„Wir sind doch Freundinnen und führen keinen Krieg“

Anna Dogonadze, deutsch-georgische Titelverteidigerin im Trampolin, hat große Angst um ihre Familie. Fast flehend sagt sie: „Olympia sollte doch die Zeit des Friedens sein“.
Von Florian Kinast
AZ: Frau Dogonadze, nach Ihrem Gold von Athen erklärten Sie, bis Peking könnten Sie dann auch die deutsche Nationalhymne mitsingen. Kennen Sie den Text jetzt?
ANNA DOGONADZE: Leider nicht. Ein paar Worte vielleicht. Ich weiß auch nicht, ob ich es am Montag nach dem Finale wirklich brauchen werde. Ich bin ja froh, überhaupt dabei zu sein. Irgendwann werde ich sie auswendig lernen. Ich lebe seit elf Jahren in Deutschland, fühle mich auch längst als Deutsche. Aber natürlich werde ich auch immer Georgierin bleiben.
Weshalb Sie in den letzten Tagen sicher nicht nur an den Sport gedacht haben.
Es ist sehr schwer, den Kopf freizubekommen, der Krieg hat mich sehr beschäftigt. Ich bin in großer Sorge um meine Familie. Ich habe versucht, meine Eltern anzurufen, aber da ist das gesamte Telefonnetz zusammengebrochen. Ein Handy haben sie nicht.
Wie weit ist Ihr Heimatort vom Krisenherd entfernt?
Nur eine Stunde von Gori, wo der Krieg besonders stark tobt. Das einzige, was ich bekommen habe, war eine SMS von meinem Bruder Josef. Er ist Hubschrauberpilot bei der Armee, das macht mir zusätzlich Angst. Er hat nicht viel geschrieben. Nur, dass alles gut ist. Aber das heißt nichts.
Wieso?
Er würde mir nie sagen, wenn etwas passiert wäre. Damit ich nicht beunruhigt bin. Aber das bin ich auch so.
Wie sind Sie dann informiert über die Situation in Ihrer Heimat?
Im Olympischen Dorf haben wir Deutsche Welle, ich gucke auch viel russisches Fernsehen. Aber da ist die Berichterstattung natürlich sehr einseitig. Die sagen, die Georgier sind an allem schuld.
Hat Sie die Eskalation und der Ausbruch des Krieges überrascht?
Ja. Als mich mein Freund am Samstag letzter Woche angerufen hat und mich gefragt hat, ob ich schon vom Krieg in Georgien gehört hätte, konnte ich es nicht glauben. Keiner hat sich das gedacht. Ich glaube auch, unser Präsident Saakaschwili hat sich ein bisschen verschätzt. Er hat wohl nicht gedacht, dass die Russen so reagieren. Ich finde es unmöglich von beiden Seiten. Gerade bei Olympischen Spielen, das sind heilige Spiele, das sind Friedensspiele. Das sind keine Kriegsspiele. Da ist keine Zeit für Konflikte.
Bei Ihrer Qualifikation turnten Sie mit Athletinnen aus Russland und Georgien. Ist der Krieg da ein Thema?
Natürlich sprechen wir da drüber. Ich kenne auch viele andere georgische Sportler, bekomme mit, wie sie Angst haben um ihre Familien. Glücklicherweise habe ich noch bei keinem gehört, dass ein Angehöriger gestorben ist in diesem Krieg. Sicher haben russische Sportler vielleicht eine andere Sicht, eine andere Meinung, aber letztendlich sind wir doch alles Freundinnen. Wir treten im friedlichen Wettkampf gegeneinander an. Wir führen doch keinen Krieg. Schauen Sie, für uns kommt eine Plattform wie Olympia doch nur alle vier Jahre. Dafür trainieren wir. Olympia sollte doch die Zeit des Friedens sein. Wenn wir jetzt regeln müssten, was die Politiker versäumt haben, dann würden wir uns doch nur unseren Wettkampf versauen.
Sie hatten nie erwogen, ein politisches Zeichen zu setzen?
Nein.
Beim Beachvolleyball sah das anders aus. Da spielen zwei eingebürgerte Brasilianerinnen für Georgien. Nach dem Sieg gegen zwei Russinnen spielten sie und der Verbandschef das zum Politikum hoch, es wirkte wie ein Stellvertreterkrieg.
Das verstehe ich wirklich nicht. Die sollten sich doch lieber auf ihren Sport konzentrieren. Die Chance auf Olympische Spiele haben sie vielleicht nur einmal im Leben. Das ist doch eine einzigartige Atmosphäre.
Die Atmosphäre gefällt Ihnen wirklich? Ein kasachischer Fechttrainer sagte dieser Tage, China erinnere ihn sehr an die totalitären Zustände in der alten Sowjetunion.
Das sehe ich anders. Ich sehe, dass hier alles super organisiert ist. Alle sind so nett, ich habe noch keine bösen Chinesen getroffen. Sie sind alle so freundlich und hilfsbereit. Wenn es nur ein paar Tropfen regnet, kommt schon jemand und hält dir den Regenschirm.
Imke Duplitzer, die Fechterin, empfand das als zu aufgesetzt und überreguliert.
Ach, die Menschen sind hier einfach nur höflich. Hier wird nichts geklaut, hier muss man keine Angst haben. Ich empfinde das nicht als Kontrolle. Ich habe mich noch nie so sicher gefühlt, das sind ja jetzt auch schon meine dritten Olympischen Spiele.
Und wohl die letzten.
Dass ich hier bin, habe ich Klaus Eder zu verdanken, unserem Physiotherapeuten. Er operiert mich mit seinen Händen, ohne Skalpell. Ich könnte seine Hände küssen. Vielleicht höre ich nach Peking auf, mal sehen. Es wird Zeit, dass ich meine Ausbildung zur Bürokauffrau beende.
Werden Sie nach Georgien zurückgehen?
Nein, ich war in den letzten sechs Jahren nur einmal dort. Meine Familie kommt mich manchmal besuchen, aber meine Heimat ist jetzt Deutschland. Wissen Sie, unser Präsident sagt immer, wer für Georgien Gold gewinnt, bekommt ein Haus, ein Auto und viel Geld. Aber was will ich mit einem Haus, einem Auto und viel Geld, in einem Land, in dem es Krieg gibt und viel Kriminalität! Ich bleibe in Deutschland. Lieber weniger haben und sicherer leben.