Wladimir Klitschko: Die Angst als Motivator

Wladimir Klitschko verteidigt seinen WM-Titel gegen Kubrat Pulev. Im Dezember wird er erstmals Papa. Mit der AZ spricht er über die Vaterrolle, Werte, die er vermitteln will – und was ihn motiviert.
von  Matthias Kerber
Box-Weltmeister Wladimir Klitschko.
Box-Weltmeister Wladimir Klitschko. © dpa

AZ: Herr Klitschko, am Samstag verteidigen Sie Ihren WM-Titel gegen Herausforderer Kubrat Pulev, ein paar Wochen später werden Sie dann erstmals Vater. Wovor flattern Ihre Nerven mehr?

WLADIMIR KLITSCHKO: Beim Boxen habe ich natürlich viel mehr Routine (lacht). Da bin ich auch immer noch aufgeregt, daran hat sich nichts geändert, diese positive Energie, die dieses Gefühl in einem erzeugt. Ich liebe Boxen. Es ist das, was ich in meinem Leben am besten kann. Und ich bin mir auch sehr bewusst, dass ich wahrscheinlich nie wieder in irgendetwas so gut sein werde.

Man kann der beste Papa der Welt sein.

Das sagen doch meine Neffen und Nichten schon über ihren Vater, meinen Bruder Vitali. Aber Spaß beiseite, natürlich ist es das große Ziel, der beste Vater zu sein, den man abgeben kann. Onkel zu sein, ist das eine. Man kann viel Unsinn machen, und wenn das Kind mal geschrien hat, konnte man es ganz schnell an Mutter oder Vater geben. Die Rolle, die Hayden (Panettiere, seine Partnerin, d. Red.) und mich jetzt erwartet, ist eine ganz andere. Ich habe in meinem Kopf auch schon ganz viele Szenarien durchgespielt, wie das Leben so wird. Aber wissen Sie was? Wenn das Kind erstmal da ist, dann wird mit einem Schlag sowieso alles anders. Dieses kleine Wesen hat sofort die Macht, deine Welt auf den Kopf zu stellen. Ich will auch bei der Geburt dabei sein. Ich verspüre im Moment mit jedem Gedanken daran einfach nur eine enorme Vorfreude. Dieser entspringt eine ungeheure Motivation für diesen Kampf.

Wird die nahende Vaterschaft die Art, wie Sie in den Ring gehen, verändern? Sinkt vielleicht die Risikobereitschaft?

Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich denke nicht, dass ich vorsichtiger in den Kampf gehe, dass ich das Risiko mehr scheuen würde. Ich betrachte es sowieso als die große Kunst des Boxens, nicht getroffen zu werden. Ich habe meine Leidenschaft für das Boxen nicht verloren. Es ist ja auch nicht so, dass aufgrund der Geburt mein restliches Leben urplötzlich stehenbleibt oder endet. Ich habe das bei Vitali selber dreimal miterlebt, dass er trotz seiner Kinder seine Überzeugungen verfolgt hat. So wie jetzt auch in der Ukraine. Er engagiert sich mit vollem Herzen für sein Land, kämpft jetzt als Bürgermeister von Kiew für die Zukunft der Ukraine. Und wissen Sie, was er mir gesagt hat? Dass er als Vater in seinen Kämpfen noch härter zugeschlagen hat als zuvor. Mal sehen, wie das bei mir sein wird (lacht).

Kennen Sie eigentlich Angst?

Sehr gut! Angst ist mein großer Motivator, sie ist irgendwo mein bester Freund. Es ist die Angst zu verlieren, die mich im Training immer wieder dazu antreibt, an meine Grenzen und darüber hinaus zu gehen. Ich habe erlebt, was es heißt, zu verlieren, am Boden zu liegen, wenn die Menschen plötzlich auf einen herabschauen und nicht mehr zu einem auf.

Wie bei Ihren Niederlagen gegen Corrie Sanders und Lamon Brewster.

