Interview

Wimbledon-Starter Oscar Otte: "Man ist ja ein Mensch und keine Maschine"

Der Kölner Tennis-Profi fährt nach der Verletzung von Alexander Zverev jetzt als deutsche Nummer eins nach Wimbledon. In der AZ spricht er über seinen rasanten Aufstieg - und was speziell München damit zu tun hat.
von  Krischan Kaufmann
Oscar Otte ist immer für einen Spaß zu haben, weiß aber auch, wie wichtig harte Arbeit für den Erfolg ist.
Oscar Otte ist immer für einen Spaß zu haben, weiß aber auch, wie wichtig harte Arbeit für den Erfolg ist. © picture alliance/dpa

München - AZ-Interview mit Oscar Otte: Der Kölner Tennis-Profi (28) ist heuer die deutsche Nummer eins in Wimbledon. Dort trifft er in der ersten Runde auf den Münchner Peter Gojowczyk (32)

AZ: Herr Otte, in den letzten Wochen haben Sie sich mit Riesenschritten bis auf Platz 37 der Weltrangliste hochgekämpft und sind nun nach der verletzungsbedingten Absage von Alexander Zverev sogar die deutsche Nummer eins in Wimbledon. Wäre es vermessen zu behaupten, dass München einen kleinen Anteil an dieser famosen Entwicklung hat - zumindest sind Sie bei den BMW Open in diesem Jahr erstmals auf der ATP-Tour in ein Halbfinale vorgestoßen?
OSCAR OTTE: Nein, denn das war ja der Anfang meiner tollen Saison. Ich habe mich in München sehr wohlgefühlt, und vor allem der Sieg über Reilly Opelka im Achtelfinale - das war mein erster Erfolg über einen Top-20-Spieler - hat mir für die weitere Saison enorm Selbstvertrauen gegeben.

Fan-Wette wird zur Karlsson-vom-Dach-Nummer

Endgültig zum diesjährigen Publikumsliebling am Aumeisterweg wurden Sie, als Sie sich nach dem Viertelfinale gegen den Chilenen Alejandro Tabilo auf dem Court beim Interview eine bunte Kappe mit Propeller aufgesetzt haben. Wie kam's zu dieser Karlsson-vom-Dach-Nummer?
Das war damals eine Wette mit ein paar Fans. Ich hatte sie zwei Tage vor dem Match von meinem Hotelzimmer aus gesehen und gerufen: "Hey, coole Cappy". Und als ich sie dann am Tag des Viertelfinales auf der Anlage wieder getroffen habe, habe ich ihnen versprochen, dass ich die Kappe aufsetze, wenn ich das Match gewinne.

Der etwas andere Tennis-Profi: Oscar Otte bei den BMW Open in München mit seiner Karlsson-vom-Dach-Kappe.
Der etwas andere Tennis-Profi: Oscar Otte bei den BMW Open in München mit seiner Karlsson-vom-Dach-Kappe.

In Bayern sagt man zu so einer lässig-lustigen Aktion anerkennend: "Der scheißt sich nix!" Im piekfeinen All England Lawn Tennis and Croquet Club würden Sie sich diesen Spaß aber wohl kaum erlauben, oder?
Also, wenn ich so etwas in Wimbledon machen würde, hätte ich wahrscheinlich ein großes Problem. (lacht) Dort herrschen ja sehr strenge Kleidervorschriften: Alles muss weiß sein. Das ist das einzige Turnier, wo ich mich dann doch lieber ein wenig zurückhalte.

Wobei ein bisserl Spaß scheint ja auch im Wimbledon erlaubt zu sein: Im letzten Jahr bei der Fünf-Satz-Niederlage gegen Andy Murray in der zweiten Runde sind Sie, nachdem Sie zuvor mehrmals ausgerutscht sind, einmal einfach liegengeblieben und haben so getan, als würden Sie eine Zigarette rauchen.
Ich glaube, auch diese Aktion war noch im Rahmen. (lacht)

In Wimbledon 2021: Oscar Otte mit seiner lässigen Paff-Pantomime.
In Wimbledon 2021: Oscar Otte mit seiner lässigen Paff-Pantomime. © imago images/Shutterstock

Otte: "Grundsätzlich bin ich schon eher der lockere Typ"

Vielleicht muss man sich ja auch seinen Humor bewahren, wenn man so wie Sie erst mit 28 Jahren auf der Tour so richtig durchstartet, ein Alter, bei dem andere Tennis-Profis schon langsam ans Aufhören denken.
Na ja, grundsätzlich bin ich schon eher der lockere Typ, aber nichtsdestotrotz habe ich in den letzten Jahren viel und hart gearbeitet. Mein Erfolg kam jetzt auch nicht aus dem Nichts. Klar, ein bisschen Spaß schadet nie, aber mein Fokus ist im Training und im Match schon sehr hoch. Bei mir läuft es gerade sehr gut und deshalb denke ich auch gar nicht ans Aufhören.

