Zverev: Bald ein Großer?
München - Ein perfekt gespielter Stoppball bedeutet im Tennis mehr als einen gewonnenen Punkt. Er bedeutet, den Gegner nicht mir roher Kraft, mit Athletik, bezwungen, sondern mit aller Finesse überlistet zu haben. Jürgen Melzer gelang gegen Alexander Zverev so ein Schlag: Der Ball fiel trocken im T-Feld herunter, Zverev sprintete, streckte sich – vergeblich.
Am Ende hatte Zverev gegen den 32-jährigen Österreicher kaum eine Chance, verlor 1:6, 2:6. Nun ist der gebürtige Hamburger allerdings erst 17 Jahre alt – und gilt als das größte männliche Talent im deutschen Tennis, als derjenige, der die Sehnsüchte der Sportnation nach einem neuen Boris Becker, wenigstens nach einem neuen Michael Stich, stillen könnte. „Ich finde sein Auftreten sehr gut. Er ist sehr ehrgeizig, er will es“, sagt Tommy Haas, 36 Jahre als und immer noch Deutschlands Bester. „Auf dem Platz hat er eine verdammt gute Reichweite. Ich werde seine Karriere auf jeden Fall weiter verfolgen.“ Zverev, dessen Vater Alexander für Russland im Davis Cup spielte und dessen älterer Bruder Mischa ebenfalls auf der ATP-Tour unterwegs ist, wird zudem eine tadellose Arbeitseinstellung attestiert, der diesjährige Australian-Open-Sieger der Junioren gilt als extrem fleißig.
Auch gegen Melzer mühte er sich, schien jeden Ball mit hunderprozentiger Intensität schlagen zu wollen. Was dem Routinier auf der anderen Seite aber meist nicht mehr als einen unaufgeregt, aber hart und platziert zurückgespielten Ball abtrotzte. „Es macht einen großen Unterschied, ob du 16, 17, 18 oder 19 Jahre alt bist“, sagt Zverev. Und meint damit vor allem den physischen Aspekt des Sports. Weil er in den vergangenen drei Jahren 30 Zentimter wuchs und bis knapp unter die zwei Meter emporschoss, hat er noch nicht einmal mit dem Krafttraining begonnen. „Derzeit dürfte ich so um die 1,96, 1,97 sein“, sagt Zverev, der nach seiner Niederlage mit traurigem Gesicht über die Anlage schlich.
Grundlegende Dinge haben sich im Tennis in den vergangenen Jahrzehnten verändert, nicht erst seit Boris Beckers Wimbledon-Sieg 1985, damals ebenfalls 17 Jahre alt. „Zu Zeiten eines Rod Laver war man mit 1,80 schon groß“, sagt Zverev. „Heute sind praktisch alle guten Spieler über 1,90 Meter.“ Wo vor dreißig Jahren bei einigen Spielern noch das bloße Talent, der schiere Wille, für die Weltspitze reichte, werden heutige Champions im Kraftraum und über das Trainingsvolumen gemacht.
Der härteste Schlag, der zäheste Körper gewinnt. Talent hat Zverev, da ist sich die Szene einig, mehr als genug. Jetzt muss er noch die notwendige Power dahinterbringen: „Der große Unterschied zwischen den Junioren und den Männern ist, dass die Männer nicht nur 20 Minuten ihr bestes Tennis spielen, sondern drei Stunden.“ Da will Zverev auch hin. „Ich gehe auf die Fernschule, so kann ich alles von zu Hause machen. Es läuft ganz gut, Mittlere Reife habe ich immerhin schon.“ Ihm bleibt allerdings eine Sorge: „Ich will nicht mehr wachsen“, sagt Zverev. Weltklasse-Tennisspieler jenseits der zwei Meter gibt es – noch – wenige, Beweglichkeit und Agilität leiden dann zu sehr.
Immerhin hätte Tommy Haas eine Idee, was ein 2,05 Meter großer Alexander Zverev mit seiner Karriere anstellen könnte: „Wenn er noch zehn Zentimeter wächst, kann er als Nachfolger von Dirk Nowitzki zu den Dallas Mavericks wechseln.“