Zieh, Schlitten, zieh!

Wer als Skitourengeher nicht mehr laufen kann, kann sich immerhin noch ziehen lassen – vom Motorschlitten: Ski-Jöring auf Norweger-Art im Winterwunderland der Lyngen-Alps bei Tromsö.
Fünfmarkstücke gibt es zwar nicht mehr, aber die Blasen sind trotzdem so groß. Rechts und links. Ein Drama. Wie immer in neuen Tourenschuhen. Aber doch bitte nicht bei Neuschnee und strahlend blauem Kitschhimmel! Im norwegischen Winterwunderland, im Irgendwo der Lyngen-Alps, weit hinter Tromsö, gut 400 Kilometer nördlich des Polarkreises, inmitten sensationeller Fjordlandschaften. Aber die blutigen Heiermänner an den Fersen zwingen einen zum Innendienst – bis die Kumpels vom Ski-Jöring kommen und einem die Nase lang machen.
Skitouren in der Einsamkeit Norwegens sind was Wunderbares. Schritt für Schritt tauchen neue Gletscher am Horizont auf, bis oben am Gipfel, gut tausend Meter über dem Meer, ein Panorama wartet, das einen ehrfürchtig werden lässt. Ein Erlebnis, das man jeden Tag haben will. Wenn bloß diese blöden Blasen nicht wären. Doch wer nicht mehr laufen kann, kann immerhin noch fahren. Sich ziehen lassen. Zum Beispiel von einem Ski-Doo, einem PS-starken Motorschlitten. Und zwar so viele PS, dass der Schlitten auch ordentlich bergauf donnern kann – mit ein paar Tourengehern im Schlepptau: Skijöring auf Norweger-Art.
Eigentlich lässt man sich beim Skijöring von einem Pferd oder von Schlittenhunden ziehen – in der Ebene, nicht bergauf, im meterhohen Pulverschnee. 1928 war Skijöring in St. Moritz sogar olympischer Demonstrationswettbewerb. Hier oben in Nordnorwegen gehört ein Motorschlitten und drei Skifahrer hinten dran an einer langen Leine zum gängigen Ortsbild. So weit die PS reichen, zieht der Fahrer die Tourengeher bergauf, donnert mit Motorengeheul wieder gen Tal, während die bald darauf durchs Pulver wedelnden Skifahrer mit ihren Juchzern und Jodlern nur halb so viel Lärm machen.
Wer als Blasen-Geschädigter mit so einem Haufen aufgedrehter Freaks unter einem Dach wohnt und in einem Jacuzzi sitzt, schwört sich: Morgen schaff' ich das auch! Egal wie! Als der Morgen samt Kaiserwetter und frischem Pulverschnee da ist, geht die Marter los: millimeterweise in die Skischuhe, ohrenbetäubendes Schmerzgeschrei, aber irgendwann ist man drin in den Schraubzwingen, ist vor die Tür gewackelt, in die Bindung gestiegen, hat sich die Leine vom Schlitten geschnappt und sich ziehen lassen. Erst über die menschenleere Hauptstraße, dann hinauf, die Krüppelkiefernbüsche wie Kippstangen weg schlagend und schließlich rein in den Pulver, bis der Motor im Steilhang kapitulieren muss. Die restlichen Höhenmeter bis zum Gipfel wünscht man selbst dem schlimmsten Feind nicht, aber es hilft ja nix: Die Aussicht wartet. Und eine Abfahrt, die auch die größten Blasen vergessen lässt. Feine Sache, dieses Skijöring.
Thomas Becker