Zurück im Schmitt-Fieber

Fünfter beim Auftakt in Oberstdorf. Die alte Euphorie ist zurück, auch wenn es nun heißt: Schunkeln statt kreischen.
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Am Ende flog er auf Platz fünf: Comeback-Adler Martin Schmitt, der die Massen wieder elektrisiert.
dpa Am Ende flog er auf Platz fünf: Comeback-Adler Martin Schmitt, der die Massen wieder elektrisiert.

OBERSTDORF - Fünfter beim Auftakt in Oberstdorf. Die alte Euphorie ist zurück, auch wenn es nun heißt: Schunkeln statt kreischen.

Das Stadion war voll. Rappelvoll. Mehr als 20 000 Zuschauer beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee in Oberstdorf wollten vor allem einen springen sehen: Martin Schmitt, den Comeback-Adler. Sie trieben ihn an, sie schrien, sie kreischten – am Ende vergebens. Nach einem starken ersten Sprung mit 134,5 Metern und Platz vier missglückte ihm der zweite Durchgang. Nur 129 Meter und am Ende Platz fünf für den neuen, alten deutschen Überflieger beim Auftakt, den der Schweizer Simon Ammann vor Wolfgang Loitzl aus Österreich gewann. Für Schmitt war mehr drin, sein Ergebnis ist noch ausbaufähig – vielleicht ja schon beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen.

„Ich bin ein bissl enttäuscht, weil mir der zweite Sprung nicht so gut geglückt ist. Fünfter Platz ist schon gut, aber ich hatte mir mehr erhofft“, sagte Schmitt nach der Siegerehrung, die er nur als Zuschauer erlebte. „Ich wär’ schon gern auf dem Podest gewesen.“ Lob aber gab’s von seinem Chef. „Martin hat einen phantastischen Wettkampf gemacht, der erste Sprung war sensationell, der zweite nicht ganz so gut“, bilanzierte Bundestrainer Werner Schuster, „aber ich kann ihm nur gratulieren, wie sehr er bei der tollen Kulisse die Ruhe bewahrt hat.“

So sah’s auch Olympiasieger Jens Weißflog im ZDF: „Diesem Druck stand zu halten, das zeugt schon von Klasse.“ Schmitt hat es geschafft, nach den Jahren der Durchhänger die Fans endlich wieder fürs Skispringen zu begeistern, ja mehr noch: die Massen zu elektrisieren. „Die Zuschauer sind zurück im Schmitt-Fieber“, bemerkte Weißflog.

Und nicht nur die. „Absolut genial“, findet Sven Hannawald, einst an Schmitts Seite der deutsche Überflieger und nach einem Burn-out längst Privatier, „was der Martin da geschafft hat. Ich fieber’ wieder richtig mit, die Stadien sind voll, und selbst ich hab’ wieder Lust aufs Skispringen.“ Zumindest aufs Zuschauen – Schmitt sei Dank.

Ein neuer Boom deutet sich an. „Es ist, als wäre in den vergangenen Jahren nichts passiert", staunt Marketing-Experte Peter Ehm („Headline“) über den zarten Boom, der sich nach den Jahren der Erfolglosigkeit wieder einzustellen scheint. „Die Sponsoren haben ein Riesengeschäft gemacht", sagt er, und das liege allein an Martin Schmitt, dem großen Hoffnungsträger, der vor sieben Jahren seinen letzten Weltcup-Erfolg feierte. „Schmitt ist ein Sympathieträger, der alle Generationen anspricht, von den Kids über die Eltern bis zu den Großeltern.“ Doch was, wenn Schmitt die Erwartungen nicht erfüllt? „Der Boom wird nicht abflauen“, glaubt Ehm. „Solange Schmitt kämpft und alles gibt, bleibt das Interesse bestehen. Die Leute wollen einen authentischen Kampf ums Comeback sehen.“ Auch Jens Weißflog, Skispringer-Legende und ZDF-Experte, meint: „Mit Martin Schmitt ist einer zurück, der die Massen mobilisiert.“

Die Vierschanzentournee geht ins 57. Jahr, doch sie ist noch rüstig, auch wenn die Zeiten des Hype vorbei sind. So aufgeregt wie zur Jahrtausendwende, als die jungblütigen Adler Hannawald und Schmitt das Publikum verzückten, wird es wohl nicht mehr. 2002 überwies RTL 75 Millionen Euro an den Deutschen Skiverband für fünf Jahre exklusive Übertragungsrechte. Mit Günther Jauch als Anchorman wurde die Tournee in ein flippiges Event umfunktioniert. Die Tournee war Pop. Mädels kreischten sich für die Boygroup um Hannawald und Schmitt die Zahnspangen aus dem Mund. Heute ist es leiser geworden. Zwar gibt es immer noch die Zahnspangenfraktion, doch die stehen nun eher auf den 18-jährigen österreichischen Tournee-Favoriten Gregor Schlierenzauer, ihren „Schlieri“.

Zwar sorgt auch Martin Schmitt an der Schanze für erhöhten Fotohandyalarm, aber so hysterisch wie früher geht es nicht mehr zu. „Mir liegt die Atmosphäre", sagt der mittlerweile 30-jährige Schmitt. Und sein Teamkamerad Michael Neumayer, im vergangenen Jahr Tournee-Dritter, weiß: „Natürlich sind die jungen Fans nicht mehr so euphorisch wie früher. Das liegt aber ganz einfach daran, dass wir alle älter geworden sind."

Und so ist aus dem Pop der vergangen Tage eine gemütliche Musi geworden und aus Kreischen ein Schunkeln. Und so hat die 57. Vierschanzentournee einen Sound, mit dem sich Hardcore-Fans und Rentner anfreunden können.

Reinhard Keck

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