Zwei Crashs, ein Triumph
Wahnsinn, Wunder oder einfach nur Le Mans: Audi-Pilot Mike Rockenfeller hat den Horror-Crash mit mehr als 300 km/h fast unverletzt überstanden. Nichts anderes ist wichtig. Auch nicht, dass Marcel Fässler, Andre Lotterer und Benoit Treluyer (Schweiz/Duisburg/Frankreich) den zehnten Gesamtsieg für Audi holten.
Im Moment des größten Erfolges war das Audi-Team in Gedanken bei Rockenfeller. Für die Siegerehrung hatten die Mechaniker ein Schild mit der Aufschrift „Rocky – We wish you the best. We missed you here!" („Wir wünschen dir das Beste. Wir haben dich hier vermisst“) angefertigt und somit via Fernsehen Genesungswünsche übermittelt.
Es ist 22.41 Uhr am Samstagabend, als den Zuschauern der Atem stockt: TV-Kameras zeigen umherfliegende Fahrzeugteile. Menschen schreien, packen sich fassungslos an den Kopf: schon wieder ein Horror-Unfall. Erst sieben Stunden zuvor war schon der Schotte Allan McNish bei einem Crash knapp an einer Katastrophe vorbei geschrammt. Sein Audi hatte sich nach einer Kollision überschlagen und war in den Reifenstapeln hängen geblieben.
Dann der Crash von Titelverteidiger Rockenfeller. Es verging eine gefühlte Ewigkeit, bis Audi-Motorsportchef Wolfgang Ullrich Entwarnung gibt: „Rocky ist aus eigener Kraft aus dem Auto ausgestiegen.“ „Es ist ein Wunder“, sagte der ehemalige Le-Mans-Sieger Hans-Joachim „Strietzel“ Stuck, „früher wäre da niemand lebend ausgestiegen, Kohlefaser sei Dank.“
Das aus dem formfesten Verbundstoff gefertigte Monocoque hat Rockenfeller das Leben gerettet. Der Rest des Sportwagens hat sich in seine Bestandteile aufgelöst, ein weit verstreutes Wrack mit einem Schrottwert in Millionenhöhe. „Die Sicherheitsstandards sind enorm und haben mir das Leben gerettet“, sagte Rockenfeller hinterher, „ich hatte noch nie in meinem Leben einen solchen Unfall und hoffe, dass ich das auch nicht mehr erfahren muss.“
Neben dem Lob für die Sicherheitsstandards könnten die Horror-Crashs eine neuerliche Diskussion über die Beteiligung von Amateurfahrern an professionellen Langstreckenrennen entfachen. Rockenfellers Teamkollege Timo Bernhard kritisierte die Fahrweise von GT-Pilot Robert Kauffman: „Das kann man so nicht machen, das war lebensgefährlich. Wenn er sich nicht sicher ist, darf er hier nicht fahren.“ Der Amerikaner Kauffman, ein erfolgreicher Börsenmakler mit Rennsporterfahrung, hatte mit seinem plötzlichen Spurwechsel den Unfall ausgelöst. „Wir überholen an dieser Stelle ganz oft im Rennen. In dem Augenblick, als ich mit 300 km/h neben ihn fuhr, hat er das falsch eingeschätzt", sagte Rockenfeller.
In der 79-jährigen Geschichte des Langstreckenklassikers starben 116 Menschen, alleine 84 im Jahr 1955, als Mercedes-Pilot Pierre Levegh mit seinem Boliden in die Zuschauertribüne geflogen war.