50. "Tatort"-Geburtstag: Eine frische Sicht auf die Mafia

München - Am Sonntag vor genau 50 Jahren lief der erste "Tatort" mit dem Titel "Taxi nach Leipzig" im Fernsehen. Zum Jubiläum gibt es nun eine Doppelfolge: "In der Familie" heißt der Krimi, der im Mafia-Milieu in Dortmund und München spielt.
Es kommt also zur Begegnung des Ruhrpott-Quartetts Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Nora Dalay (Aylin Tezel) und Jan Pawlak (Rick Okon) mit den bayerischen Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl). Die Regie des ersten Teils übernahm Dominik Graf, den zweiten Teil drehte die Regisseurin Pia Strietmann, die schon den Münchner "Tatort: Unklare Lage" über den Anschlag im OEZ 2016 gedreht hatte, der im Januar lief.
AZ: Frau Strietmann, der Jubiläums-"Tatort" ist auch eine Art Familienzusammenführung: Erstmals ermitteln Münchner und Dortmunder Kommissare gemeinsam, zwei Sonntagabende lang. Ein Drehbuch, zwei Teile, zwei Regisseure: schon eine spezielle Versuchsanordnung, oder?
PIA STRIETMANN: Herausfordernd. Zwei Regisseure, aber ein Autor, Bernd Lange, der das alles sehr gut bindet, zusammenhält und aus einem Guss erscheinen lässt.
Sie verantworten den zweiten Teil, Dominik Graf den ersten. Wie haben Sie sich mit ihm ausgetauscht?
Uns Regisseuren war klar, dass wir uns nicht absprechen, um das irgendwie gleichartig zu inszenieren oder ähnlich aussehen zu lassen. Uns war klar: Wir müssen die Umsetzung, die Inszenierungssprache finden, die das jeweilige Drehbuch fordert. Und da es Bernd Lange gelungen ist, von der ganzen Atmosphäre und Stilistik her zwei so unterschiedliche Bücher zu entwerfen, war es nicht schwierig, da eine eigene Sprache zu finden.

Beschreiben Sie doch bitte mal die Charakteristiken der beiden Teile!
Der erste Teil ist ein fast kammerspielartiger Polizeifilm, und der zweite Teil hat ja eher einen Vater-Tochter-Tragödien-Requiem-Charakter, ist epischer erzählt und hat eine ganz andere Herangehensweise, ist gar nicht mehr viel Polizeifilm, sondern nimmt eine Figur in den Fokus, die im ersten Teil eher eine Randfigur ist, und erzählt mehr oder weniger aus ihrer Perspektive.
Strietmann über Graf: "Er hat eine smarte Art, über Filme und Filmzusammenhänge zu sprechen"
Wie gut kennen Sie Graf?
Ich kenne ihn natürlich, aber wir kannten uns vorher nicht. Dominik hat im vergangenen Winter gedreht, ich im Frühjahr und unterbrochen durch Corona im Sommer. Ich hatte die Möglichkeit seinen Rohschnitt zu sehen, bevor ich meine Dreharbeiten angefangen habe. Wir haben uns aber auch vor seinem Dreh im Herbst zusammen hingesetzt und über Besetzungen gesprochen, die uns beide betreffen, vor allem natürlich die der Tochter. Für den ersten Teil ist diese Rolle nicht ganz so bedeutend wie für mich im zweiten Teil. Insofern hatte ich da sozusagen etwas mehr als Mitspracherecht.
Wie ist das, mit einem Vorbild sozusagen auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten?
Wir haben beide, wenn auch nicht zur gleichen Zeit, in München an der Filmhochschule studiert. Er hat eine ziemlich hohe Schlagzahl an bedeutenden Werken, an denen man ja gar nicht vorbeikommt und die mich das ganze Studium über begleitet haben. Und er hat eine smarte Art, über Filme und Filmzusammenhänge zu sprechen - da höre ich gerne hin und kann viel davon lernen. Seite an Seite mit ihm ein Jubiläumswerk auf die Beine zu stellen, das war einfach eine große Ehre.
Strietmann: "Das war eine Kombi, die einen Feuer fangen lässt"
Wie haben Sie davon erfahren?
