Spülmittel steckte: "Sie baden gerade Ihre Hände drin", beschied Tilly ihrer Kundin so triumphal, dass die erschreckt die Hand aus der grünen Lauge zog: "In Geschirrspülmittel?" Darauf Tilly, die Kundinnenhand fürsorglich in die Schale zurücktatschend: "Nein, in Palmolive. Das pflegt die Hände schon beim Spülen!"
So lernten wir, dass endloses Abspülen doch sehr gut sein kann für zarte Frauenhände (unter Emanzipation konnte sich damals auch noch niemand etwas vorstellen). In unserem Haushalt wurde übrigens Pril verwendet, nicht zuletzt, weil wir die Klebe-Blumen wollten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Michael Schilling
Calgon: Gegen Kalkinfarkt
Die Süße-Nachbarn-Dichte in meinem Viertel ist gering und eine verhasste Schwiegermutter habe ich auch nicht. Deshalb benutze ich kein Calgon, um Waschmaschine und Spülmaschine vor dem "Kalkinfarkt" zu bewahren.
Vielmehr beschäftigt mich, was mit der Mutter der verzweifelten Hausfrau ist, die in den 90er-Jahren "die gesamte Wäsche zur Schwiegermutter" bringen musste, ob sie verstorben ist oder zu weit weg wohnt. Ob sich das Verhältnis Schwiegermutter-Hausfrau mittlerweile verbessert hat und ob die verkalkte Maschine repariert werden konnte. Auch wurde nie aufgelöst, ob’s mit der Kalkgläser-Frau und dem Nachbarn ("der ist ein richtig guter Typ und hat auch immer saubere Gläser") noch geklappt hat.
Jasmin Menrad
Kinder Country: Wunderbar absurd
"Wir hätten Kinder Country auch staubtrocken machen können – oder zäh wie Gummi", behauptet die Hintergrund-Stimme, und da hustet ein Bub den Getreidestaub durch die Gegend, und ein anderer biegt einen riesigen Riegel hin und her – es ist so wunderbar absurd, dass ich bis zu diesem Punkt sogar noch begeistert mitkomme in diese bizarre Welt, in der mir der Werbespot erzählt, was Ferrero alles hätte schlechter machen können an einem Schokoriegel.
Zum Glück gibt es noch die naive Kleinkinderstimme am Ende, die den TV-Glotzer daran erinnert, dass Werbung an sich furchtbar ist, nämlich realitätsfern und im Kern dämlich: "Als wären die Cerealien gerade erst in die Milch gefallen!" Was sich ein Kind eben so denkt, wenn es von Schokolade träumt.
Anja Perkuhn
TV-Werbung in Zahlen
86 Prozent der TV-Zuschauer haben bei einer Umfrage im Auftrag der Zeitschrift „Auf einen Blick“ gesagt: Lange Werbeblöcke sind für sie beim Fernsehen Störfaktor Nr. 1.
3,98 Millionen Werbespots wurden im Jahr 2014 laut Nielsen Media Research insgesamt in Deutschland gezeigt.
1,75 Millionen Minuten Werbung liefen 2014 im deutschen Fernsehen.
4,41 Milliarden Euro betrug das Umsatzvolumen der TV-Werbung 2015.
20 bis 30 Sekunden ist der klassische TV-Spot in der Regel lang.
20 Prozent ihrer täglichen Sendezeit dürfen private Rundfunkveranstalter mit Werbung füllen. In der Regel sind es drei bis vier Stunden pro Tag und Programm.
20 Minuten dürfen werktags maximal an Werbung bei ARD und ZDF ausgestrahlt werden. Nach 20 Uhr und an Sonn- und Feiertagen ist es für die Sender untersagt, Werbung zu senden.
1963 führte das ZDF die Mainzelmännchen ein, um Werbung und Programm deutlicher voneinander zu trennen.
1956 war in Deutschland der Start für TV-Werbung – relativ spät: In den USA liefen bereits 1941 Spots, in Großbritannien 1954.