Zoff um Teamorder: Vettels Schumi-Schatten
München - Man wüsste natürlich nur allzu gern, was Michael Schumacher über die ganze Affäre denkt. Wenn einer Erfahrung hat mit rücksichtslosen Überholmanövern, eiskalten Fouls am Steuer und hysterischen Aufschreien und Anfeindungen einer ganzen Szene, dann ja wohl er, der Kannibale der Rennstrecken.
Aber der Rekordchampion äußert sich derzeit nicht über die Formel 1, genießt lieber seinen Ruhestand. Und so sprang Sebastian Vettel Sonntagabend ein anderer Ex-Champion zur Seite. Tennis-Legende Boris Becker schrieb, nachdem er sich Vettels recht fragwürdigen, weil vom Team so nicht gewollten, Sieg beim Großen Preis von Malaysia angesehen hatte, auf Twitter:„Vettel hat getan, was ein dreimaliger Champion tun muss ... die Sache selbst in die Hand nehmen."
Das hatte Vettel tatsächlich getan. Obwohl sein Team ihm und seinen Teamkollegen Marc Webber mehrfach befohlen hatte, die Motorleistung zu drosseln, die Reifen zu schonen und kein unnötiges Risiko zu gehen, hatte Vettel den bis dahin souverän führenden Webber sieben Runden vor Schluss mit einem äußerst riskanten Manöver – und voller Motorleistung – überholt. Und obwohl Vettel sich nach dem Rennen beschämt gab und mehrmals bei Webber und dem Team entschuldigte, ist in der Szene nicht nur eine Diskussion über Sinn und Unsinn von Vettels Aktion entbrannt, die selbst Teamchef Christian Horner als „dumm“ bezeichnete und Webber zu einem Stinkefinger im Cockpit hinreißen ließ. Vettel muss sich nach seinem egoistischen Rambo-Anfall wieder auseinander setzen mit einer Frage, die er noch nie gerne gehört hat: Wie viel Schumi steckt in Vettel? „Ich bin kein zweiter Schumi, sondern der erste Vettel“, sagt der Heppenheimer selbst meist auf diese Vergleiche.
Doch ist das wirklich so? Die AZ macht den Check:
Rücksichtslosigkeit: Vor allem in der ersten Phase seiner Karriere scherte sich Schumacher um nichts und niemanden. Skandale und Disqualifikationen begleiteten die Zeit, bis er 1994 zum ersten Mal Weltmeister wurde: Schumi fuhr mit einem illegalen Unterboden, ignorierte schwarze Flaggen, Ayrton Senna drohte ihm sogar mal Prügel an. Seine erste WM gewann er 1994, indem er Damon Hill abschoss. Als er 1997 eine ähnliche Aktion gegen Jacques Villeneuve versuchte, wurden ihm gar alle WM-Punkte der Saison aberkannt. Selbst als siebenmaliger Weltmeister parkte er seinen Ferrari mal in Monaco mitten in der Rascasse-Kurve, damit Fernando Alonso die Pole Position verpasste. Reue für seine Taten zeigte er, ganz im Gegensatz zu Vettel, nie. Der ist in der Szene zwar als harter Zweikämpfer bekannt, aber ist in der Regel fair. Verlieren kann Vettel aber ebenso schlecht wie Schumi.
Beliebtheit und Bedeutung in der Szene: Schumacher wurde wegen seiner Erfolge respektiert, sonderlich beliebt bei seinen Rivalen war er nie. Vettel hält Freundschaften unter Fahrern für sehr schwer aufrechtzuerhalten, da sind sie sehr ähnlich. Mit Kimi Räikkönen versteht er sich gut, Schumacher war eine Art Mentor und väterlicher Freund. Im Saison-Endkampf 2012 drückten die meisten Fahrer Alonso und nicht Vettel die Daumen. Bei den deutschen Fans ist Vettel zwar beliebt, aber einen neuen Formel-1-Hype, wie er seinerzeit unter Schumi blühte, hat Vettel nicht ausgelöst. Wahrscheinlich wird er selbst – wenn er mal Rekordweltmeister sein sollte – noch mit Schumacher verglichen werden.
Talent: Schumacher war bis zu seinem ersten Rücktritt die dominierende Gestalt der Szene, er hat die Formel 1 damals revolutioniert, alle Rekorde gebrochen. Zu seiner Legendenbildung entscheidend beigetragen hat, wie er Ferrari zum dominierenden Team der ersten Dekade der 2000er Jahre gemacht hat. Vettels Leistungen dagegen werden seit jeher ambivalent gesehen. Obwohl er mit 25 schon drei Mal Weltmeister war und sich anschickt, alle Rekorde zu brechen, nennen die meisten Rivalen bei der Frage nach den derzeit talentiertesten Fahrern Alonso und Lewis Hamilton und nicht Vettel. „Er ist sehr schnell, wenn alles perfekt ist“, sagt etwa Villeneuve, „aber Vettel fährt sich nicht die Eier aus der Hose.“
Ansehen im eigenen Rennstall: Egal ob bei Benetton oder Ferrari, Schumacher war immer die unumstrittene Nummer 1. Seine Teamkollegen betrachtete er im besten Fall, wie etwa bei Felipe Massa, als treue Paladine. Wenn mal einer, wie Rubens Barrichello, irgendwann aufmuckte, wurde er entlassen. Vettel ist bei Red Bull nie die unumschränkte Nummer 1 gewesen. Webber mag ihn nicht sonderlich und hat ihm nie wirklich geholfen. Dennoch durfte der Australier immer im Rennstall bleiben. Und als Vettel jetzt in Malaysia mal für klare Verhältnisse gesorgt hat, erlebte er den Anpfiff seines Lebens.