"24 Wochen": Die grausamste Entscheidung von allen
Wann ist ein Leben lebenswert? Mit dieser Frage wird Schauspielerin Julia Jentsch im Film "24 Wochen" konfrontiert, als bei ihrem ungeborenen Kind eine schwere Behinderung prognostiziert wird. Ein packendes Familiendrama über die Entscheidung zwischen Leben und Tod.
Kaliumchlorid wird mit einer Spritze in das Herz des Fötus injiziert. Wenige Minuten später steht es still. Dann wird das tote Kind geboren... Von einer Spätabtreibung spricht man in der Regel nach der 22. Schwangerschaftswoche. Astrid Lorenz (Julia Jentsch) ist bereits in der 24. als sie die grausame Entscheidung treffen muss: Treibt sie ihr schwerbehindertes Kind ab?
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Ein großes Tabu und der Weg der Entscheidung
Der einzige deutsche Beitrag der diesjährigen Berlinale hat es in sich. "24 Wochen" von Regisseurin Anne Zohra Berrached (34, "Zwei Mütter"), der am 22. September in die deutschen Kinos kommt, spricht ein großes Tabuthema unserer Gesellschaft an: Spätabtreibung. Der Film begleitet ein Paar auf dem schweren Weg der Entscheidung über Leben und Tod und zieht den Zuschauer dabei näher ins Geschehen, als dem vielleicht lieb ist.
Kabarettistin Astrid und ihr Manager Markus (Bjarne Mädel) führen eine glückliche Beziehung. Sie haben eine gemeinsame neunjährige Tochter, leben in einem Haus am Stadtrand, stehen mit beiden Beinen im Leben. Als die beiden ihr zweites Kind erwarten, folgt der Schock: Ihr ungeborener Sohn wird schwerbehindert auf die Welt kommen. Eine Diagnose, die sie eiskalt erwischt. Gemeinsam wollen die beiden eine Entscheidung treffen, doch schon bald wird genau das zur Belastungsprobe ihrer Beziehung und alles wird in Frage gestellt.
Was ist richtig und was ist falsch?
Eine Frage, die dabei nahezu erdrückend im Raum steht, ist das Abwägen zwischen richtig und falsch. Laut dem Gesetz ist eine Spätabtreibung nur dann legal, wenn nachweislich eine medizinische Indikation vorliegt. Doch ist es dennoch moralisch vertretbar?
Regisseurin Berrached zeigt dieses Dilemma auf ihre ganz eigene Weise. In ihrer, wie sie selbst sagt, Collage aus Recherche, Statistiken, Fakten, Prognosen, Wünschen und Wirklichkeit folgt sie den Protagonisten halbdokumentarisch auf jedem Schritt. Die Dialoge sind improvisiert, basierend auf dem Drehbuch. Zudem werden alle Ärzte im Film von echten Medizinern gespielt und auch Comedians und Prominente stellen sich selbst dar. Das alles verleiht dem Drama eine unglaubliche Authentizität, macht es intensiv, aufreibend, echt.
Die Beziehung von Astrid (Julia Jentsch) und Markus (Bjarne Mädel) wird auf eine harte Probe gestellt Foto:© Friede Clausz, Neue Visionen FilmverleihHerausragende Hauptdarsteller
Hauptdarstellerin Julia Jentsch (38, "Da muss Mann durch") liefert als Astrid eine herausragend glaubwürdige Darbietung ab. Die Kamera scannt jede ihrer Emotionen und davon hat sie viele. Auf der Bühne muss sie lachen, dabei ist ihr eigentlich nach Weinen zumute. Diese Zerrissenheit überträgt sich von der Leinwand auf den Zuschauer, was ein beklemmendes Gefühl hinterlässt. Nicht allzu oft identifiziert man sich mit einer Figur so sehr, wie in diesem Moment mit Astrid Lorenz.
Nicht weniger überzeugend ist Bjarne Mädel (48). Aus "Stromberg" oder "Der Tatortreiniger" bekannt, lässt er jegliche Komik hinter sich und beeindruckt an der Seite von Jentsch mit seiner realistisch dargestellten Verzweiflung. Er hofft, er liebt, er zweifelt. Doch am Ende ist es nicht seine Entscheidung. Laut Gesetz steht die nämlich einzig und allein der Schwangeren zu. Ein Fakt, der allen Beteiligten erst mit der Zeit bewusst wird - und Mädel lässt seine Figur glaubhaft leiden.
In der Realität treiben etwa 90 Prozent der Frauen ihr Kind ab, wenn frühzeitig eine Fehlbildung prognostiziert wird. Doch wer entscheidet, wann ein Leben lebenswert ist und wann nicht? Anne Zohra Berrached gibt keine Antwort. Es ist eine Entscheidung, die man wohl nur treffen kann, wenn man selbst in dieser Situation ist. Julia Jentsch nimmt uns mit und gibt uns das Gefühl, dabei zu sein. Das ist unbequem, da ist hart, das ist fast schon zu real.
Fazit
Zweifellos sind diese intensiven 103 Minuten von "24 Wochen" polarisierend. Ein Film mit einem Thema, das aufwühlt. Am Ende bleiben viele Fragen im Kopf: Ist es zugelassener Mord? Was gibt einem das Recht, so eine Entscheidung zu treffen? Und nicht zuletzt: Was würde man selbst tun?
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