Das will und werde ich nie wieder erleben. Angst hilft mir dabei. Es gibt ja verschiedene Arten von Angst. Es gibt die Angst, die dich lähmt. Die meine ich nicht. Sie ist Gift für dich und deine Seele. Und es gibt die Angst, die dich wachsam sein lässt, die als Mahner fungiert, die davor warnt, eine Situation zu unterschätzen, zu überheblich zu werden. Denn ein und dieselbe Situation kann sehr gefährlich oder vollkommen harmlos sein, es hängt nur davon ab, in welcher Position man sich befindet. Für mich ist Angst wie Schlangengift. Sie kann dich verletzen, dich töten – aber mit genau demselben Gift kann man auch das Gegenmittel herstellen, das einen rettet.

Was sind die wichtigsten Werte, die Sie Ihrem Kind durch Erziehung mit auf den Weg geben wollen?

Respekt vor anderen Menschen, gerade alten Leuten, aber vor anderen Lebewesen ganz generell. Ich denke, dass man – bewusst oder unbewusst – als Mensch immer irgendwo das Spiegelbild seiner Eltern und ihrer Erziehung ist. Unsere Eltern haben Vitali und mich zu sehr selbstständigen, eigenständigen Menschen erzogen. Sie gaben uns viele Freiheiten und dabei aber stets das Gefühl, dass wir auf sie zählen können, dass sie in jeder Lebenslage zu uns stehen. Aber wir wurden auch dazu angehalten, zu versuchen, Dinge erst einmal selber zu lösen. Sie haben uns dazu geleitet, Dinge stets mit voller Überzeugung, mit Inbrunst, auch mit vollem Risiko anzugehen. So bin ich auch immer noch – und das ist eine Einstellung zum Leben, die ich auch gerne weitergeben möchte.

Sie sind jetzt 38, wie lange wollen Sie noch boxen? Und sollen Ihre Kinder Sie noch im Ring erleben?

Zum ersten Teil der Frage: Ich fühle mich besser und fitter denn je. Das erstaunt mich selber. Ich bin ja auch Sportwissenschaftler.

Sie haben darin einen Doktortitel.

Ich bin da zwei Dinge in einer Person: der Wissenschaftler, der mich selber beobachtet und verfolgt, was passiert. Und das Versuchskaninchen, an dem der Wissenschaftler so einiges ausprobiert. Da aber der Wissenschaftler auch manchmal betriebsblind ist, habe ich den Leuten in meinem Umfeld, den Leuten, denen ich vertraue, das Versprechen abgenommen, dass sie mir sofort sagen, sobald sie das Gefühl haben, dass ich nachlasse, dass ich langsamer oder schlechter werde. Denn manchmal kann nur der Blick von außen der objektive sein.

Fehlt noch die Antwort auf Teil zwei: Werden Ihre Kinder Sie noch im Ring erleben?

Auf keinen Fall! Das will ich nicht. Es ist schon nervenaufreibend genug, wenn man weiß, dass seine Lebensgefährtin am Ring ist. Ich war auch gar nicht davon angetan, als Vitali meinem Neffen Egor-Daniel erlaubt hat, bei einem meiner letzten Kämpfe live am Ring zu sein. Ich wollte das nicht. Wir reden hier nicht von Tennis, sondern Boxen, einer der härtesten Sportarten der Welt. Es wird immer passieren, dass man Schläge abbekommt. Ein Kind muss nicht sehen, wie der Vater geschlagen wird. Ich will auch nicht im Ring stehen und mir Gedanken machen müssen, wie sehr das Kind leidet. Das wäre eine zu große Ablenkung und eine zu große Gefahr auch für mich, denn wie vorhin gesagt, eine harmlose Situation kann allein dadurch gefährlich werden, dass man abgelenkt, dass man nicht voll bei der Sache ist.

Und Boxen ist noch nicht mal im Ansatz harmlos.

Richtig. Daher ist die Antwort ein klares Nein.

 

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