Zweifel bleiben: Experten-Urteil zum Finale in der Formel 1

Abu Dhabi - Einerseits passte es ja zu dieser irren Formel-1-Saison, dass der spannendste Zweikampf in der Geschichte der Motorsport-Königsklasse zum Thriller in Überlänge wurde. Andererseits hätte sich Max Verstappen wohl lieber eine Entscheidung innerhalb der 58 Rennrunden von Abu Dhabi gewünscht und nicht in Hinterzimmern oder am Grünen Tisch.
Last-Minute-Sieg gegen Hamilton
Bis 22.15 Uhr musste der vermeintliche Rennsieger warten, ehe die Rennkommissare die Proteste von Mercedes gegen das Ergebnis abschmetterten und den 24-jährigen Niederländer nach dessen Last-Minute-Sieg gegen Lewis Hamilton somit zum Weltmeister machten - vorerst. Denn die Silberpfeile kündigten auch gegen diese Entscheidung Berufung an.
Ist Mercedes ein unwürdiger Verlierer?
In Verstappens Red-Bull-Team schäumten erst die Champagnerflaschen, dann die Verantwortlichen vor Wut. "Das ist eine Schande", schimpfte Teamchef Christian Horner über das Verhalten von Mercedes. Motorsportchef Helmut Marko sprach von "unwürdigen Verlierern".
Oder Red Bull ein unwürdiger Weltmeister?
Britische Medien, natürlich auf der Seite des unterlegenen Hamilton, drehten den Spieß um und sahen wiederum einen unwürdigen Weltmeister, der ohne die umstrittenen Entscheidungen von Rennleiter Michael Masi auf den letzten Metern dieser Saison nicht mehr an Hamilton vorbeiziehen hätte können. "Der größte Höhepunkt wurde erwartet, also gab die Formel 1 der Welt, was sie wollte. Allerdings schien sie damit das Konzept der Fairness umzukehren", schrieb die Daily Mail.
Dieses Finale ließ die gesamte Motorsportwelt gespalten zurück. "Ich weiß jetzt, dass ich künftig keine Minute mehr damit verschwende, ein Formel-1-Rennen im Fernsehen anzuschauen. Denn verarschen kann ich mich selbst auch", sagt ein empörter Walter Röhrl der AZ.

Der bayerischen Rallye-Legende missfällt vor allem, wie es zur Titelentscheidung kam: "So ein Rennen sollte, wenn dann, auf der Strecke ausgefahren und nicht wegen undurchsichtiger Entscheidungen von außen beeinflusst werden", schimpft Röhrl: "So wurde Verstappen Weltmeister, weil so ein Amateurfahrer kurz vor Schluss in die Mauer kracht."
Christian Danner sieht es diplomatischer
Ex-Formel-1-Pilot und Motorsport-Experte Christian Danner sieht es diplomatischer: "Vor dem Finale wusste man ja eines auf jeden Fall: Egal, wer den Titel holt, verdient ist es allemal", sagt er. "Denn, sorry, so ein WM-Duell, auf diesem Niveau, weit vor dem Rest des Feldes, hat es noch nie gegeben. Die beiden waren eine Klasse für sich, von daher sprechen wir von einem verdienten Sieger."

"Natürlich hat Verstappen wahnsinniges Glück gehabt, dass Nicholas Latifi in die Mauer gekracht ist, natürlich hatte er Glück, dass die Rennleitung so entschieden hat", meint Danner, aber solche Entscheidungen sind immer das Zünglein an der Waage - und die sind in dieser Saison mal so und mal so ausgefallen."
Verstappen raste 18 Mal aus Podium
Ist Max Verstappen nun also ein verdienter Weltmeister? Diese Frage stellte auch der Schweizer "Blick" und antwortete selbst: "Ja, wenn man die ganze Saison in Betracht zieht." Das kann man in jedem Fall so sehen. Verstappen gewann fast die Hälfte der 22 Saisonrennen, er raste 18 Mal aufs Podium und startete zehnmal von der Pole. Er fuhr definitiv eine herausragende Saison.
In Verstappens Heimat gibt es ohnehin keine zwei Meinungen. König Willem-Alexander und Premierminister Mark Rutte gratulierten stellvertretend für 17,5 Millionen Niederländer, von denen ein Großteil vor den TV-Geräten mitfieberte.Von "einem "historischen Tag für den niederländischen Sport" sprach Rutte und die Tageszeitung NRC schrieb: "Dieser Titel gehört in dieselbe Kategorie wie der EM-Sieg der Fußball-Nationalmannschaft 1988, wie Richard Krajiceks Triumph in Wimbledon 1996 und Joop Zoetemelks Sieg bei der Tour de France 1980."
Egal ob verspätet, verdient oder nicht: In den Niederlanden ist Verstappen nicht nur der legitime Titelträger, sondern auch der Weltmeister der Herzen.