Wimbledon: Aufstand gegen die Stöhnerin

Nach Seles und Scharapowa erregt nun das 16-jährige Wunderkind Larcher de Brito die Sittenwächter von Wimbledon.
LONDON Die Jungs vom englischen Boulevard, die berüchtigten Beastie Boys, werden das gute, alte Grunz-O-Meter aus der Seles-Ära wieder auspacken und sogar Maria Scharapowa links liegen lassen, die alte „Queen of Screams" (Königin der Schreie). Denn ab Montag steht in Wimbledon ein neues Objekt der Begierde, der Verfolgung schon bereit: Michelle Larcher de Brito, 16 Jahre jung, das Wunderkind der Branche.
Die Portugiesin mit der wilden Lockenmähne, einst Weltmeisterin bei den Junioren, verfügt nicht nur über harte Schläge und ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, sondern auch über das schrillste Kreischen und Quietschen im ganzen Wanderzirkus. Mit einem Höchstwert von 109 Dezibel machte die Teenagerin jüngst auf dem Court einer Motorsäge ernsthaft Konkurrenz. „Gegen sie wirkt das Stöhnkonzert von Monica Seles wie Easy Listening", notierte der „Daily Express" halb entsetzt, halb verzückt.
Schon sollen Wimbledon-Offizielle das Team von Larcher de Brito gewarnt haben: Falls der Lärmpegel unerträglich werde, könne es zu Verwarnungen und gar Strafpunkten kommen. Auch die „Stöhn und Grunz-Arien" anderer Stars sollen konsequent unterbunden werden, nachdem zuletzt massive Kritik aufgekommen war. Bei einem ITF-Diner in Paris bezeichnete Martina Navratilova das Stöhnen mancher Spielerinnen als „Schande" und eine Art Betrugsversuch: „Das geschieht nur, um die Gegnerin aus dem Rhythmus zu bringen." Angeblich soll sich das Wimbledon-Turnierkomitee schon andere Problemkandidatinnen vorgeknöpft haben, selbst Ex-Siegerin Maria Scharapowa. „Wir bekommen immer mehr Protestbriefe von Zuschauern, die sich belästigt fühlen durch Schreien und Stöhnen", sagt BBC-Moderatorin Sue Barker, früher selbst Weltklassespielerin, „der Lärm führt dazu, dass der andere Spieler seine Schläge einfach nicht mehr sauber ausführen kann."
"Meuchelmord an einem Truthahn"
Als „Dezibel-Desaster“ bezeichnete der englische Ableger der DPA bei den „French Open“ grimmig die Auftritte des Tennisbeauties, wie beim „Meuchelmord an einem Truthahn" kam sich ein amerikanischer Medienbeobachter vor. Bei der 6:7, 2:6-Drittrundenniederlage der 16-Jährigen gegen die Französin Aravane Rezai war prompt auch der erste Eklat da: Nach sieben Spielen im ersten Satz und einem Tremolo irrsinniger Schreie de Britos beschwerte sich Rezai bei der Schiedsrichterin und ließ eine Supervisorin auf den Centre Court kommen. „Das ist nicht auszuhalten, das geht so nicht", sagte Rezai. Als Larcher de Brito zur Schiedsrichterin zitiert wurde, präsentierte sie sich schlagfertig cool: „Sie ermahnen ja Maria Scharapowa auch nicht, leiser zu sein."
Allerdings weckt Larcher de Brito nicht nur wegen ihrer spitzen Schreie, sondern auch wegen ihrer Tennis-Biographie die Vergleiche mit Monica Seles und Maria Scharapowa. Schon mit neun Jahren, wie einst auch die Russin, siedelte die Portugiesin ins Ausbildungscamp von Nick Bollettieri über. Und wie ihre beiden Vorbilder kennt auch Larcher de Brito kein Pardon, auf jeden Ball haut die 16-jährige mit einer Intensität, als wäre es der letzte Ball ihres Lebens. „Sie hat die Mentalität, um ein großer Champion zu werden", sagt Bollettieri über seine neueste Vorzeigeschülerin. In Sachen „Stöhn-Arien" befindet sie sich allerdings in zweifelhafter Gesellschaft mit Seles - über die eingebürgerte Amerikanerin hatte Schauspiel-Legende Peter Ustinov einst gesagt: „Wenn ich mir ein Spiel von ihr ansehe und die Augen schließe, fühle ich mich wie im Sexkino.“ Das schrillste Kreischen und Quietschen im ganzen Wanderzirkus: Michelle Larcher de Brito.
Jörg Allmeroth