Zehnkampf-Legende Daley Thompson: "Politik und Sport verbinden sich leider nie zum Nutzen des Sports"
AZ-Interview mit Daley Thompson: Der jetzt 63-jährige Brite ist einer der besten und erfolgreichsten Zehnkämpfer aller Zeiten. Er gewann bei den Olympischen Spielen 1980 und 1984 jeweils Gold, war zudem 1983 Weltmeister. Seit Jahren unterstützt er als Laureus-Academy-Mitglied die "Sport For Good Foundation".
AZ: Mister Thompson, vor Ihrer großen Zehnkampf-Karriere haben Sie als Kind für den FC Chelsea gekickt. Sind Sie immer noch Fan?
DALEY THOMPSON: Nicht so sehr von Chelsea, aber für Fußball allgemein schon.

Ihr Lieblingsklub?
Als ich noch ein kleines Bisschen jünger war, war ich mal Fitness- und Konditionstrainer beim AFC Wimbledon - und die mögen das nicht so, wenn ich andere Fußballklubs mag. Also habe ich aufgehört, einen Lieblingsverein zu haben.
Thompson: "Manchmal kommt einem einfach das Leben in die Quere"
Welche Position spielten Sie?
Innenverteidiger. Und wenn ich in meiner Fußballkarriere eine Qualität hatte, dann die: Ich war sehr ungeschickt.
Wir glauben Ihnen kein Wort! Aber lassen Sie uns über die Gegenwart sprechen: Nicht nur am Beispiel Chelsea/Abramowitsch wird deutlich, dass die Politik immer stärker in den Sport hinein regiert. Wie haben Sie die Olympischen Spiele in Peking erlebt?
Politik und Sport verbinden sich leider nie zum Nutzen des Sports. Es gab und gibt Zeiten, in denen sich diese Bereiche vermischen, ohne dass man etwas dagegen tun kann, vor allem als Sportler nicht. Alles was Sportler wollen, ist: ihren Wettkampf haben, das tun, was sie lieben und wofür sie jeden Tag arbeiten. Es ist schwierig. Aber manchmal kommt einem einfach das Leben in die Quere.
Haben Sie die Spiele von Peking verfolgt?
Ein bisschen. Um ehrlich zu sein, bin ich schon eher ein Sommer-Olympionike. Aber was die Performance angeht: Da wird man von den Athleten nie enttäuscht, was auch immer im Rest der Welt los ist. Die geben immer ihr Bestes. Der andere Kram interessiert die nicht - und mich auch nicht. Oder was denken Sie?
Naja, wenn man hört, unter welchen Umständen die Sportler in Peking ihre Wettkämpfe absolvieren mussten, wenn man weiß, dass ihnen praktisch der Mund verboten wurde, ist das traurig, furchtbar und unverschämt zugleich.
Das IOC gibt dem Veranstalterland zu viel Macht. Sie wollen nicht, dass der Gastgeber in Verlegenheit gebracht wird. Letztlich sollte es aber um die Athleten gehen: Sie sind schließlich die Protagonisten von Olympia. Aber so sehr wir auch den Sport lieben: Manchmal müssen wir ihn beiseitelegen und uns um wichtigere Dinge kümmern.
1986 hatten Sie sich bei den Commonwealth Games in Edinburgh geweigert, den Fahnenträger zu geben. Warum?
Dafür bin ich nicht der Typ. Ich mag solche Sachen nicht, mag nicht ganz vorne stehen. Außerdem dauert so eine Veranstaltung zwei oder drei Stunden, und als Fahnenträger musst du noch mal zwei oder drei Stunden früher da sein. Einen halben Tag herumstehen und Zeit verschwenden? Das tut deiner Performance wirklich nicht gut.
Nach Ihrer zweiten Olympischen Goldmedaille 1984 haben Sie das Videospiel "Daley Thompson's Decathlon" herausgebracht, einer der Top-Seller in Großbritannien. Wie kam es dazu?
Zu der Zeit gab es ja noch fast gar keine Spiele, meins war eins der ersten. Als mir das damals vorgeschlagen wurde, hatte ich überhaupt keine Ahnung über was die da reden, so neu war das. Das Lustige ist: Bis heute vergeht kein Tag, an dem ich nicht auf dieses Spiel angesprochen werde. Manche erzählen mir, dass sie den Controller oder gar ihren Commodore zerstört haben. Verrückt, dass heute noch darüber gesprochen wird!
"Ich bin eher so der Typ, der raus geht und etwas macht"
Warum hat Sie der britische Verband nie als Coach geholt?
Ich bin nicht so eine Quasselstrippe. Ich glaube, dass in solchen Verbänden unheimlich viel Zeit damit verschwendet wird, darüber zu reden, was man zu tun gedenkt. Ich bin eher so der Typ, der raus geht und etwas macht.
In Ihrer Karriere hatten Sie harte Kontrahenten aus Deutschland. Haben Sie noch Kontakt zu Guido Kretschmar und Jürgen Hingsen?
Nur zu Jürgen. Wir schreiben uns und telefonieren zwei, drei Mal im Jahr, und wenn diese Pandemie hoffentlich bald vorbei ist, schaffen wir es vielleicht im Sommer, uns wieder zu sehen. Schließlich teilen wir uns eine Menge Geschichte.

Was halten Sie von Niklas Kaul, dem deutschen Zehnkampf-Weltmeister von 2019?
Er kann und wird womöglich in den nächsten Jahren der beste Zehnkämpfer der Welt sein. Er scheint ein richtig gutes Naturell zu haben, wenn sein Team es schafft, ihn fokussiert zu halten, kann er wirklich richtig gut werden.
"Ich bin lieber ein guter Vater als ein schlechter Coach"
Sie haben fünf Kinder - sind Sportler darunter?
Die sind gar nicht so schlecht. Einer meiner Jungs gehört zu den fünf besten Zehnkämpfern in England, ein anderer spielt Rugby in der schottischen U20-Nationalmannschaft.
Trainieren Sie den Zehnkämpfer-Sohn?
Nein, ich bin lieber ein guter Vater als ein schlechter Coach.
Was ist heute Ihr Sport?
Mein Sport ist vor allem, meinen Kindern beim Sport zuschauen.
Heißt: Die 10,26 über 100 Meter schaffen Sie nicht mehr?
Ich verspreche Ihnen: Es gibt noch nicht mal eine Chance auf eine Zeit von 26,10 Sekunden!