Wladimir Klitschko: Der 20-Prozent-Champion
New York - Bryant Jennings riss als Erster den Arm in Siegerpose hoch, erst dann tat es ihm Wladimir Klitschko gleich. Doch das Gesicht des Champions, der seit neun Jahren Weltmeister der schweren Jungs ist, sagte alles. Frustration, Wut, Enttäuschung, ein Schuss Verzweiflung. Es war ein klarer, ein einstimmiger (116:111, 116:111, 118:109) Sieg über den Amerikaner, der erst seit sechs Jahren überhaupt boxt, der vor einem Jahr noch nebenbei als Hausmeister tätig war.
Aber Klitschko ist bei dem Fight an seinen eigenen Ansprüchen, die er so ungewohnt offensiv im Stil des amerikanischen Ballyhoo vorgetragen hat ("Diese Stadt ist zu klein für uns beide, Bye-Bye-Jennings"), gescheitert. "Es tut mit leid. Es geht eben nicht immer so, wie man es sich wünscht", sagte Klitschko danach, "Jennings war sehr schwer zu treffen." Am Ende standen bei Klitschko 144 Treffer zu Buche; Jennings langte 110 Mal zu.
Eine klare Sache. Aber eben kein Statement an die Amerikaner, bei denen Klitschko mit seinem Safety-first-Stil nicht wirklich ankommt. Deswegen wollte er unbedingt einen spektakulären Knockout liefern. Wollte er. Konnte er aber nicht. Stattdessen wirkte er in den mittleren Runde sogar anfällig, verletzlich. Hat der unbesiegbare Vater Zeit den 39-Jährigen etwa ein wenig in seine zerstörerische Hände bekommen? "Seine Schläge haben mir nicht wehgetan. Das Urteil ist viel zu einseitig. Ich will ein Rematch", sagte Jennings. Und Deontay Wilder, der Weltmeister des Verbandes WBC, der damit den einzigen Gürtel hält, den Klitschko - Champion der Verbände IBO, IBF, WBO und WBA - nicht in Familienbesitz hat, meinte: "Es gab zwei Sieger an diesem Abend. Jennings hat zwar verloren, aber er darf sich auch als Sieger fühlen."
Dabei hatte sich Klitschko für seine Rückkehr in den legendären Madison Square Garden in New York so viel vorgenommen. Er hatte eine "große Show" versprochen. Der 39-Jährige wollte sich in die Herzen der New Yorker boxen. Sie, die ihn vor sieben Jahren bei seinem letzten Fight in den USA überhaupt, mit Pfiffen verabschiedet hatten, weil der Titelvereinigungskampf gegen Sultan Ibragimow ein Langweiler, ein "Stinker" - wie es in der Boxsprache heißt – war, wollte er jetzt überzeugen. Er wollte beweisen, dass er der unangefochtene König des Schwergewichts ist. Dass er in einer Reihe mit Muhammad Ali, Jack Dempsey, Joe Frazier Rocky Marciano, Larry Holmes, Joe Louis, Sonny Liston, Lennox Lewis, Mike Tyson oder Evander Holyfield steht.
Diesmal taten sich nur einzelne Box-Fans als Pfiffikuse hervor, aber Ovationen der 18 000 Fans – unter ihnen Schauspieler Bruce Willis, Thomas Gottschalk, Box-Ikone Evander Holyfield - im Madison Square Garden waren auch Fehlanzeige. Zu sehr verwaltete Klitschko seinen Punktevorsprung. Einem Box-Bürokraten gleich ging er kein unnötiges Risiko ein, und seine gefürchtete Rechte, der Stahlhammer, wurde kaum geschlagen - und fand noch seltener sein Ziel. Dementsprechend zerknirscht war Klitschko nach seiner gescheiterten New-York-Mission. "Das war wohl einer der Kämpfe, wo ich nur 20, 30 Prozent meines Leistungsvermögens abgerufen habe - abrufen konnte", gab Klitschko dann auch unumwunden zu.
Klitschko, der 20-Prozent-Champion, hat damit auch das Fernduell mit den Fightern Manny Pacquiao und Floyd Mayweather endgültig verloren. Seit Monaten ging es in der amerikanischen Öffentlichkeit nur um diesen "Fight des Jahrhunderts", der am 2. Mai zwischen dem einzigen Boxer, der in acht Gewichtsklassen Champion war (Pacquiao) und dem ungeschlagenen und reichsten Sportler der Welt (Mayweather) ausgetragen wird. Klitschko war vorher schon eine Randnotiz in den Box-USA. Nach dem Kampf umso mehr. Doch Bruder Vitali, der 2012 als Champion zurückgetreten ist, kam zur Ehrenrettung: "Jennings ist ein sehr guter Mann. Aber Wladimir ist der beste Boxer der Welt." Doch der Beste war bei seiner New-York-Mission nur gut - nicht gut genug.
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