Dass Dominik einen Teil dieser Jubiläumsreihe inszenieren sollte, stand schon länger fest, schon bevor ich dazu stieß. Das war ein Wunsch der Redaktion und des Produzenten. Dann hatte ich im vergangenen Jahr meinen ersten "Tatort" mit dem Bayerischen Rundfunk gedreht, und unmittelbar nach den Dreharbeiten hatten mich die Redakteurin Stephanie Heckner und der Produzent Michael Polle, den ich noch aus der Filmhochschule in München kannte, gefragt, ob ich Interesse hätte, im kommenden Jahr auch das Jubiläum zu inszenieren. Ich wusste schon, dass Bernd Lange, den ich von einem anderen Projekt kannte, das Drehbuch schreibt und dass Dominik Graf den ersten Teil inszeniert: Das war natürlich eine Kombi, die einen Feuer fangen lässt.
Sie mussten also nicht lange überlegen?
Naja, ich mache das schon immer vom Buch abhängig. Nur, weil da eine schöne Verpackung drumherum ist, habe ich es jetzt nicht zugesagt. Aber ich fand den Ansatz interessant, so eine Mafia-Geschichte mal ganz anders zu erzählen. Ich fand interessant, diesen Perspektivwechsel so krass vorzunehmen und nicht einfach nur einen zweiten Teil zu machen, in dem eine etablierte Geschichte irgendwie zu Ende gebracht wird.
Hatten Sie während des Drehs Kontakt zu Graf?
Bevor ich mit meinem Teil angefangen habe, hatte ich noch ein paar Fragezeichen, die aus dem Buch resultierten. Zum Beispiel, wie er die Kommissare aus dem ersten Teil entlassen hatte.
Strietmann: "So langsam hab' ich die Genres durch"
Wie findet er das Ergebnis?
Da müssen Sie ihn wohl selber fragen. Er war von Anfang an sehr zufrieden mit dem Drehbuch und hat versucht, dieses 1:1 auf den Bildschirm zu bringen - wenn Sie mich fragen, ich finde, das ist ihm total gelungen.
Corona-bedingt mussten Sie Ihren Dreh von März bis Juli unterbrechen. Wie sind Sie mit dieser Ungewissheit umgegangen?
Wir haben wegen eines Krankheitsfalls abgebrochen, und dann kam der Lockdown dazu. Das war seltsam. Normalerweise fährt man nach dem Ende der Dreharbeiten irgendwie runter, und es beginnt ein neuer Arbeitsprozess im Schneideraum. Diesmal musste man runterfahren, ohne dass der nächste Arbeitsprozess beginnt. Ich wusste, dass ich nochmal diese ganze Energie hochfahren muss, und dachte ein paar Wochen, dass es besser wäre, die Spannung zu halten. Das war aber keine gute Idee. Hat ja dann doch recht lang gedauert, bis wir die Dreharbeiten wieder aufnehmen konnten.
Sie haben schon einen Spreewald-Krimi gemacht, Comedy mit "Blaumacher". Sie sagten mal, Sie wollten jedes Genre einmal machen, um sich nicht festlegen zu lassen. Wie sieht das nach zwei Mal "Tatort" innerhalb eines Jahres aus?
Stimmt schon, so langsam hab' ich die Genres durch. Mein nächstes Projekt wird jedenfalls ein Kinofilm sein, der zweite nach meinem Debütfilm 2011 "Tage, die bleiben". Das ist so lange her, und nochmal für die Leinwand zu erzählen, ist jetzt wieder was Frisches, was Neues.
Pia Strietmann hat Heimweh nach München
Wie anders ist Kino im Vergleich zum "Tatort"?
Da muss man ja mit bereits etablierten Figuren arbeiten. Die Kommissare sind gesetzt, und die muss man dann schlüssig weitererzählen. Im Kino schafft man alles von Null, hat ein anderes Budget, und die Vermarktung spielt sehr früh eine Rolle.
In welche Richtung geht Ihr Kino-Projekt?
Eine Komödie.
Wann geht's los?
So Corona will, würden wir gern im Frühjahr drehen.
Sie haben ja in München studiert. Ab und zu mal ein bisschen Heimweh?
Ein bisschen ist gut. Total! Ich lebe ja jetzt in Berlin…
...ja dann.
Wir überlegen tatsächlich, ob wir eventuell zurückkommen. So groß ist das Heimweh!
Was hat München, was die Hauptstadt nicht hat?
Das Umland und die Berge.
Na dann, viel Glück bei der Wohnungssuche!
Sonntag, 29. November, ARD, 20.15 Uhr, Teil zwei am 6. Dezember