Zweirad-Meditation
München - Wer glaubt, er kenne das Münchner Umland, dem sei gesagt: Er kennt es nicht. Außer er ist Rennradfahrer. Denn das Rennradeln ist die beste Art, die Welt (oder zumindest das Umland) bis ins Detail zu entdecken – und natürlich die schönste.
Bei keiner anderen Sportart spult man so viele Kilometer herunter – auf kleinen Straßen, die sich schmal durch Wälder, Weiler und Wiesen schlängeln. Und davon gibt es zig rund um München.
Jetzt, zum traumhaften Auftakt, schaut man auf der kleinen 60-Kilometer-Runde, was sich über den Winter in den vertrauten Orten auf der Hausrunde so alles getan hat: Alles noch beim Alten in Großdingharting? Wie geht’s Fisch und Vieh in der Pupplinger Au? Stehen neue Oldtimer-Bikes vor der Rockerbox in Kreuzpullach? Die weißen Beine gewöhnen sich an die Sonne, das Gesäß an den schmalen Sattel, die Muskeln an die Belastung.
Natürlich geht es nicht nur um das Schauen. Das Rennradfahren ist für mich ein Abschalt-Sport: Die harmonische Tretbewegung, das leise Surren, das schnelle Dahingleiten. Es ist meditativ ohne monoton zu sein.
Gegen die Eintönigkeit stemmt sich die abwechslungsreiche Landschaft. In allen Richtungen geht es bergauf und bergab durch idyllische Natur, ob gen Andechs, den Schliersee oder Glonn.
Ich bin draußen beim Sporteln und musste dazu weder auf die A8 noch auf die A95. Das Auto bleibt stehen, das Benzin wird gespart, und aufgetankt habe ich dennoch. Wir Rennradler kennen die kleinen, versteckten Seen, an denen sich nur vereinzelt Einheimische tummeln – während in den Münchner Freibädern Ölsardine an Ölsardine liegt.
Wir kennen die lauschigsten Plätze an der Würm, die schönsten Aussichtpunkte auf die Alpen. Und man denkt gar nicht, wie viele schöne, kleine Biergärten auf einer Rennradrunde liegen können.
Und natürlich ist das Rennradfahren auch ein tolles Training: Meine Oberschenkel wachsen mit meiner Ausdauer zu beeindruckender Größe (für meine Verhältnisse). Aber kräftige Beine sind nicht der Grund, warum ich auf dem dünnen Sattel sitze. Die Motivation der meisten Menschen, die ins Fitnessstudio gehen? Abnehmen und Gesundheit. Eher ein Pflichttermin. Die Motivation beim Rennradfahren? Fitness und Gewicht? Eher Nebeneffekte. Ohne Spaß, ohne Genuss sitzt keiner auf dem Sattel.
Es ist ein Einzel- genauso wie ein Teamsport. Auf den Ausfahrten zu mehreren wird fleißig geratscht, so dass man gar nicht merkt, wie sich die Kilometer summieren. Wird es anstrengend oder will man einfach mal etwas Ruhe, dann reiht man sich ein und genießt den Windschatten.
Oder man zieht den anderen mit – Teamarbeit macht stark. Ganz was Besonderes ist auch das Fahren im Pulk. Ohne Worte verständigt man sich per Handzeichen. Jeder weiß, was er zu tun hat.
Wie in einem Vogelschwarm – nur mit mehr Schweiß. Obwohl man einzeln vor sich hin tritt, wird das Rennradfahren so zum Gruppenerlebnis – von der Begrüßung beim Treffpunkt am Perlacher Forst bis hin zum Abschluss-Radler in der Kugler Alm.
Auf nicht allzu langen Strecken liebe ich es, alleine unterwegs zu sein. Wenn ich nach einem Arbeitstag das Stimmengewusel in meinem Kopf gegen ländliches Vogelgezwitscher eintauschen kann.
Soeben noch auf der hektischen Orleansstraße mit ihren Glasscherben, kurz darauf schon durch Maisfelder hinunter zum Isarkanal. So schnell kann es gehen in München, der schönsten Outdoor-Stadt der Welt.
Sissi Pärsch