Warum auch? Premiere im Davis Cup, Halbfinale bei den Turnieren in München, Stuttgart und Halle. 2022 ist bislang Ihr Jahr, oder?
Bis jetzt kann man das ganz sicher so sagen. Aber wer weiß, was die nächsten Jahre passiert - vielleicht läuft es sogar noch besser für mich. . . Ich habe mich jetzt bei den Turnieren in Deutschland sehr wohlgefühlt und deshalb freue mich schon auf den Davis Cup in Hamburg im November - aber davor gibt's ja noch ein paar andere wichtige Turniere.

Den Ruf des ewigen Qualifikanten haben sie nun endgültig abgelegt.
Diesen Ruf habe ich gar nicht so wahrgenommen. Ich habe ja nicht absichtlich so oft in der Quali verloren, es gibt weltweit einfach eine Menge gute Spieler. Es war ein langer Weg bis dorthin, wo ich jetzt bin und aktuell bin ich einfach nur froh, dass ich diese Ochsentour in der Qualifikation nicht mehr mitmachen muss. (lacht)

Haben Sie eine Erklärung für Ihre Leistungsexplosion in den letzten Monaten?
Es ist wahrscheinlich von allem ein bisschen. Ich habe mich in sämtlichen Bereichen gesteigert: Athletik, Professionalität, Konzentration im Match. Das kam wahrscheinlich mit dem Alter, das hat bei mir einfach länger gedauert als bei anderen, die mit Anfang 20 schon top dabei sind. So eine Karriere habe ich jetzt nicht hingelegt. Wir haben im Training mittlerweile auch mehr Fokus auf das Körperliche gelegt, weil ich zuvor so viel mit Verletzungen Probleme hatte, dass ich eigentlich nie eine Saison durchspielen konnte. Das war der Schlüssel, dass ich jetzt seit über einem Jahr einfach Woche für Woche spielen konnte.

Otte: "Je höher das Ranking steigt, desto mehr Anerkennung bekommt man"

Werden Sie jetzt auch von Ihren Gegnern auf der Tour anders wahrgenommen?
Ich gehe jetzt nicht nach dem Match zu meinem Kontrahenten und frage ihn: "Na, wie war's so gegen mich?" Aber klar, je höher das Ranking steigt, desto mehr Anerkennung bekommt man auch. Aber darauf achte ich gar nicht so, vielmehr versuche ich, bei mir selbst zu sein und vor allem in den engen Situationen in den Matches ruhig zu bleiben.

Stimmt es, dass Sie für den Erfolg Ihre Ernährung komplett umgestellt haben?
Das habe ich schon vor ein paar Jahren gemacht, weil ich Probleme mit Unverträglichkeiten und Allergien hatte. Mittlerweile esse ich aber wieder ganz normal. Also natürlich gesund, so wie es sich für einen Sportler gehört - aber am Wochenende darf's dann auch mal eine Pizza sein. Man ist ja ein Mensch und keine Maschine.

Tennis auf Rasen ist etwas ganz Besonderes: Wie steht's denn um Herrn Ottes Gespür für Gras?
In Stuttgart habe ich anfangs gefühlt jeden Trainingssatz verloren, habe mich ziemlich unwohl gefühlt. Aber dann mit dem Sieg in der ersten Runde gegen Daniel Altmaier hat's irgendwie Klick gemacht. Ich denke schon, dass mein Spiel für Rasen gut passt: Ich habe einen guten Aufschlag, suche den Weg nach vorne ans Netz.

Otte: "Ich freue mich, als deutsche Nummer eins in Wimbledon zu starten"

Die deutschen Hoffnungen ruhen nun ab Montag beim wichtigsten Tennis-Turnier der Welt auf Ihnen. Wie gehen Sie mit diesem Druck um?
Ich finde, das ist eine schöne, neue Situation, mit der ich ganz gut klarkomme. Natürlich steigt der Druck mit dem Ranking, aber ich freue mich trotzdem, dass ich in Wimbledon als deutsche Nummer eins - da Sascha ja verletzt ist - ins Rennen gehe. Wenn man hier gut spielt, ist das die halbe Miete für die Saison.

Bedauern Sie, dass ein deutsches Duell Zverev gegen Otte nun in London ausfällt?
Sascha ist natürlich ein sehr guter Spieler, ein unangenehmer Gegner und nicht umsonst die Nummer zwei der Welt. Ich habe ihm nach seiner Verletzung in Paris geschrieben und er hat mir auch gratuliert und viel Erfolg für die kommenden Wochen gewünscht.

Nach Ihrem phänomenalen Aufstieg in den letzten Wochen, haben Sie nun in Wimbledon das Gefühl, in Ihrer Karriere

erstmals auch etwas verlieren zu können?
Nein, ich gehe die Sache sehr gelassen an. Das ist das tollste Turnier der Welt und ich bin einfach nur froh, dass ich dort erstmals direkt im Hauptfeld ohne Qualifikation aufschlagen kann.

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